Hamburg. Rot-grüne Regierung verstolpert den Start. Das hat mit einem beliebten wie feierfreudigen Senator und Intrigen der SPD Mitte zu tun.
Wenn Aristoteles recht hat, wird das eine eher mittelmäßige Regierungszeit. „Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen“, soll der alte Grieche mal behauptet haben – und der Anfang, das hat sich in dieser Woche jeden Tag gezeigt, ist nicht eben glanzvoll gelaufen für den erneuerten rot-grünen Senat in Hamburg.
Am Mittwoch dieser Woche wollte die unter widrigen Virenschutzbedingungen ausgehandelte Koalition endlich den offiziellen Startschuss für ihre Arbeit bis 2025 geben – mit einer Regierungserklärung von SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher in der Bürgerschaft. Die großen Vorhaben wollte er darlegen und debattieren lassen: Klimapläne und Verkehrswende, Hafenmodernisierung und Wasserstoffvisionen. Aber Pustekuchen! Wieder ging es für einen Großteil der Zeit um Andy Grote, den SPD-Innensenator, der seine erneute Vereidigung am 10. Juni mit 30 Gästen stundenlang in einem Club meinte begehen zu müssen.
Party von Grote: „Andy says sorry“
Zwar hat der Senator sich in dieser Woche in einer Art „Andy says sorry“-Tour bei allen und jedem in dieser Stadt für diesen aus seiner Sicht „dummen Fehler“ entschuldigt: am Montag in der SPD-Fraktion, am Dienstag im Parteivorstand und schließlich am Donnerstag im Innenausschuss der Bürgerschaft. Dass das Thema trotz des täglichen Kotaus nicht zur Ruhe kam, hatte vor allem einen Grund: Grote sieht zwar ein, dass das Club-Treffen in Corona-Zeiten ein fatales Signal an all diejenigen gesendet hat, die seit Monaten auf Feiern zu Hochzeiten, Kindergeburtstagen oder Trauerfällen verzichten mussten. Er bleibt aber dabei, dass er formal nicht gegen die Corona-Regeln verstoßen hat.
Um diese Position zu halten, greift Grote seit einer Woche zu einer bizarren Sprachverrenkung. Er habe zwar eingeladen, die Rechnung bezahlt und mit der „Bar Toni“ einen Extraraum im Club 20457 in der HafenCity mit seinen 30 Freunden stundenlang genutzt. Das Ganze sei aber keine (nach Corona-Verordnung verbotene) Feierlichkeit und schon gar keine Party gewesen – sondern eine „Verabredung zu einem gemeinsamen Gastronomiebesuch“. Dass es keine Feier gewesen sei, zeige sich daran, dass die Musik nicht sehr laut gewesen, die Stimmung nicht ausgelassen und der Alkoholkonsum maßvoll gewesen sei.
Grote sucht nach Lücken in den Corona-Regeln
Bei dieser Argumentation nutzt Grote exakt die Kriterien einer internen Auslegungshilfe des Senats für die Corona-Verordnung. Danach ist ein Treffen nur dann eine „Feierlichkeit“ und damit verboten, wenn viel getrunken wird und die Musik laut ist. Die Opposition betonte dagegen andere Punkte der Auslegungshilfe: Danach wird angenommen, dass es sich um eine Feierlichkeit handelt, wenn mehr als acht Gäste zugegen sind und es einen klar definierten Gastgeber gibt.
Mittlerweile rollen selbst die Freunde Grotes mit den Augen, weil der unbedingt recht behalten wolle – und täglich diese Spitzfindigkeiten diskutiere und die Debatte so unnötig verlängere. Denn klar: Um festzustellen, ob viel Alkohol geflossen ist und es ausgelassen zuging, verlangte die Opposition im Innenausschuss nun postwendend die Rechnung zu sehen und wollte wissen, bis wann der „gemeinsame Gastronomiebesuch“ denn gedauert habe.
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„Komm, gehen wir groten!“ – ein geflügeltes Wort
Zu beiden Fragen verweigerte der Senator die Antwort, was Grotes Kritiker höchst verdächtig finden. Mittlerweile sei „Komm, gehen wir groten!“ ein geflügeltes Wort für gemeinsame Kneipenbesuche oder Partys in Corona-Zeiten, behauptet die CDU.
Nun soll die in Grotes eigener Behörde angesiedelte Bußgeldstelle das letzte Wort haben. Die aber kann weder Zeugen vernehmen noch nach Beweisen suchen – sondern nur auswerten, was ihr vorliegt. Und das ist hier nur eine anonyme Anzeige und bald der Befragungsbogen, den Grote jetzt ausfüllen muss. Denkbar also, dass das Ganze mangels Beweisen gut für Grote ausgeht, ohne dass der Sachverhalt weiter geprüft wird.
Grote wird wohl im Amt bleiben
Selbst wenn es ein Bußgeld geben sollte, dürfte Grote aber im Amt bleiben – das hat auch Bürgermeister Tschentscher deutlich gemacht. Er hat Grotes Fehler gerügt und die Entschuldigung angenommen. Daran würde wohl auch ein Bußgeldbescheid nichts mehr ändern, heißt es aus dem Rathaus. Einziges mögliches Szenario, das Grote doch den Job kosten würde: Es tauchen noch Fotos oder andere Belege dafür auf, dass es bei der Nicht-Party viel wüster und distanzloser zuging, als Grote zugibt.
