Hamburg. Der Forstwissenschaftler Michael Köhl empfiehlt rasches Handeln, vor allem gegen Insekten. Langfristig müsse man den Wald „umbauen“.

Wir wissen zu wenig über den Zustand des Waldes bei uns, kritisiert Professor Michael Köhl von der Universität Hamburg. Drohnen könnten kostengünstig bei der Erkundung von Schäden helfen. Mittel- und langfristig sei ein „Umbau“ des Waldes nötig, um ihn trotz der Erderwärmung zu erhalten.

Hamburger Abendblatt: Ähnlich wie in anderen Bundesländern hat auch in Hamburg der Wald unter dem Extremwetter der vergangenen Jahre gelitten, wie der Senat vor Kurzem in seiner Antwort auf eine Anfrage der Linkenfraktion eingeräumt hat. Bei allen Baumarten seien „Dürre- und Kronenverlichtungserscheinungen“ zu beobachten gewesen. Zuletzt hat es allerdings an etlichen Tagen geregnet – kann sich Hamburgs Wald dadurch erholen?

Michael Köhl: Ein kurzfristiger Niederschlagsschub wird an der bedrohlichen Lage für den Wald nichts ändern. Durch die seit 2018 anhaltende Dürre sind die Wasserspeicher im Untergrund überwiegend aufgebraucht. Für den Hamburger Raum kommt erschwerend hinzu, dass hier relativ sandige Böden vorherrschen. Regenwasser sinkt dadurch relativ schnell tief hinab und ist dann für die Baumwurzeln, die je nach Baumart drei bis acht Meter lang sein können, kaum noch verfügbar. Unklar ist, ob es sich bei den drei aufeinanderfolgenden Trockenperioden um ein zufälliges Wettergeschehen handelt oder ob hier bereits eine Auswirkung der Erderwärmung vorliegt und wir uns an einem Kipp-Punkt befinden, also dauerhaft im Frühling und Sommer mit solcher Dürre rechnen müssen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass der Wald in Deutschland zum ersten großflächig sichtbaren Zeichen des Klimawandels werden könnte – insbesondere im wärmeren Süden, aber wohl zunehmend auch in Norddeutschland.

Welche Baumarten trifft es besonders?

Köhl: Buchen leiden unter der Trockenheit. Der Anteil dieser Baumart, der den Schadstufen zwei oder drei (mittelstarke oder starke Kronenverlichtung) oder der Schadstufe vier (abgestorben) zugeordnet wird, hat sich in Schleswig-Holstein von 2018 auf 2019 um 31 Prozent erhöht, in Mecklenburg-Vorpommern gar um 51 Prozent. Stark betroffen sind auch Fichten: Mangelt es ihnen an Wasser, sinkt ihre Vitalität – dann haben Borkenkäfer leichtes Spiel.

Was richten diese Insekten an?

Köhl: Bei geschwächten Fichten können sich die Larven und Jungkäfer leicht durch die Rinde bohren, zwischen Borke und Bast fressen und Leitungsbahnen durchtrennen, sodass bei starkem Befall der Wassertransport in die Kronen stark gestört wird. Im vergangenen Jahr ist ein zunehmendes Absterben von Fichten beobachtet worden. In Hamburg hat das Schadholz durch Insekten erheblich zugenommen: 2014 wurden wegen Schäden durch Insekten 146 Kubikmeter Fichtenholz geschlagen – im Jahr 2019 waren es fast 1800 Kubikmeter, so der Senat.

Abgesehen von den Daten zur Menge des eingeschlagenen Schadholzes, das auch durch Stürme verursacht wird, kann der Senat keine genaueren Angaben über den Zustand des Hamburger Waldes machen. Wie kommt das?

Köhl: Seit den 1980er-Jahren gibt es ein europäisches Programm, das Waldschäden systematisch erfassen soll. In diese Erhebung fließen auch Daten aus den jährlichen Waldzustandsberichten des Bundes ein. Hamburg hat sich 2002 aus diesen Untersuchungen verabschiedet. Das war zwar aus fachlicher Sicht nachvollziehbar, weil die vorgeschriebene, bundesweit einheitlich anzuwendende Methodik für den Hamburger Wald eine zu dünne Datenlage liefern könnte. Aber Hamburg hat seitdem leider keine alternativ möglichen Untersuchungen durchgeführt.

Warum nicht?

