Hamburg. Er weiß, wie Lamborghini-Fahrer beerdigt werden wollen und welchen Einfluss Greta Thunberg inzwischen auf Bestattungen hat.
Einmal hat Jens Blümke aus Versehen einen Toten gesehen. Der Gärtner hatte nur kurz etwas aus einer Kapelle holen wollen und nicht damit gerechnet, dass dort ein Verstorbener aufgebahrt sein würde. Blümke hat dann schnell wieder das Weite gesucht. „Tote finde ich gruselig. Mit denen hab ich lieber nichts zu tun“, sagt er.
Klingt nach einer schwierigen Ausgangslage für einen Friedhofsgärtner. „Ne, gar nicht“, sagt Blümke. „Ich komm ja erst ins Spiel, wenn die Blümchen draufkommen sollen.“ Blümke arbeitet seit 35 Jahren auf dem Friedhof Ohlsdorf. Mehr als sein halbes Leben hat er bisher zwischen Gräbern, Büschen und Bäumen auf dem größten Parkfriedhof der Welt verbracht. Die meiste Zeit davon als Gärtnermeister in der Kapelle 1. „Ein wunderschöner Job“, findet er. Aber wenn ihn früher Fremde nach seiner Arbeit als Friedhofsgärtner fragten, schummelte er trotzdem manchmal mit der genauen Bezeichnung. „Viele finden das, was ich mache, irgendwie unheimlich. Dabei hat meine Arbeit viel mehr mit dem Leben als mit dem Tod zu tun.“
Er findet fast alles irgendwie interessant
Dass der 52-Jährige beruflich hier gelandet ist, war nicht abzusehen. Blümke ist jemand, der fast alles irgendwie interessant findet. Das war schon als Schüler so. Seine Wünsche arbeitete er quasi der Reihe nach ab. Sein größter Traum war es zunächst, als Entwicklungshelfer nach Afrika zu gehen und dort Landwirtschaft zu betreiben. Aber eine Ausbildung, die dazu passte, fand er nicht. Dann eben Automechaniker. Doch nach drei Wochen in der Werkstatt brach er ab, vor allen Dingen, weil es ihm zu laut war. Als nächstes wollte er Werbekaufmann werden, dann Einzelhandelskaufmann. Und so landete er irgendwann bei einem Herrenausstatter in der Innenstadt. Aber auch das passte nicht. Zu viel Kunstlicht, zu viel Kaufhausluft, schwierige Arbeitszeiten.
Am Ende besann sich Blümke dann doch auf seine Wurzeln. Denn als Spross eines Gärtnermeisters und einer Blumenbinderin lag der Gedanke dann doch nahe, „irgendwas mit Natur zu machen. In Bio hatte ich ja schließlich auch eine Zwei“, sagte er. Und so kam es, dass Blümke bei seinem Vater in der städtischen Anzuchtgärtnerei direkt am Friedhof eine Lehre machte. Das gefiel ihm gut. Eine Anstellung konnten sie ihm dort nach der Ausbildung aber nicht anbieten. Dafür war auf dem Friedhof Ohlsdorf eine Stelle frei. Blümke sagte zu, obwohl er ein „ganz schön mulmiges Gefühl“, hatte. Statt muckeliger Wärme im Gewächshaus ging es nun raus in die Natur. Statt sich um Balkonpflanzen, Gestecke und Festkränze zu kümmern, kniete er von einem Tag auf den anderen in der Erde und musste Gräber mit Tannenzweigen eindecken. „Und zwar so, dass das auch noch schön aussieht“, sagt er. „Das musste ich mir weitestgehend selbst beibringen“, sagt er.
Gärtnermeister als Seelsorger
Blümke ist einer von rund 170 Gärtnern, die für die sieben Gärtnereien arbeiten, die es hier auf dem Gelände gibt. Blümkes Arbeitsbereich hat sich über die Jahre gewandelt. Als er sich damals gerade an die Gräber gewöhnt hatte, ging es weiter in die Verwaltung.
„Die brauchten damals jemanden, der sich auch mit Computern auskennt, weil die Dokumentation und Erfassung digitalisiert wurde“, sagt er. Wenig später kam noch die Beratung dazu: Was für ein Grab? Wie soll die Grabpflege ablaufen? Wie bepflanzt werden? Soll es hell sein? Versteckt? Imposant?
Blümke sagte zu – auch wenn die Berührungsängste am Anfang mal wieder groß waren. „Die Menschen schütten einem das Herz aus und das war ich natürlich nicht gewohnt“, sagt er. Und da stand er nun und war plötzlich nicht nur Gärtner, sondern auch noch Seelsorger. „Da stehen dann manchmal Leute vor einem, für die die Welt gerade zusammengebrochen ist und das muss man dann irgendwie abfangen“, sagt er. Ob er das könne? Das abzufangen und wegzustecken? „Muss ich ja“, sagt Blümke. Aber manchmal wird es auch für den robusten Hamburger, dessen Stimme so schnoddrig, norddeutsch klingt wie von Sven Regener, zu viel. Für solche Momente hat er sich einen eigenen Ruheort geschaffen. In Sichtweite seiner Kapelle, auf einer kleinen Lichtung, hat er vor Jahren schon zwei Kiefern gepflanzt und zwischen ihnen eine Bank aufgestellt.
Kleine Buchten sind gefragt
Hierhin zieht er sich zurück, wenn er mit s1einen Gedanken mal woanders hinmuss. Wie neulich, nachdem eine Frau da war, die mit Blümke einen Platz für ihr eigenes Grab aussuchen wollte. „Sie war schwer krank und wollte so lange sie noch dazu in der Lage war, selber regeln, wo sie ihre letzte Ruhe finden will“, erzählt er. Und so ist er mit ihr einen halben Tag über das Gelände gegangen, bis sie eine Nische fanden.
„Die meisten Menschen möchten eine Grabstätte haben, die hell und gleichzeitig durch Bepflanzungen drum herum geschützt ist“, sagt Blümke. „Diese kleinen Buchten sind am gefragtesten“, sagt er. Das sei immer so gewesen. Ob sich ansonsten etwas verändert habe? „Mausoleen sind wieder gefragter“, sagt er. Das Geltungsbedürfnis nehme zu. „Jemand, der zu Lebzeiten schon einen Lamborghini gefahren hat, der will auch nach seinem Tod noch irgendwas darstellen.“ Ansonsten habe er auch eine Art kleinen „Greta-Effekt“ in der Kapelle 1 feststellen können. „Durch verstärktes Umweltbewusstsein der Menschen, hat zuletzt das Interesse an Sargbestattungen wieder zugenommen“, sagt er. Die Statistiken des Friedhofs Ohlsdorf und auch deutschlandweite Zahlen lassen jedoch nicht auf eine Trendwende schließen.
Jens Blümkes Tage starten morgens um 7 Uhr und enden acht Stunden später. Etwa die Hälfte der Zeit macht er Büroarbeit, in der übrigen Zeit übernimmt er Beratungen und kümmert sich um die Grab- und Pflanzenpflege. Nach 35 Jahren Ohlsdorf sagt er: „Ich habe den Friedhof lieben gelernt.“
„Werden hier auch Eichhörnchen begraben?"
Die schönsten Momente seien, wenn er die Schönheit dieses Ortes vermitteln könne. Etwa, wenn er Schulklassen über das Gelände führt. Dann muss er auch mal Fragen beantworten, wie: „Werden hier auch Eichhörnchen begraben?“ oder „Wann geht der Sarg wieder auf, damit die Leute in den Himmel kommen?“
„Wenn am Ende rüberkommt, dass das hier kein Totenacker ist, sondern in erster Linie ein wunderschöner Park, dann bin ich zufrieden“, sagt er. Dass es Blümke nicht bis nach Afrika geschafft hat, macht ihm heute nichts mehr aus.
„Mich zieht es nirgendwo anders hin“, sagt er, während er sich auf seiner Bank unter den beiden Kiefern die Sonne ins Gesicht scheinen lässt. Also bis zur Rente hier bleiben? Er schmunzelt. „Also wenn Hollywood kein Super-Angebot macht, dann werde ich hier nicht mehr weggehen.“