Hamburg. Händler in den Quartieren haben nach Lockdown noch immer Umsatzeinbußen von bis zu 60 Prozent – aber geben sich optimistisch.
Es war ein großer Schritt zurück zur Normalität – so weit man das in Pandemiezeiten so nennen kann: Als Ende April die ersten Geschäfte wieder öffnen durften, belebten sich die Quartiere langsam wieder, und vielen Einzelhändlern stand die Freude ins Gesicht geschrieben. Endlich wieder verkaufen, endlich wieder Umsatz machen, endlich die Kunden wiedersehen. Aber viele sagten auch: Länger hätten wir es auch nicht geschafft. Forscher warnten damals längst vor einer „Verödung der Stadtteile“, weil insbesondere die kleinen, inhabergeführten Geschäfte oft keine großen Rücklagen haben, um solche Ausnahmesituationen stemmen zu können.
Und wie geht es den Einzelhändlern in den Stadtteilen heute? Jimmy Blum etwa, der das Geschäft „Jimmy Hamburg“ in der Sternschanze betreibt, hatte schon Ende April gesagt: „Ich glaube, dass auch die Wochen nach dem Lockdown für viele hart werden.“ Rund drei Monate später sagt er: „Die Lage ist noch schwieriger als gedacht.“ Blum verkauft vor allem lauter schöne Dinge. Schuhe, Taschen, Strickwaren – alles selber produziert –, Accessoires und Weine. Insbesondere Touristen zählen zu seinen Kunden. Doch die sind auch nach dem Lockdown erst mal weggeblieben. Und jetzt? „Ganz langsam geht es bergauf“, sagt Blum. An die Umsätze von Vor-Corona-Zeiten reiche das aber bei Weitem noch nicht heran. „Am Anfang habe ich ein Umsatzminus von 90 Prozent gehabt, inzwischen sind es immer noch minus 60.“
Einzelhändler stehen alle vor demselben Problem
Man muss kein Rechenkünstler sein, um zu verstehen, dass das so nicht lange gut gehen kann. „In den ersten Wochen hat mich mein Onlineshop gerettet“, sagt Blum. „So konnte ich wenigstens die Fixkosten abdecken.“ Auch die Zuschüsse von Stadt und Bund seien wichtig gewesen. „Sonst gäbe es diesen Laden ganz sicher nicht mehr.“ Auf die Wiedereröffnung hatte er große Hoffnung gesetzt. Doch der Andrang blieb weg. „Im Grunde war es ein Desaster“, sagt Blum heute. Dennoch: Einfach aufgeben will er nicht. „Jeder, der sich zur Selbstständigkeit entschlossen hat, hat auch Kämpfergeist. Wir versuchen alle, uns hier irgendwie durchzubeißen“, sagt er.
Die Einzelhändler der Schanze hätten sich von Anfang an gut unterstützt. Die Plattform Schanzenhopping funktioniere gut. Aber im Grunde stünden alle vor demselben Problem: „Solange die Musicals und Großveranstaltungen nicht stattfinden, kommen eben auch Touristen nicht mehr, jedenfalls längst nicht so viele wie früher.“ Seine Hoffnung ist, dass sich die Lage wieder entspannt. Dass die Infektionszahlen in diesen Tagen wieder steigen, besorgt den Einzelhändler. Auch vor dem Hintergrund, dass er in den vergangenen Wochen das Treiben auf der sogenannten „Piazza“, der Flaniermeile auf dem Schulterblatt um die Ecke, beobachtet hat. Wie berichtet, haben viele Leute hier wieder gefeiert, als würde es die Pandemie nicht geben. So ein Verhalten ärgert Blum. „Es steht zu viel auf dem Spiel, um sich so ein Verhalten leisten zu können.“
Positiveres Bild zeichnet der Verein Osterstraße in Eimsbüttel
Ein positiveres Bild zeichnet der Verein Osterstraße in Eimsbüttel. „Von unseren Einzelhändlern bekommen wir positive bis sehr positive Rückmeldungen.“ Allerdings schaue man nun sehr gespannt auf den Herbst. „In den vergangenen Wochen waren viele richtig euphorisch unterwegs, weil sie sich so gefreut haben, endlich wieder einkaufen gehen zu können. Unsere Sorge ist, dass nach der Euphorie eine Konsumdelle kommt. Das wird sicher noch mal ein entscheidender Faktor sein“, so Bernstein weiter. Die größte Angst aber sei ein etwaiger lokaler Lockdown. Denn Bernstein ist sich sicher: „Das könnte sich hier keiner noch mal leisten.“
Dass mit dem Ende der ersten Schließungen nicht alle Probleme einfach behoben sind, berichten auch Berit und Jan Petersdorf, die das Bekleidungsgeschäft Angelo’s im Eppendorfer Weg betreiben. Auch sie hat der Lockdown in einer empfindlichen Phase getroffen – schließlich zählt das Frühjahrsgeschäft für sie zu den wichtigsten Phasen des Jahres. „Das kann man nicht einfach überspringen und weitermachen, als wäre nichts gewesen“, sagte das Ehepaar im April. Entscheidend sei neben dem Infektionsgeschehen eben auch das Kaufverhalten der Menschen vor Ort.
Dumpingpreise in Onlineshops
Rund drei Monate später zieht das Ehepaar ein vorsichtig optimistisches Fazit. „Wir haben in den vergangenen Wochen erfahren, dass wir sehr viele treue Kunden haben. Viele haben wirklich gewartet, bis wir wieder öffnen konnten und sind dann zum Einkaufen zu uns gekommen“, so Berit Petersdorf. „Die Menschen haben während des Lockdowns eben auch gesehen, wie traurig es ist, wenn alle schließen müssen. Da hat, zumindest in Teilen, schon ein Umdenken stattgefunden.“
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Der Markt aber habe sich keinesfalls entspannt. Teilweise würden die Konkurrenz oder auch direkte Lieferanten über Onlineshops Dumpingpreise aufrufen. „Das ist für uns eine schwere Situation, denn das macht den Handel einfach zusätzlich kaputt“, so Petersdorf weiter. Die Lieferanten verhielten sich zudem sehr unterschiedlich. „Bei einigen war es kein Problem, Ware, die wochenlang im geschlossenen Geschäft hing, nach dem Lockdown zu tauschen. Andere waren deutlich weniger kooperativ.“
Jetzt müssen die Bestellungen fürs Frühjahr gemacht werden
Und die Unsicherheit bleibt: „In diesen Tagen kümmern wir uns traditionell um die Warenbestellung für das kommende Frühjahr. Aufschieben kann man das nicht, weil die besonderen Teile dann vergriffen sind.“ Aber natürlich könne niemand sagen, wie sich die Lage bis dahin entwickelt. Müssen wir mehr einkaufen, weniger oder anders? Leider steht hinter jeder Entscheidung derzeit ein großes Risiko“, sagt Jan Petersdorf.
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Dass es einen erneuten bundesweiten Corona-Lockdown gibt, glaubt er allerdings nicht. Warum nicht? „Ganz einfach, weil sich das keiner leisten kann.“