Hamburg. Prof. Jonas Schmidt-Chanasit zählt zu den renommiertesten Virologen. Ausdauer und Disziplin erwarb er auch im Spitzensport.

Die Kreuzotter, konserviert in einer Glasbox mit Alkohol – sie steht ganz vorn im Regal –, ist eine Erinnerung an eine Expedition ins Donaudelta in Rumänien. Ein paar Schritte weiter sind Mausefallen aus Vietnam und Fotos von Stechmücken zu sehen.

Wer das Büro von Prof. Jonas Schmidt-Chanasit im Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) auf St. Pauli betritt, ahnt schnell, womit sich der Wissenschaftler beschäftigt. Hört man dem 41-Jährigen dann zu, spürt man seine Faszination für sein Forschungsgebiet: Viren, die durch Tiere auf den Menschen übertragen werden. Und nach wenigen Minuten wird klar: Für diesen Mann ist diese Aufgabe weit mehr Berufung denn Beruf.

Nun fristen Virologen in der Regel ein Schattendasein in der medialen Welt. Nur Ereignisse wie die Ebola-Epidemie in Westafrika, das Zika-Virus-Risiko für Schwangere in Urlaubsländern oder das Denguefieber an Spielorten der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2014 in Brasilien zerren sie für einige Wochen oder Monate ins Scheinwerferlicht. In solchen Fällen war auch Schmidt-Chanasit ein begehrter Gesprächspartner für die Medien, da er komplexe Zusammenhänge verständlich einordnen kann.

Große Popularität der Virologen birgt auch Risiken

Seit Corona ist alles anders. Virologen wie Christian Drosten oder Hendrik Streeck sind inzwischen bekannter als die meisten Bundesliga-Profis, liefern Schlagzeilen in Serie. Schmidt-Chanasit sieht diese Entwicklung auch mit Sorge: „Wenn Forschende so stark in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, birgt dies Gefahren.“ Für die Wissenschaftler selbst – Drosten erhielt sogar Morddrohungen von militanten Corona-Leugnern. Und für die politische Diskussion. „Es ist nicht gut, wenn ein Wissenschaftler Politiker berät und dann am nächsten Tag über neue Erkenntnisse, die in eine andere Richtung gehen, öffentlich berichtet“, sagt Schmidt-Chanasit.

126.000 Suchergebnisse für die Kombination „Schmidt-Chanasit und Corona“ zeigen, dass auch der Hamburger seit Wochen zu den von Journalisten besonders gern befragten Experten zählt. Beim Abendblatt-Termin klingelt sein Telefon so häufig, dass er schließlich den Hörer danebenlegt. Dabei hat sich der Wissenschaftler keineswegs in diese Rolle gedrängt. Als er im Januar 2020 aus Thailand zurückkehrte, gab es die ersten Covid-19-Medienanfragen für das Institut. „Einer musste die Ansprechperson sein“, sagt Schmidt-Chanasit rückblickend.

Der Corona-Außenminister des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin

Der gebürtige Berliner übernahm – und ist seit Monaten so etwas wie der Corona-Außenminister seines Instituts. Vor allem sein vor gut zwei Wochen erschienenes Abendblatt-Interview, in dem er den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach kritisierte, schlug bundesweit Wellen. Dessen ständige Mahnungen vor den Gefahren der Pandemie bis hin zu angeblich drohenden Ansteckungen über möglicherweise kontaminierte Lebensmittel im Supermarkt seien kontraproduktiv: „Solche Äußerungen führen zu einer Daueraufgeregtheit und können zu einer Corona-Müdigkeit führen. Und das ist hochgefährlich.“

3 Fragen

  • 1 Was ist Ihr wichtigstes persönliches Ziel für die nächsten drei Jahre?
    Meinen Humor nicht zu verlieren in dieser aufgewühlten Zeit.
  • 2 Was wollen Sie in den nächsten drei Jahren beruflich erreichen?
    Meinen wissenschaftlichen Mitarbeitenden die größtmögliche Unterstützung geben, um sich weiterzuentwickeln und bald eigenständige Abteilungen und Institute­ zu leiten.
  • 3 Was wünschen Sie sich für Hamburg in den nächsten drei Jahren?
    Ich bin sehr dankbar, wie die Hamburgerinnen und Hamburger es geschafft haben, die Ausbreitung des Coronavirus in unserer Stadt einzudämmen. Ich wünsche mir, dass die Bürgerinnen und Bürger weiter so konsequent und solidarisch bleiben, damit die Kinder wieder in die Kitas und Schulen gehen können und Gewerbetreibende, Gastronomiebetriebe und Kulturschaffende wieder auf die Beine kommen.

Panikmache sei der falsche Weg im Kampf gegen die Pandemie, vielmehr müssten die Menschen lernen, mit dem Virus zu leben. Es gibt durchaus Wissenschaftler, die ihre Popularität genießen und diese mit steilen Thesen entsprechend befeuern. Schmidt-Chanasit gehört nicht dazu – im Gegenteil. Er sieht die Risiken für seine Zunft – vor allem bei möglichen Interessenkonflikten. Nicht auszudenken, wenn ein Mediziner in einem Nebensatz die Wirksamkeit eines Medikaments postuliert – und sich dann herausstellt, dass er irgendwann von diesem Hersteller Forschungsgelder erhalten hat. Schmidt-Chanasit besteht auf maximaler Transparenz: Auf der Homepage des BNITM hat jeder Wissenschaftler, der für Interviews zur Verfügung steht, die Firmen aufgelistet, für die er – in welcher Form auch immer – tätig war.

