Hamburg. Polizei: Verkehrsregeln zu wenig bekannt und kaum beachtet. Bald soll ein fünfter Verleiher nach Hamburg kommen.
Corona hatte sie ausgebremst, doch nun sieht man sie wieder überall in der Stadt, nicht selten kreuz und quer auf Gehwegen geparkt: die umstrittenen E-Scooter. Die Verleiher Lime und Tier haben Bilanz gezogen und sind mit ihrem ersten Jahr in Hamburg zufrieden – obwohl die Nachfrage zu Beginn der Pandemie kurz eingebrochen war. Auch die Anbieter Voi und Bird (der US-amerikanische Branchenpionier hatte im Januar die Berliner Firma Circ gekauft) blicken hoffnungsvoll in die Zukunft. Überraschend: Mit Hive soll bald ein fünfter Verleiher nach Hamburg kommen.
"Derzeit sind etwa 4000 E-Scooter in der Innenstadt im Einsatz, zu Spitzenzeiten waren es mal bis zu 4500", sagt Henning Grabow, Sprecher der Hamburger Verkehrsbehörde. Dreimal pro Tag wird ein E-Scooter durchschnittlich in der Hansestadt ausgeliehen, vorwiegend für kurze Distanzen von etwa zwei Kilometern. Die meisten Fahrten bewegen sich innerhalb des Rings 1. Als „Hotspots“ haben sich die Bereiche rund um die Landungsbrücken, den Hauptbahnhof, das Gebiet Neuer Wall/Jungfernstieg und die Sternschanze herauskristallisiert.
E-Scooter in Hamburg: Bird hatte Betrieb vorübergehend eingestellt
Bird, seit August 2019 in Hamburg, registriert nach eigenen Angaben einen großen Zulauf an neuen Nutzern. "Unser Angebot wird in Hamburg sehr gut angenommen. Wir stellen fest, dass immer mehr Menschen sich für einen E-Scooter entscheiden, um sicher und effizient durch die Stadt zu kommen", sagt Bird-Europachef Harry Porter dem Abendblatt.
Mit Beginn der Corona-Krise hatte das Unternehmen seinen Betrieb in vielen Städten weltweit vorübergehend eingeschränkt. "Im Einklang mit den Lockerungsmaßnahmen sind wir in Hamburg im vergangenen Monat wieder mit einer kleineren Flotte gestartet", sagt Porter. "Zusätzlich haben wir kostenfreie Fahrten für Beschäftigte im Gesundheitswesen angeboten, damit diese sicher zwischen ihrer Wohnung und der Arbeitsstelle pendeln konnten."
Voi ist mit erstem Jahr in Hamburg sehr zufrieden
Nach der coronabedingten Betriebspause ist Voi mit der alten Flottengröße zurück. Der schwedische Verleiher, der am Sonnabend sein einjähriges Betriebsjubiläum in Deutschland feiert, ist nach eigener Aussage sehr zufrieden mit seinem Start in Hamburg. So sei die Nutzung pro E-Scooter im ersten Jahr um 40 Prozent gestiegen, die Mitarbeiterschaft in Deutschland habe sich verzehnfacht. "Unser Pilotprojekt mit der Hamburger Hochbahn hat die Erwartungen um das doppelte übertroffen und uns dazu veranlasst, mit unseren E-Scootern vermehrt außerhalb der Innenstädte gelegene Bereiche zu bedienen," sagt Claus Unterkircher, General Manager für den DACH Raum. Dementsprechend gibt es die Roller inzwischen auch in Bergedorf und Harburg.
Die Zusammenarbeit mit anderen Verkehrsanbietern wird weiter ausgebaut. Seit Kurzem kann man die Voi-E-Scooter in Hamburg auch über die Free Now App buchen. Neu ist auch ein Rabattsystem für Vielfahrer. In Kürze will Voi ein zudem neues E-Scooter-Modell einführen und die Roller vermehrt in Außenbezirke bringen, auch um eine bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr zu ermöglichen.
Unterkircher ist optimistisch, gestärkt aus der Corona-Krise hervorzugehen. Kündigungen habe es keine gegeben. "Während der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben wir außerdem über die Initiative WeAllMove in Kooperation mit dem Weltwirtschaftsforums unsere E-Scooter für systemrelevante Gruppen sowie private und öffentlichen Unternehmen außerhalb des regulären Betriebs verfügbar gemacht. Zum Beispiel für Krankenhäuser oder kurzfristig eingerichtete Lieferservices", sagt er.
E-Scooter: Lime sieht sich als Gewinner der Corona-Krise
Lime aus Kalifornien ist mit einer Flotte von 25.000 E-Scootern nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland. Er registrierte zwei Millionen Nutzer im ersten Jahr sowie zehn Millionen Fahrten deutschlandweit. Zahlen für Hamburg möchte Lime aus Wettbewerbsgründen nicht nennen. Die Flottengröße wird aber, wie bei den anderen Anbietern auch, laufend der Nachfrage angepasst, darf jedoch innerhalb des Rings 2 die Marke von 1000 nicht überschreiten, so die Vereinbarung mit der Stadt. Während der Corona-Krise hatte Lime sein Geschäft in Hamburg seit Mitte März vorübergehend pausiert.
