Hamburg. Polizeipräsident Ralf Martin Meyer über Rassismus-Vorwürfe, Demos in Corona-Zeiten und Unterschiede zwischen Hamburg und den USA.
Der Tod des US-Amerikaners George Floyd hat eine globale Bewegung gegen Rassismus ausgelöst – und auch die Hamburger Polizei sah sich zuletzt nicht nur der Großdemonstration am Sonnabend in der City, sondern auch Vorwürfen auf Fehlverhalten gegenüber.
Im Abendblatt-Interview spricht Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer offen und selbstkritisch über fremdenfeindliche Haltungen von einzelnen Polizeianwärtern und Beamten, betont jedoch auch die Unterschiede zu den USA – und er warnt mit Blick auf die Corona-Gefahren vor erneuten Großprotesten.
Hamburger Abendblatt: Herr Meyer, die Organisatorin der Großdemo am Sonnabend hat gesagt: "Deutschland ist kein rassistisches Land. Aber es hat ein Problem mit Rassismus". Gilt das aus Ihrer Sicht auch für die Hamburger Polizei?
Ralf Martin Meyer: Keine Institution kann sagen, dass es bei ihr absolut kein solches Gedankengut oder rassistische Handlungsweisen gebe. Das gilt auch für die Polizei. Wir sind ein Teil der Gesellschaft und auch ein Spiegelbild derselben. Aber wir stehen auch für klare Werte. Und wir sprechen uns nicht nur gegen Rassismus aus, sondern gehen intern aktiv dagegen vor.
Wie sieht das konkret aus?
Das fängt zentral bei der Ausbildung neuer Beamter an. Bewerber werden abgelehnt, wenn ihre Ansichten eben nicht zu unseren Werten passen. Leider kann man es im Rahmen des Auswahlverfahrens nicht in jedem Fall erkennen, auch weil rassistische Gesinnungen verheimlicht werden. Aber wir bleiben während der gesamten Dienstzeit sehr wachsam und tolerieren es niemals, wenn rassistisches Gedankengut zutage tritt.
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Hat es in den vergangenen Jahren Rauswürfe von Rassisten gegeben?
Ja, wenn im Laufe der Dienstzeit jemand auffällig geworden ist, haben wir uns von ihm verabschiedet. Bei bereits verbeamteten Polizisten ist eine Entlassung rechtlich schwieriger, aber auch hier wird Fehlverhalten so konsequent wie möglich geahndet. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass wir es in Hamburg zu 80 Prozent mit humanistisch gebildeten Abiturienten zu tun haben, die sich für den Polizeidienst interessieren.
Das ist mit amerikanischen Verhältnissen und Standards zum Glück nicht vergleichbar. In Minneapolis werden ehemalige Militärs in einem Lehrgang von 16 bis 18 Wochen zu Polizisten, in Hamburg reden wir über ein Studium von drei Jahren, das ganz eng an Grundgesetz und Werte gekoppelt ist. Auch diese geradezu militärische Tradition, auf die sich Polizei in Amerika oft beruft, haben wir in Hamburg nicht.
Sie versuchen auch seit Jahren, mehr Menschen mit Migrationshintergrund für den Polizeidienst zu gewinnen.
Wir sind dabei mit einem Anteil von 15 Prozent der Polizisten mit einem Migrationshintergrund auf einem guten Weg, ich sehe uns aber noch lange nicht am Ende. Ein Problem ist etwa noch, dass es zu wenige entsprechende Anwärter auch bis zur Verbeamtung schaffen. Das hängt auch mit sprachlichen Defiziten zusammen. Wir sind auch weiter gefordert, speziell um Anwärter mit ausländischen Wurzeln zu werben.
Haben Sie Sorge, dass die Geschehnisse in den USA auch den Ruf der Hamburger Polizei beschädigen?
Die Gefahr besteht durchaus, trotz der großen Unterschiede. Auch weil nach meinem Eindruck extremistische Kräfte versuchen, gezielt Misstrauen und Hass gegenüber staatlichen Institutionen zu säen und die breite Bewegung gegen Rassismus zu missbrauchen. Unabhängig von der aktuellen Lage beobachten wir das etwa bei Kontrollen im Bereich der Drogenkriminalität, da die Tatverdächtigen an bestimmten Orten eben fast ausschließlich Schwarzafrikaner sind.
Auf St. Pauli wurde den Beamten etwa wiederholt "Racial Profiling" vorgeworfen. Trifft Sie das?
Einerseits ist es für mich sehr weit weg, weil wir nach rechtsstaatlichen Prinzipien vorgehen. Natürlich führen wir diese Kontrollen nicht wegen der Hautfarbe der Betroffenen durch. Andererseits haben diese Menschen einen ganz anderen Erfahrungshorizont - das müssen wir unbedingt respektieren und auch in unseren Handlungen berücksichtigen und erklären.
Wenn man mit Beamten spricht, die etwa lange im Bereich der Drogenkriminalität oder des Taschendiebstahls arbeiten, hört man öfter grenzwertige und abfällige Bemerkungen gegenüber Minderheiten.