Schmidt-Chanasit hat immer eigene Wege gesucht

„Der Aufwand ist so groß, dass man kaum noch dazu kommt, langfristige Forschungsprojekte zu planen“, sagt Schmidt-Chanasit. Das ist keine Koketterie. Viel lieber als am heimischen Schreibtisch oder bei einem Interview wäre der Professor wieder in der „Feldarbeit“. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Fasziniert erzählt Schmidt-Chanasit von seinen Expeditionen in die thailändischen Reisfelder, um riesige Ratten aufzuspüren, die gefährliche Krankheiten übertragen können.

Nun wirkt die Vorstellung, aggressiven Nagetieren zu begegnen, die sogar Eisenstäbe von Käfigen durchbeißen können, für das Gros der Bevölkerung eher abschreckend. Aber Schmidt-Chanasit war immer jemand, der seine eigenen Wege sucht. Zu erforschen, wie sich Krankheiten von Tieren auf Menschen übertragen, hat ihn schon im Medizinstudium fasziniert. Seine Promotion schrieb Schmidt-Chanasit über Testverfahren zum Nachweis von Hantavirus­infektionen. In Südamerika sterben bis zu 50 Prozent der Infizierten an diesem Virus, das durch die Ausscheidungen von Mäusen und Ratten übertragen werden kann.

Hoffen auf eine Gastprofessur in Bangkok

Mit der Natur machte ihn sein Vater bei Wanderungen vertraut. Der kleine Jonas fing Frösche und presste Blumen. Die Familie lebte im Osten der damals noch geteilten Stadt, die Auswahl der Reiseziele war entsprechend eingeschränkt. „Vielleicht hatte ich auch deshalb immer den Traum, die große, weite Welt zu erleben“, sagt er.

Unter den Repressionen des DDR-Regimes litt besonders sein Vater – ein Journalist, der faktisch mit einem Berufsverbot belegt wurde, weil er 1976 eine Petition gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann öffentlich unterstützt hatte. Im Volk der Werktätigen musste er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung nahm er sich das Leben. „Mein Vater hat nicht verkraftet, dass die alten Stasi-Seilschaften selbst in dieser Phase weiter ihre Fäden spinnen konnten.“

So war der Vater bei der entscheidenden Weichenstellung im Leben von Jonas Schmidt-Chanasit nicht mehr dabei. Als Jugendlicher zählte der Gymnasiast zu den deutschen Eisschnelllauf-Talenten. Er trainierte in einer Gruppe mit Jenny Wolf, die 2010 bei den Olympischen Spielen in Vancouver Silber gewann.

Der Sport hat Schmidt-Chanasit geprägt

„Mit etwas Wehmut“, sagt Schmidt-Chanasit, habe er ihren Aufstieg in die Weltspitze erlebt. Aber es gebe eben auch Spitzensportler, die sich nach ihrer Karriere beruflich völlig neu orientieren müssten. Daher sei die Entscheidung für das Medizinstudium und gegen den Leistungssport richtig gewesen. Und doch hat den Virologen der Sport geprägt. Eisschnelllauf zählt wie Rudern zu den ex­trem trainingsintensiven Disziplinen. „Da musst du dich durchbeißen, das habe ich gelernt“, sagt Schmidt-Chanasit.

Dazu gehört gerade in diesen so intensiven Corona-Tagen auch sein positiver Umgang mit dem Stress als Pendler – seine Familie lebt in Berlin. In Hamburg reicht dem Wissenschaftler ein kleines Apartment im Institut, er arbeitet so gern wie lang.

Coronavirus – die Fotos zur Krise

Sein Spezialgebiet ist die Erforschung der Arboviren, also Viren, die durch Gliederfüßer wie Moskitos, Sandfliegen und Zecken übertragen werden. Schmidt-Chanasit hat den entsprechenden Lehrstuhl an der Hamburger Universität. 2014 zeichnete ihn die Deutsche Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten und Gesellschaft für Virologie mit dem Wissenschaftspreis aus. Im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation WHO leitet er mehrere Forschungsgruppen.

Beim Schießsport schaltet er von der Arbeit ab

Beim Stichwort Hobbys greift Schmidt-Chanasit zu einem schwarzen Koffer auf seinem Regal und zeigt ein Lasergewehr, mit dem er auf elektronische Schießscheiben zielen kann. Mit dem richtigen Luftgewehr schießt er nur in Berlin in einem Sportverein. „Dabei geht es nicht um Rumballern, sondern um Konzentration und das richtige Atmen“, sagt er. Beim Schießsport könne er komplett von der Arbeit abschalten: „Jeder Gedanke an den Job führt dazu, dass man statt einer Zehn nur eine Neun oder Acht trifft.“

Als das Gespräch auf sein zweites Hobby kommt, muss er lachen: „Wahrscheinlich halten mich Ihre Leser jetzt für einen Mann aus dem vorigen Jahrhundert.“ Denn Schmidt-Chanasit sammelt Briefmarken, wirklich alte Briefmarken aus der Epoche Siams, wie Thailand bis 1939 hieß. Ihn fasziniert die Beschäftigung mit der Historie des Landes, das er so liebt.

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Im September will er wieder dorthin, eine mehrwöchige Gastprofessur in Bangkok antreten, wenn es denn die Corona-Auflagen zulassen. Die machen ihm ohnehin große Sorgen, seit Monaten können die Wissenschaftler des BNITM nicht mehr zu den Projektpartnern in den Tropen reisen: „Das ist sehr schlecht für die beteiligten Länder – und für uns.“