Dennoch sieht sich Jashar Seyfi, Geschäftsführer bei Lime in Deutschland, als Gewinner der Krise. Die Corona-Pandemie werde die Mobilität in den Städten nachhaltig verändern, ist er überzeugt. "Ein Blick auf die Straßen Hamburgs zeigt, dass individuelle Fortbewegungsmittel – vor allem das eigene Auto und das Fahrrad – die Gewinner der aktuellen Krise sind", sagt er.
Viele Menschen organisieren aufgrund der Corona-Pandemie gerade ihre Fortbewegung neu. "Unsere aktuelle Erfahrung in Hamburg zeigt, dass der Bedarf nach individuellen Mobilitäsoptionen weiter steigt." Er erwartet nicht nur mehr, sondern auch längere E-Scooter-Fahrten. Eine Datenanalyse habe gezeigt, dass die Fahrten mit den Lime-Scootern im Schnitt 25 Prozent länger dauerten als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie.
Tier zieht positive Bilanz für Hamburg
Im Gegensatz zu Lime bot Tier seine Roller auch während der Pandemie durchgehend an. Der Verleiher ist mit rund 1500 E-Scootern in Hamburg vertreten. 1000 davon sind innerhalb des Ring 2 im Einsatz, die restlichen 500 verteilt auf äußere Stadtgebiete wie Harburg, Blankenese oder Barmbek.
Die Menge der E-Scooter des Anbieters Tier wurde Ende März/Anfang April nur kurz reduziert. "Trotz der Ausnahmesituation während der letzten Wochen sind wir allgemein sehr zufrieden mit der Entwicklung in Hamburg", sagt Unternehmenssprecher David Krebs dem Abendblatt. Das Angebot werde sehr gut angenommen. "Hamburg war unsere erste deutsche Stadt, in der wir die Marke von einer Million Fahrten Anfang März geknackt haben."
Die strengen Kontaktsperren im März und April hatten für Tier, der mit einer klimaneutralen Bilanz wirbt, trotzdem deutliche Folgen. "Wir haben in der Lockdown-Phase einen Umsatzeinbruch und eine geringere Nutzung unseres Services erlebt – analog zu den generell rückläufigen Bewegungsaktivitäten der Menschen", sagt Krebs. Aber auch er sieht in Corona eine Chance. "Wir rechnen fest damit, dass solange die Einhaltung von Abstandsempfehlungen die neue Normalität ist, Menschen Mobilitätsoptionen bevorzugen werden, die ihnen individuelle Fortbewegung ermöglichen."
Das müssen Sie beachten:
- Roller dürfen ab einem Alter von 14 Jahren genutzt werden. Zu zweit auf einem Roller zu fahren ist nicht erlaubt und auch Kinder dürfen von einem Erwachsenen nicht zusätzlich auf dem Roller mitgenommen werden.
- E-Scooter müssen versichert sein, das ist mit einer entsprechenden Plakette am Fahrzeug nachzuweisen.
- Im Straßenverkehr gelten für E-Scooter dieselben Regeln wie für Radfahrer. Fahren auf dem Fußweg oder auf der falschen Straßenseite ist nicht erlaubt.
- Stadt und Anbieter haben vereinbart, die Roller im innerstädtischen Bereich (Ring 2) auf zunächst 1000 Stück pro Anbieter zu beschränken. Es wurden Zonen definiert, in denen die Ausleihe grundsätzlich nicht beendet werden kann. Diese Zonen sind in den Apps farbig markiert.
- Wird der Roller etwa auf einem Radweg oder mitten auf dem Fußweg stehengelassen, kann er von der Stadt entfernt werden. In diesem Fall zahlt der Verursacher eine Strafgebühr.
- In Hamburg verlangen Lime und Bird 25 Cent pro Minute. Das sind pro Stunde 15 Euro. Minutenpreise bei Tier: 19 Cent. Voi ist mit 15 Cent pro Minute am günstigsten. Zusätzlich verlangen alle Anbieter pauschal 1 Euro Grundgebühr vor der Abfahrt.
Verkehrsbehörde in Hamburg von E-Scootern nicht überzeugt
Gänzlich überzeugt ist man in der Hamburger Verkehrsbehörde von den E-Scootern bislang noch nicht. "Die E-Roller müssen vermehrt auch außerhalb des Rings 2 vermietet werden", sagt Sprecher Grabow. Sie könnten eine bessere Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel gewährleisten. Bislang stünden die E-Scooter eher für Lifestyle. "Wir werden weiter genau beobachten, ob sich die E-Scooter als ökologischer Beitrag zur Mobilitätswende bewähren." Ganz problemlos läuft es bislang nämlich nicht. So werden E-Scooter teilweise falsch abgestellt oder landen sogar im Wasser.
