Hamburg. Opposition: Verhalten des Innensenators schade Glaubwürdigkeit des Senats. Bürgermeister schweigt zu den Feier-Vorwürfen.

Regierungserklärungen in der Bürgerschaft sind ein seltenes Schauspiel. In der Regel machen Bürgermeister nur alle paar Jahre von der Möglichkeit Gebrauch, dem Parlament ihre Politik in aller Ausführlichkeit darzulegen. Ein vor allem den Traditionen folgender Anlass ist der Amtsantritt eines neuen Senats, ein mehr erzwungener sind krisenhafte Situationen wie einst um die HSH Nordbank oder die Krawalle beim G-20-Gipfel.

Auch Peter Tschentscher (SPD) hatte als frisch bestätigter Bürgermeister eigentlich „nur“ vor, der Tradition zu folgen und der Bürgerschaft an diesem Mittwoch die rot-grüne Politik der kommenden fünf Jahre zu erklären.

Doch seit vergangenem Freitag war klar, dass das Interesse der Öffentlichkeit und der gesamten Opposition weniger dem Ausblick gelten würde als vielmehr einem Ereignis aus der jüngeren Vergangenheit: der nicht ganz coronakonformen Feier von Innensenator Andy Grote (SPD), der seine Wiederwahl am 10. Juni mit 30 Gästen in einem Restaurant in der HafenCity gefeiert und damit einen Sturm der Entrüstung losgetreten hatte.

Tschentscher schweigt zum Fall Grote

Tschentscher hatte dazu bislang geschwiegen und nur durchblicken lassen, er sei „verärgert“, aber „einen Fehler“ lasse er Grote durchgehen. Was würde er nun im Angesicht der 123 Parlamentarier sagen, von denen etliche seit Tagen den Rücktritt des Innensenators fordern?

Die Antwort: nichts.

40 Minuten sprach der Bürgermeister, 13-mal erwähnte er dabei das Thema Corona. Er verglich die Pandemie mit den größten Katastrophen in der Geschichte der Stadt wie dem Großen Brand und der Sturmflut. Er lobte das starke Gesundheitswesen und das „Zukunftspaket“, mit dem der Senat die Krise überwinden will, und er thematisierte den Verzicht, den die Bürger etwa angesichts geschlossener Kultureinrichtungen üben mussten.

Über seinen Innensenator, der für die Durchsetzung der weitgehenden Beschränkungen zuständig ist, diese aber mindestens einmal selbst nicht so genau nahm, verlor Tschentscher hingegen: kein Wort.

Opposition fordert erneut Grotes Entlassung

CDU-Fraktionschef Dennis Thering nutzte die große Bühne, um die Rücktrittsforderungen gegen den Innensenator energisch zu erneuern. Immer wieder habe der Bürgermeister eindringlich zur Vorsicht gemahnt und gewarnt, die Krise sei noch nicht vorüber – ein Kurs, den die CDU ausdrücklich mitgetragen habe, so der neue Oppositionsführer.

Doch „ausgerechnet der Innensenator“ habe dann „nachweislich gegen die Corona-Auflagen, die er selber mit beschlossen hat, verstoßen“, so Thering. Wie wolle der Senat denn krisengebeutelten Gas­tronomen, von Jobverlust und Existenzangst geprägten Menschen oder Kindern, die wochenlang ihre Freunde nicht sehen duften, seine Politik erklären, „wenn im Gegenzug Hamburgs Innensenator eine Corona-Party feiert?“, so Thering.

An Tschentscher gewandt sagte der CDU-Fraktionschef: „Ein guter Bürgermeister weiß, was zu tun ist, Herr Tschentscher, ein guter Bürgermeister hätte ihn längst entlassen.“

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dennis Thering (l.) übte am Mittwoch massive Kritik am rot-grünen Senat und ihrem Umgang mit Grotes Feier in Corona-Zeiten.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Dennis Thering (l.) übte am Mittwoch massive Kritik am rot-grünen Senat und ihrem Umgang mit Grotes Feier in Corona-Zeiten. © Christian Charisius/dpa

SPD-Fraktionschef verteidigt Grote

Grote, der drei Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe die Feier als Fehler bezeichnet und sich dafür entschuldigt hatte, saß während der Debatte auf der Senatsbank und bearbeitete augenscheinlich Akten.

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf verteidigte Grote nicht, sagte aber an Thering gewandt, es gehe nicht an, „einzelne Senatsmitglieder zu verunglimpfen“.

Von einer „völlig deplatzierten Corona-Stehparty“ des Innensenators sprach Sabine Boeddinghaus, Vorsitzende der Linken-Fraktion. „Die Folge liegt klar auf der Hand: Herr Grote muss dafür die Verantwortung übernehmen und zurücktreten“, sagte sie.

