Hamburg. Sexarbeiterinnen wollen mit Hygienekonzept die Behörden davon überzeugen, dass auch sie wieder arbeiten können.

Hamburgs Rotlicht-Szene formiert sich zum Protest. „Sexy Aufstand Reeperbahn“ heißt die Bewegung, die für Sonnabend zu einer Demo und für Donnerstag zum Tag der offenen Tür in die Herbertstraße eingeladen hat. Besonders die Sexarbeiterinnen wehren sich gegen das Dienstleistungsverbot für Prostitutionsstätten, das der Senat im März verhängt hat. Carolin (27) und Anna-Maria (57) sind Sexarbeiterinnen, ihre bürgerlichen Namen nennen sie nicht. Sie fürchten sich vor dem finanziellen Ruin, sollten die Bordelle geschlossen bleiben.

Dabei behaupten sie, ihre Körper- und Haushygiene stehe derer anderer körpernahen Dienstleister in nichts nach. „Bei uns geht es nicht um Ekstase. Ich bin selten verschwitzt. Klar, ich atme. Aber beim Tätowierer wird die Atmung wegen der Schmerzen auch intensiver“, sagt Carolin. Tattoo-Studios dürfen seit Mai öffnen, ebenso andere körpernahe Dienstleister wie Friseur- und Massagesalons – allerdings nur mit Hygienekonzept.

Corona-Regeln: "Prostituierte sind nicht dümmer als Masseure oder Tätowierer"

Die Sexarbeiterinnen ärgern sich, dass ihnen im Vergleich offenbar nicht zugetraut wird, Hygienekonzepte umzusetzen. „Prostituierte sind nicht dümmer als Masseure oder Tätowierer“, sagt Anna-Maria. Sie arbeitet als Wirtschafterin, ist quasi die „Hausmutter“ für eine der Schotten in der Herbertstraße, in der auch Carolin arbeitet. Anna-Maria erbringt aber keine sexuellen Dienstleistungen am Körper, sondern überwacht die Haushygiene.

Beide empfinden die Gesamtsituation als ungerecht, fordern ein Ende des Verbots. „Wenn ich als Privatperson über Dating-Apps wie Lovoo und Tinder mit wechselnden Partnern schlafe, kräht auch kein Hahn nach einem Hygienekonzept oder Sexverbot. Das steht in keinem Verhältnis“, sagt die Wirtschafterin. Schon vor Ausbruch der Pandemie seien Sexarbeiterinnen Hygieneprofis gewesen, wie sie berichten: Vor jedem Service war das Waschen der Geschlechtsteile und Hände sowie die Desinfektion der Sanitäranlagen Pflicht. Dienstleistungen am Kunden fanden nur mit Kondom statt. Bettwäsche und Handtücher mussten sie nach jedem Kunden wechseln. Küssen war verboten, ebenso der Austausch von Körperflüssigkeiten. „Prostituierte sind auch Menschen, wollen gesund sein und sich vor Bakterien und Viren schützen“, sagt Carolin.

Wie in der Herbertstraße in Corona-Zeiten sicher gearbeitet werden soll

Nun wurde das alte Hygienekonzept ergänzt: Alle Fenster sollen zwischen den Terminen geöffnet bleiben. Plexiglasscheiben trennen die fünf Sitzhocker an der Fensterfront. Und schon bei der Begrüßung am Fenster müssen Kunden und Prostituierte einen Mund-Nasen-Schutz tragen, der von den Sexarbeiterinnen nur beim Oralverkehr abgenommen werden soll.

Am Eingang hängt ein Spender mit Desinfektionsmittel und ein QR-Code, den Kunden mit dem Handy einscannen und dann ihre Kontaktdaten eingeben sollen. „Das Verfahren wird auch in gastronomischen Betrieben genutzt. Die Daten bleiben nur beim Betreiber, weshalb der Datenschutz von unserer Seite aus gewährleistet wird“, sagt die Wirtschafterin.

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Das Repertoire an sexuellen Dienstleistungen sei coronabedingt reduziert. „Körperbesamung, Extremitätenspiele und Spucken sind tabu.“ Die Wirtschafterin wehrt sich gegen die Anschuldigung des Bundespolitikers Karl Lauterbach (SPD), der behauptete, Sexarbeiterinnen seien sogenannte „Superspreader“. „Nur weil bis zu fünf Prostituierte im Fenster sitzen, empfängt nicht jede einen Gast.“ Manchmal lasse der nächste Kunde drei Tage auf sich warten, manchmal seien es auch drei oder vier in einer Nacht.