Genau dort sehe ich eine große Gefahr. Die Erfahrungen, die man macht, prägen einen - das gilt für alle Bürger und auch Polizisten. Genauso wie etwa die deutsche und die amerikanische Polizei nicht in einen Topf geworfen werden dürfen, müssen auch die Beamten im Einsatz aber immer wieder differenzieren. Aus Drogendealern mit schwarzer Hautfarbe darf nicht der Glaube erwachsen, dass alle Schwarzafrikaner mit Drogen handelten.
Was unternehmen Sie dagegen?
Wir versuchen dem mit Beratung und Fortbildung entgegenzuwirken, uns ist wichtig, dass alle getroffenen Maßnahmen in den Kommissariaten genau und regelhaft reflektiert werden. Außerdem arbeiten wir etwa im Fall von arabischen und afghanischen Jugendlichen, die uns am Jungfernstieg polizeilich vor Aufgaben stellen, auch mit entsprechenden Fachinstituten zusammen. Das dient der richtigen Ansprache an diese Gruppe, aber auch der eigenen Sensibilisierung.
Welches Bild hat die Black Community nach ihrem Eindruck von der Polizei?
Ein differenziertes. Ich glaube, dass schon erkannt wird, dass die Hamburger Polizei kein Feind und kein Gegner von Menschen mit dunkler Hautfarbe ist, sondern im Positiven auch für sie einsteht. Leider verfängt aber auch der Versuch von Gruppen, dieses Vertrauen zu untergraben, immer wieder in einem gewissen Ausmaß. Insbesondere bei der Frage, wie viele Menschen aus Ghana und anderen Ländern auch als Teil der Polizei sichtbar sind, müssen wir uns noch deutlich verbessern. Das ist eine der großen kommunikativen Aufgaben.
Könnten auch Maßnahmen wie flächendeckende Body-Cams zu einem größeren Vertrauen beitragen?
Wir haben damit etwa im Bereich St. Pauli sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Kameras können sowohl für die Beamten als auch ihr Gegenüber einen Mehrwert bringen und helfen, Eskalationen zu vermeiden. Andererseits sind sie auch kein Mittel für jede Situation in jedem Stadtteil. Das Wichtigste bleibt die persönliche Kommunikation, die wir intensiv trainieren, pflegen und auch etwa bei Demonstrationsgeschehen weiter ausbauen. Ich stehe aber einer Ausweitung von solchen Kamerasoffen gegenüber.
Die Demonstration am Sonnabend war ein gewaltiges Signal gegen Rassismus. Angesichts der Corona-Regeln und der bereits zuvor aus dem Ruder gelaufenen Demonstration vor dem US-Konsulat am Freitag fragen sich viele Menschen jedoch auch: Wie konnte das passieren?
Wir sind als Polizei ebenso wie die Organisatoren selbst von dieser enormen Größe überrascht worden. In der akuten Situationen war es dann eine Abwägung für die Beamten vor Ort, wie mit der großen Menschenansammlung umzugehen ist. Die Demonstration mit Zwang aufzulösen, wäre unverhältnismäßig gewesen. Die Teilnehmer haben sich ja friedlich und kooperativ verhalten, sich letztlich auch geordnet entfernt. Dennoch müssen wir Schlüsse daraus ziehen.
Welche?
Es war vor dem vergangenen Wochenende nur sehr schwierig abzuschätzen, welches Potenzial eine angekündigte Demonstration gegen Rassismus derzeit birgt. Jetzt haben wir dazu einen Erfahrungswert. Klar ist, dass bei zukünftigen Anmeldungen deutlich verstärkt darauf geachtet werden muss, wie die Versammlungsleitung die Begrenzung der Teilnehmerzahl und die Hygieneauflagen einhalten kann. Möglicherweise müsste das Protestgeschehen auf mehrere Standorte verteilt werden.
Aus dem Senat waren zuletzt Stimmen zu hören, dass große Demonstrationen wegen der Corona-Krise unsolidarisch seien. Teilen Sie die Einschätzung?
Wir wollen das Recht auf Versammlungsfreiheit weiter ermöglichen. Und dies gelingt auch in aller Regel mit Einhaltung der entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen. Bei der Bewegung gegen Rassismus handelt es sich um ein hochaktuelles und auch herausgehoben wichtiges Thema, das aber auch mit dem Infektionsschutz in Einklang gebracht werden muss.
Welche Erwartungen haben Sie an die Teilnehmer solcher Großdemonstrationen?
Ich denke, man kann von Teilnehmern schon eine sorgfältige Abwägung erwarten, ob sie sich wirklich auch noch mitten in das Gedränge stellen wollen, sobald sie sich dem Ort der Kundgebung nähern. Wir brauchen insgesamt eine Rückkehr zu der Sensibilität gegenüber Corona, die bis vor wenigen Wochen noch überall zu spüren war. Die Geschehnisse am Sonnabend bedeuten keineswegs einen Präzedenzfall, wir werden die Einhaltung der Regeln weiter sicherstellen. Andernfalls wäre das auch ein Schlag in das Gesicht etwa von Eltern oder Gastronomen, die die Auflagen weiter gewissenhaft folgen.