Köhl: Offenbar aus Kostengründen. Der Senat schreibt ja in seiner Antwort an die Linkenfraktion zutreffend, dass ein „hinreichend genaues Stichprobennetz erhebliche Kosten und Personalbedarfe bedingen würde“. Bei diesen Stichproben geht es darum, den Nadel- und Blattverlust einzuschätzen. Dieser ist ein wichtiger Indikator für die Vitalität des Waldes. Auf Trockenstress reagieren Laubbäume mit vorzeitigem Laubabwurf; Nadelbäume verlieren vorzeitig ihre alten Nadeljahrgänge. Dadurch versuchen die Bäume, ihre Oberfläche zu reduzieren, auf der Wasser verdunsten kann. Sie passen sich damit soweit wie möglich an die Trockenheit an. Eine Einschätzung des Nadel- und Blattverlusts nehmen Taxatoren vor. Diese Fachleute müssen sich regelmäßig zu Schulungen mit Kollegen aus anderen Bundesländern treffen, um sicherzustellen, dass der Nadel- und Blattverlust nicht über- oder unterschätzt wird. Ein solches Vorgehen ist also relativ aufwendig. Nicht nachvollziehbar ist für mich ein anderer Punkt.

Welcher?

Köhl: Der Senat kann keine Angaben machen zur Zahl der abgestorbenen Bäume in Hamburg. Das ist ein zweiter wichtiger Indikator, um den Zustand des Waldes zu erfassen. Zudem fehlen Angaben zum regulären Holzeinschlag in Hamburg, den man in Beziehung setzen könnte zur Menge des eingeschlagenen Schadholzes, um das Ausmaß der Schäden besser zu beurteilen.

Welche Alternativen gibt es, um die Schäden im Wald zu erfassen?

Köhl: Möglich wäre es etwa, den Wald aus Flugzeugen heraus mit Infrarotkameras zu fotografieren. Wenn Bäume in Trockenstress geraten, reduzieren sie den Wassergehalt in Blättern und Nadeln. Infolge dessen heizen sich die Blätter und Nadeln stärker auf, was auf Infrarot-Aufnahmen sichtbar wird. Eine Befliegung könnte man auch mit Drohnen durchführen, das wäre deutlich günstiger. Die Universität Hamburg könnte womöglich helfen und Seminare mit Studierenden durchführen, die den Zustand des Waldes untersuchen, sowie Master-Arbeiten zu diesem Thema vergeben.

Was lässt sich gegen Waldschäden tun?

Köhl: Eine kurzfristige Maßnahme ist, von Borkenkäfern befallene Bäume schnell zu entfernen. Ein Borkenkäferweibchen kann in einem trockenen Sommer bis zu 250.000 Nachkommen erzeugen – diese rasante Vermehrung gilt es zu unterbrechen. Aber es kostet eben auch Geld, genügend Personal zu beschäftigen, das möglichst viele betroffene Bäume identifiziert und dann fällt. Mittel- bis langfristig müssen wir den Wald „umbauen“ und verstärkt auf Mischwald mit einem höheren Anteil an Laubbäumen setzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren durch Reparationshiebe zehn Prozent der Waldfläche in Deutschland gerodet worden. Aus Kostengründen mussten hauptsächlich Nadelbäume neu angepflanzt werden. Diese sind – anders als die meisten Laubbäume – anfällig für Borkenkäfer.

Reagieren Laubbäume auch weniger empfindlich auf Trockenheit?

Köhl: Nicht grundsätzlich. Aber es gibt Laubbäume, die relativ gut mit Trockenheit umgehen können, etwa Traubeneichen und Sommerlinden. Solche Baumarten sollten wir wohl vorzugsweise anpflanzen, um den Wald trotz der Erderwärmung zu erhalten. Der „Umbau“ ist auch in Hamburg schon im Gange, dürfte aber wegen der Langfristigkeit von Waldökosystemen noch Jahrzehnte dauern.

Michael Köhl studierte Forst- und Wirtschaftswissenschaften in Göttingen und Freiburg. Er habilitierte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und arbeitete als Professor an der TU Dresden, bis er 2004 dem Ruf an die Uni Hamburg folgte. Dort leitet Köhl die Abteilung Weltforstwirtschaft. Zudem ist er leitender Forscher des Klima-Exzellenzclusters CliCCS. Im Zuge der Genfer Luftreinhaltekonvention leitete Köhl ein internationales Kooperationsprogramm, das die europäischen Waldzustandserhebungen koordiniert.