Hamburg. Für Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut reichen Schulschließungen nicht aus. Er denkt an weitere Maßnahmen.

Die Politik verschärft die Maßnahmen gegen das Coronavirus deutlich und verlässt sich dabei auf den Rat von Experten – laut Virologen reichen Schulschließungen nicht aus.

Das Abendblatt sprach mit Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut, über den Stand der Epidemie und mögliche weitere Schritte. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse geben aber auch Anlass zur Hoffnung.

Coronavirus: Stark wachsende Fallzahlen und weitere Tote in Hamburg erwartet

Herr Professor Schmidt-Chanasit, ist die Schließung von Schulen und Kitas aus Ihrer Sicht angemessen?

Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit: Absolut. Am jetzigen Punkt ist klar, dass wir zumindest auf absehbare Zeit weiter stark anwachsende Fallzahlen und leider auch weitere Tote in Hamburg sehen werden. Wir müssen uns endgültig von dem Gedanken verabschieden, dass diese Krise in einigen Wochen vorüber sein wird. Das kann man ausschließen.

Welche Wirkung hat es, die Bildungseinrichtungen zu schließen?

Der Effekt wird erst nach einiger Zeit sichtbar sein. Die Schließungen können aber tatsächlich helfen, eine deutliche Verlangsamung bei der Zahl neuer Infektionen zu erreichen. Ganz wichtig ist aber, wie man diesen Schritt gestaltet und mit ihm umgeht. Von „Corona-Ferien“ für Schüler zu reden ist etwa trügerisch. Es ist ja gerade entscheidend, dass die Kinder nicht trotzdem jeden Tag miteinander spielen oder bei den Großeltern sind, die als Risikogruppe doch besonders geschützt werden müssen. Wirklich alle Menschen sollten ihre sozialen Kontakte so weit wie möglich einschränken, wie die Bundeskanzlerin völlig zu Recht betont hat. Es kommt auch aus medizinischer Sicht jetzt wirklich auf das Verhalten von jedem Einzelnen in der Gesellschaft an.

Aus anderen Ländern ist bekannt, dass vielfach mehr Menschen tatsächlich infiziert sein könnten, als offiziell bestätigt wurden.

Es ist schwer, diese Dunkelziffer genau abzuschätzen. Es gibt eine große Anzahl an Tests und Bewusstsein gegenüber dem Erreger. Letztlich ist aber davon auszugehen, dass auch in Hamburg von den realen Infektionsfällen aktuell noch mehr unentdeckt als bekannt sind.

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Ist das Gesundheitssystem in der Lage, eine weiter an Tempo gewinnende Epidemie zu bewältigen?

Wir stehen jetzt vor dem Spagat, eben die Maßnahmen wie die Schulschließungen durchzusetzen, aber auch die Leistungsfähigkeit des Systems dabei nicht zu gefährden. Das betrifft einerseits natürlich Eltern, die in medizinischen Berufen arbeiten – aber auch die gesamte Versorgungslogistik. Fest steht, dass es eine Verlangsamung geben muss. Wenn die Zahl der Infektionen über einen längeren Zeitraum ungebremst steigt, ist jedes Gesundheitssystem der Welt überlastet. Das haben wir zuletzt etwa in Italien gesehen und könnten wir leider auch in Hamburg erleben.

Was kann die Politik dagegen unternehmen?

Es sind sicherlich weitere Schritte denkbar – wichtig ist, dass ausgeschöpft wird, was effektiv und gesetzlich möglich ist. Dazu gehört unter anderem, möglicherweise Gebäude in der Nähe von Krankenhäusern vorübergehend zu beschlagnahmen und dort Corona-Zentren einzurichten. Man darf nicht vergessen, dass ja auch der reguläre Betrieb in den Kliniken weitergehen muss. Die Patientengruppen sollten so gut wie möglich getrennt werden.

Müssen auch die Testverfahren noch ausgebaut werden?

Wenn das Gesundheitsamt dafür die Kapazitäten hat, wäre es wünschenswert, auch in Hamburg sogenannte Drive-in-Teststationen einzuführen, wie das etwa bereits in Südwestdeutschland der Fall ist. Dort können Autofahrer anhalten und einen Abstrich nehmen lassen. Das ist aus meiner Sicht ein praktikables Verfahren.

Wie lange müssen die drastischen Schutzmaßnahmen voraussichtlich andauern?

Dort reden wir möglicherweise über sehr lange Zeiträume. Als eng befristete Einschränkungen funktionieren weder die Schließung von Bildungsstätten noch etwa Begrenzungen im Reiseverkehr effektiv. Es wäre außerdem fatal, zu früh eine Entwarnung zu geben. Man muss sich begreiflich machen, dass wir es immer mit Wellen zu tun haben: Sollten nur vier Fälle wieder eingeschleppt werden, könnten sie sofort eine neue Infektionswelle in der Stadt auslösen. Das gilt es zu verhindern.

Die Forschung an dem Erreger dauert an. Kann ein Patient, der bereits eine Infektion erlitten hat, sich ein weiteres Mal anstecken?

Darauf gibt es bis jetzt glücklicherweise keine Hinweise. Alle Erfahrungen aus dem Ausland weisen darauf hin, dass genesene Patienten zumindest für eine nennenswerte Zeit immun sind. Wir sprechen hier von mindestens mehreren Monaten bis hin zu mehreren Jahren.

Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen

  • Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Hände waschen
  • Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
  • Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
  • Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten, die Infektionssymptome zeigen
  • Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen