Hamburg. Sexarbeiterinnen demonstrierten auf der Herbertstraße gegen Prostitutionsverbot. Warum sie ihren Beruf für systemrelevant halten.
So voll war es in der Herbertstraße seit März nicht mehr. Rund 400 Sexarbeiterinnen demonstrierten am Sonnabend gegen das Prostitutionsverbot. Auf ihren Schildern leuchteten neonfarbene Parolen wie „Ein Stück Hamburg stirbt“, „Das älteste Gewerbe der Welt braucht Hilfe“ und „Zum Steuernzahlen sind wir gut, aber zu dumm für den Hygieneplan?“
Sie wollen wieder arbeiten und Geld verdienen. Die Demonstranten marschierten die Straße entlang – unter ihnen auch Travestiekünstlerin Olivia Jones. „Sankt Pauli ohne Rotlicht kann ich mir überhaupt nicht vorstellen“, sagt sie. Das Prostitutionsverbot lehnt Olivia ab: „Die Mädels brauchen Perspektiven, sonst wird das unkontrollierbar.“ Außerdem würden Prostituierte durch die Corona-Diskussion zunehmend stigmatisiert. „Das ist ein ganz normaler Job. Sie zahlen Steuern. Warum also zwischen Massagestudio und Bordell unterscheiden?“ Der Hintergrund: Friseure und Masseure dürfen seit Mai mit einem Hygienekonzept wieder öffnen. „Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen können auch einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Das ist dann vielleicht eine Ledermaske“, sagt Jones.
Bordelle auf dem Kiez haben Hygienepläne vorbereitet
Die Bordelle auf dem Kiez haben detaillierte Hygienepläne vorbereitet: Prostituierte sollen einen Mund-Nasen-Schutz tragen, ihre Räume desinfizieren und zwischen Trennwänden hinter der Fensterfront sitzen. Kunden sollen ihre Kontaktdaten angegeben und duschen müssen, erst dann würden sie ihren Service erhalten.
„Die Politik muss dem Konzept nur noch zustimmen“, sagt Stephanie Klee. Sie ist Vorstands- und Gründungsmitglied vom Berufsverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD).Die Regierungen in den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Griechenland haben Prostitution schon im Juni wieder erlaubt. Österreich ist diesem Kurs im Juli gefolgt.
"Sexarbeit ist systemrelevant"
Die BSD-Gründerin kritisiert den Senat: „Wer nicht verstanden hat, dass Sexarbeit systemrelevant ist, hat das System nicht verstanden. Prostitution ist das Salz in der Suppe unserer Gesellschaft. Ohne funktioniert sie nicht.“ Sie sagt, ihre Freier würden sie brauchen, um ihren Alltag zu meistern. Gegner argumentieren, dass Prostitution oft auf Menschenhandel beruhe, viele Sexarbeiterinnen nur unter Zwang arbeiten würden. Zudem könne Prostitution Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft schüren.
Domina Charlize sieht das anders; „Wir schützen Frauen und Kinder vor Missbrauch und Vergewaltigung, weil Freier bei uns ihre Vorlieben ausleben dürfen.“ Die Domina fühlt sich von der Politik diskriminiert: „Offiziell bin ich Prostituierte, aber niemand darf mich anfassen. Ich biete keinen Sex an.“ Erst seit dem Prostituiertenschutzgesetz aus dem Jahr 2017 muss sich die Domina offiziell als „Prostituierte“ bezeichnen.
Grundsicherung möchten die Dominas nicht beantragen
Bis Ende 2018 hatten rund 32.800 Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen in Deutschland angemeldet und teilen nun das gleiche Corona-Schicksal. Finanzielle Corona-Hilfen erhalten sie nicht. Der Berufsstand bleibt vom Infektionsschutzgesetz unberücksichtigt. „Es ist ein Unding, dass wir nicht unterstützt werden. Jeder bekommt Geld, nur die Sexbranche nicht, dabei zahlen wir Steuern“, sagt Domina TS Kim Wagner.
Grundsicherung möchten die beiden Dominas nicht beantragen. Dafür sind sie zu stolz. Während der Corona-Pandemie haben sie sich ein zweites Standbein in der Musik- und Pornoindustrie aufgebaut. Doch Domina Charlize will zurück zur Normalität. „Die Not hat mich raus aus dem Rotlicht getrieben, aber das will ich gar nicht. Ich freue mich, wenn das Rotlicht wieder an ist.“ Erst dann werden die Prostituierten auf der Herbertstraße wieder Freier empfangen können.