Carolin will wegen Corona nicht ihren Beruf wechseln

Carolin leidet unter dem Prostitutionsverbot. Sie sagt, als Solo-Selbstständige lebt sie von staatlichen Hilfen. 100 Euro stünden ihr pro Woche zur Verfügung. Die Miete übernehme der Staat. Im September läuft die Hilfe aus. Sollte das Paket nicht neu aufgelegt werden, droht ihr ein finanzielles Fiasko und Hartz IV. „Ich bin eine selbstständige deutsche Bürgerin, will arbeiten und zahle meine Steuern. Warum soll ich meinen Lebensstandard herunterschrauben oder den Beruf wechseln?“, fragt sie.

Kundgebung auf St. Pauli für Öffnung der Bordelle

Die sonst mit Toren abgeschirmte Herbertstraße wurde für die Kundgebung geöffnet.
Die sonst mit Toren abgeschirmte Herbertstraße wurde für die Kundgebung geöffnet. © Michael Arning | Unbekannt
Auch Olivia Jones protestierte mit.
Auch Olivia Jones protestierte mit. © Michael Arning | Unbekannt
Sexarbeiterinnen versammelten sich in der Herbertstraße, um für schnelle Lockerungen der Corona-Regeln für ihr Gewerbe einzutreten.
Sexarbeiterinnen versammelten sich in der Herbertstraße, um für schnelle Lockerungen der Corona-Regeln für ihr Gewerbe einzutreten. © Michael Arning | Unbekannt
Prostituierte demonstrierten am Sonnabend für die schnelle Öffnung von Bordells.
Prostituierte demonstrierten am Sonnabend für die schnelle Öffnung von Bordells. © Michael Arning | Unbekannt
Die Prostituierten wehren sich gegen eine Marginalisierung ihres Berufsstandes.
Die Prostituierten wehren sich gegen eine Marginalisierung ihres Berufsstandes. © Michael Arning | Unbekannt
Weil in anderen europäischen Ländern Prostituierte wieder arbeiten dürfen, wird in Hamburg Gleichbehandlung gefordert.
Weil in anderen europäischen Ländern Prostituierte wieder arbeiten dürfen, wird in Hamburg Gleichbehandlung gefordert. © Michael Arning | Unbekannt
Zu dem Protest am Sonnabend hatte der Branchenverband sexueller und erotischer Dienstleistungen aufgerufen.
Zu dem Protest am Sonnabend hatte der Branchenverband sexueller und erotischer Dienstleistungen aufgerufen. © Michael Arning | Unbekannt
Prostituierte dürfen gemäß geltender Corona-Regeln weiterhin nicht arbeiten. Das treibe viele in die Illegalität, so die Veranstalter.
Prostituierte dürfen gemäß geltender Corona-Regeln weiterhin nicht arbeiten. Das treibe viele in die Illegalität, so die Veranstalter. © Michael Arning | Unbekannt
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Carolin hat sich freiwillig für den Beruf entschieden, nachdem sie eine medizinische Ausbildung abgeschlossen hat. „Wenn sich eine Prostituierte für ihren Job entscheidet, dann soll sie das gemäß Art. 1 des Grundgesetzes durchziehen“, sagt Anna-Maria, die vor Jahren eine Ausbildung zur Regierungsassistentin begonnen, aber abgebrochen hat.

Sozialbehörde macht wenig Hoffnung auf baldige Öffnung der Bordelle

Sie befürchtet, bleibt das Verbot bestehen, könnten Teile des Rotlichtmilieus in die Illegalität abrutschen. Die Herbertstraße sei davon nicht betroffen, betont sie. „Wenn wir jetzt einen Fehler machen, machen wir genau das, was die Gesellschaft von uns erwartet.“ Sie will keinen Grund dafür liefern, das Verbot zu verlängern, und hofft, dass es im Spätsommer aufgehoben wird.

Auf Anfrage bei der Sozialbehörde erscheint diese Vorstellung eher unwahrscheinlich. „Der Senat hat die Situation im Blick und spricht darüber. Aber wir sind mit Lockerungen vorsichtig. Würden wir zu stark lockern, würden wir zu einer stärkeren Verbreitung des Coronavirus beitragen“, sagt Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde.