Hamburg. … und sich dafür einsetzte, dass die noch junge Universität ihre erste Professur für theoretische Physik erhielt.

Sie brauchten die Hilfe eines Stars, sonst würden ihre Pläne scheitern. Um die erste Professur für theoretische Physik in Hamburg zu schaffen, hatten die Mathematiker Wilhelm Blaschke und Erich Hecke sowie der Physiker Peter Paul Koch am 15. Oktober 1919 einen ersten entsprechenden Antrag an die Hansestadt gestellt. Zurück kam ein Nein. Erst sieben Monate zuvor war die Universität Hamburg gegründet worden – für weitere feste Stellen an der noch jungen Hochschule gebe es kein Geld, hieß es.

Diese Absage hatte keinesfalls mit einer Geringschätzung der Physik insgesamt zu tun. Das Fach erhielt damals in Hamburg schon große Wertschätzung. Mit dem Physikalischen Staatsinstitut habe die Hansestadt bereits eine wissenschaftliche Perle besessen, sagt die Mathematikhistorikerin Prof. Karin Reich. „An diesem Institut war aber vor allem die Experimentalphysik gepflegt worden. Die theoretische Physik galt dort zunächst als nicht so wichtig“, erläutert die Forscherin, die von 1995 bis 2007 an der Universität Hamburg arbeitete.

Ein erster Geniestreich war Albert Einstein 1905 gelungen

Leiter des Staatsinstituts war seit September 1919 Peter Paul Koch, ein Schüler des berühmten Physikers Wilhelm Conrad Röntgen. Koch war Professor für Experimentalphysik, forderte nun aber auch eine erste Professur für theoretische Physik. An der Haltung der Stadt änderte das allerdings nichts.

Da kam Co-Antragsteller Wilhelm Blaschke auf eine grandiose Idee: Er lud Albert Einstein zu einem Vortrag nach Hamburg ein. Der theoretische Physiker war damals bereits auf dem Weg zu Weltruhm. Ein erster Geniestreich war ihm mit seiner 1905 veröffentlichten Speziellen Relativitätstheorie gelungen. Einstein hatte herausgefunden, dass die Geschwindigkeit des Lichts – fast 300.000 Kilometer pro Sekunde – das Tempolimit im Kosmos ist. Keine Information, kein Teilchen oder Körper kann sich schneller bewegen.

Raum und Zeit sind relativ

Eine weitere Kernaussage der Theorie: Raum und Zeit sind relativ, abhängig davon, wie sich Beobachter zueinander bewegen. Wer in einem konstant schnell fahrenden Zug sitzt, nimmt diesen als ruhend wahr, während aus Sicht eines wartenden Menschen an einem Bahnübergang der Zug vorbeirast. Einstein schuf aber noch ein weiteres epochales Werk: die Allgemeine Relativitätstheorie. Deren Kern stellte er im November 1915 in der Berliner Akademie der Wissenschaften vor, der er als Professor angehörte.

Exzellenz-Projekt:

  • Die theoretische Physik spielt heute an der Uni Hamburg eine wichtige Rolle: 18 Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Forschungen auf diesem Gebiet. Ein Prestigeprojekt ist der Exzellenzcluster „Quantum Universe“, der im Zuge der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert wird. In diesem Großvorhaben geht es um grundlegende Fragen zur Geschichte und Zusammensetzung des Universums. Wie hat es sich kurz nach dem Urknall entwickelt? Woraus besteht die Dunkle Materie? Wie beeinflussen Teilchenphysik und Gravitation die Entwicklung des Universums? Von 300 Stellen in dem Projekt sind 40 Prozent der theoretischen Physik zugeordnet.

Die Gleichungen ergaben ein neues Bild von der Gravitation: Demnach krümmen massige Körper wie Sterne und Planeten den Raum um sich herum – und die Zeit. Die Gravitation, die sich in der gegenseitigen Anziehung von Massen äußert, ist nach Einsteins Darlegung eine Eigenschaft der gekrümmten Raumzeit. Einstein sagte auch voraus, dass die Krümmungen des Raumes ablenkend wirken, dass also etwa die große Masse der Sonne Lichtstrahlen aus dem All geringfügig ablenkt. Das leitete er wohlgemerkt aus Gleichungen ab. Doch schon im Mai 1919 gelang Forschern der erste experimentelle Nachweis dieser Vorhersage, indem sie während einer Sonnenfinsternis das Licht der Sterne direkt neben der Sonne maßen.