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Damit zeigt sich der Genosse aus St. Pauli einmal mehr als politischer Überlebenskünstler. Nicht nur das Debakel bei G 20, für das er als Innensenator eine wesentliche Verantwortung trug, hat er überstanden. Auch dass der Messer-Attentäter, der im Juli 2017 einen Mann in Barmbek tötete, schon länger auffällig gewesen sein soll und längst hätte abgeschoben sein müssen, wurde Grote nicht zum Nachteil angerechnet.
Grote gilt als Grenzgänger zwischen den Milieus
Dass an dem 52-Jährigen abzuperlen scheint, was andere das Amt gekostet hätte, dürfte viel damit zu tun haben, dass er ein geübter und allseits beliebter Grenzgänger zwischen den Milieus ist. Bei der Polizei mögen sie ihn – und auch bei den Grünen. Er kennt sich in den Kneipen seines Kiezes St. Pauli und im Millerntor-Stadion aus, macht aber auch beim Matthiae-Mahl mit Frau Catherine eine gute Figur. Er ist sich nicht zu fein und nicht zu feige, vor einem dezidiert linken Publikum in der Schanze über G 20 zu debattieren. Und er versteht sich, was bisher wohl eher ein Vorteil gewesen ist, auch aufs Feiern.
Dass Grotes Club-Umtrunk durch einen anonymen Hinweis aufflog, zeigt allerdings auch: Nicht alle sind ihm wohlgesinnt. Seit dem ersten Abendblatt-Bericht über das Treffen sollen die Grote-Freunde nach dem Maulwurf suchen, der sie verriet. Die Gäste sollen gar eine Art „Schweigegelübde“ abgelegt haben: Niemand spricht mit Journalisten, kein Foto der Veranstaltung taucht in sozialen Medien auf. Angeblich wurden sogar die Handynummern von Reportern ausgetauscht, um nicht versehentlich einen falschen Anruf anzunehmen.
Was Kahrs’ Rücktritt mit dem Eklat zu tun haben könnte
Es wird dabei immer klarer, dass die Aufregung auch mit dem Rücktritt des langjährigen Bundestagsabgeordneten und mächtigen Kreischefs der SPD Mitte, Johannes Kahrs, zu tun haben könnte. Seit dessen überraschender Abdankung Anfang Mai wackelt die Machtarchitektur im Kreis. Der eine oder die andere schielt auf den Vorsitz – oder das 2021 neu zu vergebende Bundestagsmandat. Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit führt den Kreisvorsitz kommissarisch – und dürfte sich im Herbst um die Nachfolge von Kahrs in dem Amt bewerben.
Grote soll zwar intern erklärt haben, er wolle nicht für den Kreisvorsitz kandidieren – und auch nicht für den Bundestag. Dass auf seiner Gästeliste wichtige Distriktschefs des Kreises standen, werten manchen Insider aber als Indiz dafür, dass Grote Rückhalt für eine Kandidatur suche.
Detail zu Grotes Feier an Opposition ausgeplaudert?
Derweil verdächtigen sich immer mehr Genossen gegenseitig, im Kampf um die Macht in Mitte Details zu Grotes Feier an Opposition, Medien und Behörden durchgestochen zu haben, um den beliebten Konkurrenten auszubooten. Mancher ist sicher, dass einer der 30 Gäste der Verräter sein müsse. Das Ganze mutet bisweilen an wie eine „Der Pate“-Billigversion auf RTL2. „Bei diesem Spiel gehen nur Verlierer vom Platz“, sagt ein bekanntes Mitglied. „Ein paar Wochen nach dem Abgang von Johannes Kahrs ist der Kreis Mitte implodiert.“
Der Fall Andy Grote: Senatssprecher nimmt Stellung:
Davon will Carola Veit nichts wissen. „Eine Dummheit macht noch keine Krise“, sagt sie mit Blick auf Grotes Clubsause und mögliche Verwerfungen in Mitte. „Ich führe den Kreis Mitte kommissarisch, im Herbst werden wir wählen. Bis dahin läuft alles in bewährten Bahnen. Statt an unsinnigen Verschwörungstheorien zu basteln, dürfen die Beteiligten gerne mit zupacken.“
Tschentscher wünscht sich ein schnelles Ende der Affäre
Auch dem Bürgermeister ist an Ruhe in Mitte und einem schnellen Ende der Affäre „Gastronomiebesuch“ gelegen. Erstens könnte ihn das Ganze sonst selbst beschädigen. Und zweitens gibt es wichtigere Herausforderungen. So schlimm, wie Aristoteles glaubte, muss ein vermasselter Anfang ja auch nicht zwingend sein. Ein Fehlstart ist ja (in manchen Disziplinen) erlaubt. Erst bei Wiederholung wird man disqualifiziert. Wer sollte das besser wissen als ein Innen- und Sportsenator?