Hamburg. Auf dem Friedhof dürfen jetzt auch Tiere bestattet werden. Der West Highland White Terrier machte den Anfang.

Flocki wirkt quicklebendig. Die rosa Zunge ist im schneeweißen Gesicht zu sehen, und die schwarzen Knopfaugen scheinen in die weite Welt zu gucken. Doch Flocki ist nur noch ein steinernes Bild, ein kleines Denkmal, eingemeißelt in einen Grabstein auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Ein West Highland White Terrier für die Ewigkeit.

Nicht viele Menschen dürften ihn gekannt haben, und doch hat Flocki jetzt ein Stückchen Stadtgeschichte geschrieben: Er ist in der 143-jährigen Geschichte des größten Parkfriedhofs der Welt das erste Tier, dessen Asche dort ganz offiziell bestattet werden durfte.

Flockis letzte Ruhestätte ist der „Gemeinschaftsgarten für Mensch und Tier“, ein Areal in der Nähe der Zufahrt Bramfelder See. Im vergangenen Jahr hatte die Bürgerschaft den Weg dafür frei gemacht, dass diejenigen, die im Leben unzertrennlich waren, auch im Tod zusammenbleiben können: Seit dem 1. März dieses Jahres sind die gemeinsamen Bestattungen von Mensch und Tier möglich, und der Gemeinschaftsgarten mit seinen 750 Quadratmetern ist Ohlsdorfs Antwort auf den Vorstoß.

Platz für 20 Särge gibt es und für 940 Urnen

Treffen mit Carsten Helberg, Geschäftsführer der Hamburger Friedhöfe -AöR, der die aufwendig gestaltete Anlage erläutert. Gleich am Anfang stehen bunte Schilder mit passgenauen Sinnsprüchen berühmter Menschen zum Thema – von Franz von Assisi über Hemingway und Doris Day bis zu Loriot. Für Interessenten wurden extra Mustergrabstätten und Beete mit Bepflanzungsvorschlägen angelegt, wodurch die Fläche so bunt und abwechslungsreich wirkt, als sei sie schon viel länger für ihren jetzigen Zweck erschlossen. Auch logistisch liegt sie optimal: Ganz in der Nähe befindet sich ist eine Bushaltestelle, ideal für ältere Besucher, wie Helberg sagt.

Die Mustergrabstätte zeigt, wie ein Gemeinschaftsgrab aussehen könnte.
Die Mustergrabstätte zeigt, wie ein Gemeinschaftsgrab aussehen könnte. © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

Platz für 20 Särge gibt es hier und für 940 Urnen. Das Angebot wird laut Helberg sehr gut angenommen. „Mehr als 200 Anfragen haben wir schon erhalten, im Schnitt sind es mindestens zwei pro Woche.“ Insgesamt zwölf Grabstellen wurden schon vergeben, zwei Menschen bereits bestattet. Und: Die Asche von fünf Hunden und zwei Katzen ruht bereits im Erdreich.

Andere Haustierarten wurden bislang noch nicht nachgefragt, aber Helberg könnte sich vorstellen, dass irgendwann auch mal Fische oder Vögel hier ein Grab finden. Angesichts des relativ großen Andrangs schließen er und sein Team zusätzliche Mensch-Tier-Grabstätten nicht aus, auch auf dem Friedhof Öjendorf könnte es sie bald geben.

Projekt hat einen längeren Vorlauf

Das Projekt hat einen längeren Vorlauf. „Wir arbeiten bereits seit einer Weile am Konzept für eine Gemeinschaftsgrabstätte“, sagt Helberg, „denn im Beteiligungsverfahren zum Entwicklungsprogramm ,Ohlsdorf 2050‘ haben bereits im Jahr 2016 viele Bürgerinnen und Bürger diesen Wunsch vorgetragen.“

Helbergs Erklärung für das starke Interesse: „Haustiere werden vielfach als Familienmitglied empfunden und bedeuten, besonders nach dem Verlust eines Lebenspartners oder einer -partnerin, eine wichtige seelische Stütze.“ Warum sollten dann also Mensch und Tier nicht auch im Tod zusammenbleiben – und das für Gebühren, die nicht höher sind als die für eine normale Grabstätte in derselben Größe. Dass nicht jeder von den Tierbestattungen begeistert ist, verschweigt Helberg nicht. Ein paar ärgerliche Briefe und Mails habe es gegeben – „das ist nicht mehr mein Friedhof“, schrieb jemand sogar.