Politik hinter Plexiglas: Die Bürgerschaft tagte erneut im Großen Festsaal.
Politik hinter Plexiglas: Die Bürgerschaft tagte erneut im Großen Festsaal. © HA | Michael Rauhe

Ist Grote nach Corona-Feier noch glaubwürdig?

AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann warf dem Innensenator vor, in „arroganter Selbstüberschätzung über dem vom Senat selbst gesetzten Recht zu stehen“. Damit habe Grote sich für sein Amt disqualifiziert. Auch wegen der Besetzung des Justizressorts mit der Grünen-Landeschefin Anna Galina, die keine Juristin sei, und des Verkehrsressorts mit dem aus AfD-Sicht „ideologisch geprägten“ bisherigen Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks sei Tschentscher zu kritisieren, sagte Nockemann. „Das Regieren mit dieser Mannschaft, Herr Bürgermeister, wird für Sie zu einer U-Boot-Fahrt.“

Die fraktionslose FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein erklärte, es schade der Glaubwürdigkeit der Hamburger Polizei, deren oberster Dienstherr Grote ist, und der Glaubwürdigkeit des Senats, Grote im Amt zu halten.

Hamburg will noch mehr Sozialwohnungen

Angesichts der Brisanz und Aktualität der Causa Grote rückten andere Themen in den Hintergrund. Tschentscher hatte in seiner Rede ausführlich die Erfolge aus Sicht des SPD-geführten Senats seit 2011 hervorgehoben – Wohnungsbau, Jobwachstum, Haushaltssanierung, gebührenfreie Kitas, Fortschritte in der Wissenschaft – und daraus den Kurs für die Zukunft abgeleitet.

Dabei listete er vor allem die aus dem rot-grünen Koalitionsvertrag bekannten Ziele auf: noch mehr neue Sozialwohnungen, Polizei, Justiz und Gesundheitsämter stärken, ein neues Krankenhaus in Altona, ein kostenloses HVV-Schülerticket, neue U- und S-Bahnen und ein flächendeckendes Glasfasernetz bis 2030.

„Die beste Möglichkeit, die Zukunft vorherzusagen, ist, sie zu gestalten“, zitierte Tschentscher Willy Brandt. Mehr als 30 Milliarden Euro würden bis 2040 investiert, vor allem in drei für die „Zukunftsstadt Hamburg“ zentralen Bereichen: „der Digitalisierung, der Mobilität und dem Klimaschutz“.

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Grüne: Wirtschaftsförderung an Klimaschutz koppeln

Jennifer Jasberg, die neue Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion, sagte kein Wort über Grote, sondern lobte Tschentscher für seine Haltung in der Corona-Krise. Die Pandemie sei nicht vorbei. „Wir müssen weiter vorsichtig sein – und ich schätze, dass unser Bürgermeister mit genau dieser Sorgfalt an dem Thema weiterarbeitet.“

Ausführlicher als Tschentscher führte Jasberg aus, dass die Politik auch die Folgen der Erderwärmung im Blick behalten müsse. „Alle großen Senatsentscheidungen werden systematisch auf ihre Vereinbarkeit mit den Klimazielen überprüft werden.“ Das gelte auch für Investitionen zur Belebung der Wirtschaft, sagte Jasberg. „Wir setzen alle Hebel in Bewegung, damit Hamburg als wichtiger Industriestandort Verantwortung übernimmt.“

Jennifer Jasberg, die neue Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion.
Jennifer Jasberg, die neue Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion. © dpa | Christian Charisius

Der neue grüne Co-Vorsitzende Dominik Lorenzen sagte: „Wir leben in einer der reichsten Städte Europas, wir leben in einer Stadt, deren starke Wirtschaftsleistung der Grundpfeiler für innovative Politik ist.“

FDP: „Regierungsprogramm aus Ideenlosigkeit“

Nicht für Innovationen, sondern für Stillstand stehen der rot-grüne Koalitionsvertrag und die Regierungserklärung nach Ansicht von Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Die Corona-Krise habe politische Fehlentscheidungen aufgezeigt, die sich jetzt verheerend auswirkten, „sei es die renditeorientierte Privatisierung von Gesundheit und Pflege, sei es die fahrlässige Ignoranz der tiefen sozialen Spaltung unserer Stadt, sei es die notorische Missachtung der Menschen, die den Laden am Laufen halten, die wahrlich mehr verdienen als Applaus und wohlfeile Sonntagsreden“.

Sie kritisierte erneut, es fehle eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Armut in Hamburg. Die Linke verstehe sich als „soziales Gewissen der Stadt“, sagte Boeddinghaus, gerichtet an die Sozialdemokraten und die Grünen.

FDP-Politikerin Anna von Treuenfels-Frowein sprach von einem „Regierungsprogramm aus Ideenlosigkeit und Unentschlossenheit“. Es mangele etwa an Maßnahmen gegen die Bürokratisierung, um die Wirtschaft zu stärken.

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