Unter Physikern war das eine Sensation. „Einstein erhielt eine Vortragseinladung nach der anderen“, sagt Karin Reich. Die Mathematikhistorikerin hat für einen Beitrag in dem Buch „Mathematics meets physics“ (Mathematik trifft Physik) untersucht, warum Einstein der Einladung des Hamburger Mathematikers Wilhelm Blaschke folgte – und was dann geschah.

Der berühmte Gast sorgte für „maximale Aufmerksamkeit“

Am Abend des 17. Juli 1920 sprach Einstein im Hörsaal A (heute Ernst-Cassirer-Hörsaal) des Uni-Hauptgebäudes an der Edmund-Siemers-Allee über seine Theorien. „Das war genau das Ereignis, das für maximale Aufmerksamkeit sorgen würde“, schreibt Karin Reich. „Kein einziger Physiker stand damals nur annähernd so im Rampenlicht wie Albert Einstein.“ Nicht nur viele Hochschulmitglieder hörten den Vortrag, auch Werner von Melle, Erster Bürgermeister und Gründervater der Universität, war dabei. Er notierte später: „Und ich sah mit Freude, wie die Studenten, die in dem sich gefüllten Auditorium rings bis zu den hohen Fensterbänken hinauf gedrängt saßen und standen, den nicht leichten Ausführungen des Redners fast zwei Stunden lang angespannt folgten.“

Hamburg ist heute Spitze in Physik – auch dank Einrichtungen wie Desy und European XFEL.
Hamburg ist heute Spitze in Physik – auch dank Einrichtungen wie Desy und European XFEL. © picture alliance

Nach dem Vortrag kamen Einstein, einige Professoren der Universität und der Erste Bürgermeister in dem Restaurant Jalant zum Essen zusammen. Werner von Melle notierte, dass er neben Einstein saß, der den Eindruck einer „starken, nicht nur wissenschaftlich bedeutenden Persönlichkeit“ gemacht habe. Von seiner eigenen Forschungsarbeit habe der „so viel Gefeierte“ mit „großer Einfachheit und Bescheidenheit“ gesprochen. Dann habe Einstein, unterstützt von Peter Paul Koch, dargelegt, „dass Hamburg dringend einer Professur für theoretische Physik bedürfe“.

Einstein habe den Zweck seines Vortrags klar erkannt, schreibt Karin Reich. Der Physiker sei allerdings auch in die Hansestadt gekommen, weil er „eigene Berufungswünsche“ deutlich machen wollte. So hätte er gerne den Physiker Paul Sophus Epstein auf dem Posten gesehen. Zwei Tage nach seiner Hamburg-Visite habe Einstein seinen Kollegen Paul Ehrenfest wissen lassen: „Es musste für die theoretische Physik Werbung gemacht werden, damit Epstein dorthin (nach Hamburg) kommen kann. Es besteht wirklich Aussicht. Die Mathematiker Hecke und Blaschke sind auch dort, sodass es für Epstein schön wäre.“

Es kam nicht ganz so, wie es sich Einstein gewünscht hatte

Es kam dann allerdings nicht ganz so, wie es sich Einstein gewünscht hatte. Zwar gaben die Hamburger Behörden schon kurze Zeit nach dem Vortrag des berühmten Forschers nach und genehmigten die erste Professur für theoretische Physik an der Universität Hamburg. Doch der von Einstein favorisierte Paul Sophus Epstein sei nicht mal in die engere Wahl gekommen, schreibt Karin Reich. Auf Platz eins der Hamburger Liste mit Wunschkandidaten stand Max von Laue, der 1914 den Nobelpreis erhalten hatte. Dieser stellte zwar zunächst sein Kommen in Aussicht, sagte dann jedoch ab. Berufen wurde im Jahr 1921 schließlich der vergleichsweise wenig profilierte Physiker Wilhelm Lenz, der aus Rostock nach Hamburg wechselte.

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Dass Lenz gleichwohl eine sehr gute Wahl war, kann man etwa an den Karrieren seiner Doktoranden ablesen. Einige von ihnen wurden zu international renommierten Spitzenforschern, unter ihnen Wolfgang Pauli, der 1945 den Nobelpreis erhielt, und Johannes Hans Daniel Jensen, der 1963 den Nobelpreis bekam.