Tierbestattungen sind ausschließlich im Gemeinschaftsgarten möglich

Ein Trost für solche Kritiker mag es sein, dass die Tierbestattungen ausschließlich im Gemeinschaftsgarten möglich sind. Grundsätzlich dürfen Tiere auch nur in einem Tierkrematorium verbrannt und in Form von Asche unter die Erde gebracht werden, während Frauchen oder Herrchen wie auch sonst die Wahl zwischen Sarg und Urne haben. Und: Einen gesonderten Segen für die tierischen Freunde, die offiziell als Grabbeigabe gelten, gibt es auch nicht, allerdings dürfen sie bei Beisetzungsfeierlichkeiten für „ihren“ Menschen mit erwähnt werden. Im Übrigen müssen diejenigen, die für den 389 Hektar großen Friedhof verantwortlich sind, schon seit Jahren neue Wege gehen, um dessen Existenz als Parkfriedhof langfristig zu sichern. Die vielen Angebote für Spaziergänge, Führungen und Feiern zeigen, dass Ohlsdorf schon lange viel mehr ist als eine klassische Begräbnisfläche.

Carsten Helberg, Geschäftsführer Hamburger Friedhöfe, vor der Anlage.
Carsten Helberg, Geschäftsführer Hamburger Friedhöfe, vor der Anlage. © Thorsten Ahlf

Flockis Frauchen Ingrid Bihler steht gefasst an dem Grab, das eines Tages auch ihres sein wird. Als sie von dem neuen Angebot des Friedhofs hörte, entschloss sie sich sofort für ein Gemeinschaftsgrab – als Erste, wie sich dann herausstellte. Flocki hatte im Jahr 2019 das Zeitliche gesegnet, danach stand seine kleine Urne einige Monate in Bihlers Wohnung.

Hund Flocki war ein Hochzeitsgeschenk

So richtig durchdrungen von der Erinnerung an ihren Flocki wirkt die freundliche 72-Jährige mit der glockenhellen Jungmädchenstimme zunächst eigentlich nicht. War Flocki ein besonders anhänglicher Hund? „Nicht wirklich“, sagt sie ehrlich. Intelligent? „Geht so.“ Viel bedeutete Bihler, die spät geheiratet hatte, dass Flocki das Hochzeitsgeschenk ihres 2018 verstorbenen Mannes war. Dieser hatte sich eine Seebestattung gewünscht – „und danach blieben Flocki und ich alleine zurück“. Der Hund war und blieb das Bindeglied zwischen dem Ehepaar, „eben unser treuer Gefährte“.

Zuletzt war Flocki so altersschwach, dass Ingrid Bihler ihn immer die Treppe hinauftragen musste, gestorben ist er dann ganz friedlich im Schlaf. Nun kommt sie regelmäßig zu der Grabstelle, die nur zehn Minuten von ihrer Wohnung entfernt liegt. Auch Bihler weiß, dass nicht alle Ohlsdorfbesucher die neue Bestattungsform gutheißen, manche sie sogar geschmacklos finden. „Ich kann das verstehen“, sagt sie mit toleranter Gelassenheit, „aber ich bin nach wie vor glücklich über diese Lösung.“

Sie selbst hat für ihre eigene Beisetzung schon eine Urnenbestattung festgelegt – die Begründung: „Ich konnte diese ganzen Würmer und was da sonst noch so in der Erde rumwimmelt noch nie leiden.“ Inzwischen steht Ingrid Bihler aber erst mal auf einer Warteliste für einen neuen Hund, der voraussichtlich ebenfalls eines Tages in dem Gemeinschaftsgrab bestattet wird. „Mal gucken, was die Zukunft so bringt“, sagt Ingrid Bihler entspannt, „ich hoffe ja, dass ich noch viele Jahre leben werde.“