Auch wenn jeder die Geschichten von E-Scootern kenne, die mal in der Elbe oder Alster landen, Vandalismus sei bei Lime kein großes Thema, widerspricht Geschäftsführer Seyfi. "In den seltenen Fällen, dass E-Scooter verschwinden, ins Wasser geworfen oder gar beschädigt werden, bringen wir dies zur Anzeige", sagt er. Den Verlust an E-Scootern dämmen die Verleiher durch Diebstahlsicherungen und Parkverbotszonen an Brücken ein.
So verhindern E-Scooter-Anbieter Vandalismus
Auch Tier-Sprecher Krebs spricht von Einzelfällen: "Vandalismus spielt in Deutschland eine deutlich geringere Rolle als in anderen Märkten, in denen wir tätig sind." Voi fährt eine "Null Toleranz”-Strategie und geht allen Fällen von Diebstahl oder Vandalismus nach. "So haben wir zum Beispiel vor einiger Zeit einen gestohlenen E-Scooter zusammen mit der Polizei bis über die Deutsche Grenze verfolgt und sichergestellt", sagt Unterkircher.
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Auch Bird verfolgt seine Scooter über eine GPS-Verbindung. "Auf diese Weise können wir im Falle eines Diebstahls den Standort nachverfolgen und die Scooter über die digitale Schnittstelle abschalten, damit sie nicht mehr genutzt werden können", sagt Porter. Die Anzahl an E-Scootern, die Bird verliere, bliebe so auf niedrigem Niveau.
E-Scooter-Bilanz der Polizei: 25 Unfälle in vier Monaten
Die Polizei hatte besonders in den ersten Monaten nach Einführung der E-Scooter beobachtet, dass Verkehrsregeln zu wenig bekannt waren und kaum beachtet wurden. "Der E-Scooter wurde teilweise nicht als vollwertiges Kraftfahrzeug angesehen", sagt Polizeisprecherin Evi Theodoridou. Dabei erreichen die Elektroroller eine Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h. Konflikte ergaben sich hauptsächlich auf Rad- und Gehwegen.
Das Fahren unter Alkoholeinfluss zählte zu den häufigsten Verstößen. Oft fuhr verbotenerweise auch eine zweite Person mit auf dem elektrischen Roller. Nicht selten waren es Kinder. Ein weiterer Verstoß war laut Polizei das unerlaubte Fahren auf Gehwegen oder in Fußgängerzonen.
Seit am 15. Juni 2019 die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung in Kraft trat, klärte die Polizei in Hamburg verstärkt auf Messen, an Infoständen und mit Flyern über den richtigen Umgang mit den kleinen Flitzern auf. Die Polizeikommissariate und die Fahrradstaffel führten seither mehrere Schwerpunktkontrollen durch. In der Unfallstatistik werden Verkehrsunfälle mit E-Scootern jedoch erst seit dem 1. Januar 2020 erfasst. Für das laufende Jahr liegen bislang die Verkehrsunfallzahlen bis zum 30. April vor. In diesem Zeitraum ist es in Hamburg zu 25 Verkehrsunfällen gekommen, bei denen E-Scooter beteiligt waren.
E-Scooter-Unfälle auch wegen Alkoholkonsums
Bei 16 dieser Unfälle gilt der E-Scooter-Fahrer als Hauptverursacher. In neun Fällen wurden Personen verletzt (sieben Menschen leicht, zwei schwer). Ums Leben kam bei diesen Unfällen niemand. Die häufigsten Unfallursachen waren dabei die verbotswidrige Benutzung der Fahrbahn, Fehler beim Einfahren in den fließenden Verkehr, Alkoholkonsum, Einfluss anderer berauschender Mittel und eine nicht angepasste Geschwindigkeit.
Aber auch technische Mängel aufgrund fehlender Wartung an den E-Scootern führten zu Unfällen. "Der genannte Zeitraum ist allerdings nicht repräsentativ, weil in den Wintermonaten nur sehr wenige E-Scooter genutzt wurden und anschließend die coronabedingten Einschränkungen in Kraft getreten sind", sagt Polizei-Sprecherin Theodoridou.
Hamburg bekommt einen weiteren E-Scooter-Anbieter
Die E-Scooter-Flotte in Hamburg dürfte in der nächsten Zeit noch wachsen. Demnächst startet laut Verkehrsbehörde mit Hive noch ein neuer Anbieter. Das Joint Ventures von BMW und Daimler hatte von April 2019 ein Pilotprojekt auf dem Hamburger Desy-Campus gestartet und rund 100 elektrische Roller für Fahrten auf dem rund 50 Hektar großen Gelände angeboten. Nach dem halbjährigen Test wurde dort allerdings entschieden, man wolle weiter auf Muskelkraft setzen. "Unsere Dienstfahrräder sind doch die umweltfreundlichere Alternative", so Desy-Sprecher Thomas Zoulfal.