Hamburg. Bilanz zeigt, wie intensiv Justiz und Stadt mit Korruption um Konzert befasst waren. Das Hauptverfahren steht noch aus.

Nicht nur die Besucher waren begeistert, auch die Zeitungen überschlugen sich im gemeinsamen Lob. Das Konzert, das die Rolling Stones im September 2017 zum Auftakt ihrer Tournee im Stadtpark gaben, werde in die Hamburger Musikgeschichte eingehen, schrieben Journalisten.

Was damals niemand ahnen konnte: Der Auftritt von Jagger und Co. sollte auch in die Hamburger Justiz- und Politikgeschichte eingehen. Wohl kein Konzert in Hamburg hat jemals eine solche Welle von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, Disziplinarverfahren und Anklagen nach sich gezogen wie dieses. Das zeigt auch eine Bilanz, die der Senat jetzt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten André Trepoll vorgelegt hat.

In insgesamt 103 Fällen führten Justiz oder Stadt Ermittlungen oder Disziplinarverfahren gegen Staatsräte, Amtsleiter, Verwaltungsmitarbeiter und Abgeordnete, die dem Veranstalter abverhandelte Karten für das Stones-Konzert gratis oder zu besonderen Konditionen bekommen oder solche Karten an andere verteilt hatten. Davon wurden laut der Senatsantwort, die dem Abendblatt vorliegt, bei der Staatsanwaltschaft gegen 56 Personen u. a. wegen Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung und Bestechlichkeit ermittelt. Bei der Generalstaatsanwaltschaft (Zentralstelle Staatsschutz) wurde außerdem ein Ermittlungsverfahren gegen 16 Personen wegen Abgeordnetenbestechung bzw. -bestechlichkeit geführt. Zusätzlich gab es 31 Disziplinarverfahren gegen städtische Mitarbeiter.

Die meisten der Verfahren sind abgeschlossen

Nicht alle, aber die meisten dieser Verfahren sind abgeschlossen. Von den 56 bei der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungen wegen Vorteilsannahme, Vorteilsgewährung und Bestechlichkeit wurden sieben Verfahren (gegen insgesamt neun Beschuldigte) mangels hinreichenden Tatverdachts und acht Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt. In 21 Verfahren wurde von der „Verfolgung unter Auflagen und Weisungen“ abgesehen. Es gab zudem weitere Einstellungen aus anderen Gründen.

In neun Verfahren wurde gegen zwölf Beschuldigte Anklage erhoben, in vier Verfahren wurde der Erlass eines Strafbefehls beantragt. Bereits verurteilt wurde die frühere Staatsrätin Elke Badde (SPD), und zwar wegen Vorteilsannahme und Verleitung von Untergebenen zu einer Straftat. Sie muss eine Strafe von 120 Tagessätzen zu 170 Euro, also 20.400 Euro zahlen.

Prozess gegen Hauptfigur Rösler noch nicht terminiert

Gegen die Hauptfigur der Affäre, den früheren Leiter des Bezirksamts Nord, Harald Rösler (SPD), hat die Staatsanwaltschaft im Frühjahr Anklage erhoben; ein Termin für den Prozessauftakt steht noch nicht fest. Rösler wird in insgesamt Dutzenden Fällen Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung und Bestechung in Tateinheit mit Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat sowie Untreue im besonders schweren Fall vorgeworfen. Er soll von der Veranstalterfirma ein Kontingent von 300 „Kaufkarten“ und 100 Freikarten für das Bezirksamt verlangt haben. Im Gegenzug soll er einem Nutzungsentgelt von 205.000 Euro zugestimmt haben – und gewusst haben, dass er nach der Gebührenordnung dafür rund 600.000 Euro hätte ansetzen können.

Die Rolling Stones im Stadtpark:

Das Verfahren gegen 16 Personen wegen Abgeordnetenbestechung, bzw. -bestechlichkeit wurde laut Senatsantwort mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Insgesamt sind noch ein Ermittlungs- und zehn Strafverfahren anhängig. Von den 31 Disziplinarverfahren laufen noch 15. Sieben wurden „unter Feststellung eines Dienstvergehens“ eingestellt, weitere sieben durch ein „Belehrungsprotokoll“ beendet. In einem Fall endete das Verfahren mit einem „Verweis“, ein Verfahren wurde eingestellt.

Neue Antikorruptionsstelle im Bezirk Mitte eingerichtet

Als eine Konsequenz der Affäre hat die Bürgerschaft gefordert, die Verfahren zur Genehmigung von Großveranstaltungen stärker zu regulieren, sodass eine größere Kontrolle möglich wird. Zudem wurden vom Senat die Regeln zur Annahme von Belohnungen und Geschenken verschärft. Als weitere Folge des Stones-Debakels sollen die Bezirksämter Stellen zur Korruptionsvorbeugung bekommen. Laut Senatsantwort wurde zum 1. Juni 2020 eine erste solche Stelle mit drei Mitarbeitern zunächst am Bezirksamt Mitte eingerichtet. Diese sei zunächst als „Pilotprojekt“ konzipiert, das zeigen solle, ob eine Übertragung auf andere Bezirke sinnvoll sei.

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Der Senat habe als Reaktion auf die „beispiellose Selbstbedienungsmentalität“ eine neue Richtlinie für das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken erlassen, resümiert CDU-Politiker Trepoll. „Ein Pilotprojekt im Bezirksamt Mitte zur Korruptionsvorbeugung ist vor Kurzem gestartet. Wir sind gespannt, was hier für Erfahrungen gesammelt werden. Die von der Bürgerschaft beschlossenen weiteren Maßnahmen werden noch von einer Arbeitsgruppe geprüft. Ich hoffe sehr, dass es dieses Mal nicht bei dem Motto bleibt: ,Wer nicht mehr weiterweiß, bildet einen Arbeitskreis‘, sondern alle erforderlichen Konsequenzen zeitnah umgesetzt werden“, so Trepoll. „Das ist unerlässlich, um das Vertrauen der Bürger in Hamburgs Verwaltung nicht zu erschüttern.“