Hamburg. Polizeipräsident Meyer sieht einen Lerneffekt in der Bevölkerung. Bislang kam es zu 650 Verstößen in Hamburg gegen die Verbote.
Die Hamburger Polizei muss beispiellose Einschränkungen durchsetzen – und sich selbst für die Corona-Pandemie wappnen. Im Interview mit dem Abendblatt spricht Polizeipräsident Ralf Martin Meyer über den Erfolg der Kontrollen und Gefahren langer häuslicher Isolation. Er warnt zudem vor Betrügern, die sich die Krise mit unterschiedlichen Maschen zunutze machen.
Hamburger Abendblatt: Herr Meyer, seit mehr als einer Woche ist das öffentliche Leben in Hamburg deutlich heruntergefahren – und die Situation erscheint vielen Hamburgern noch immer surreal. Wie empfinden Sie die Lage?
Ralf Martin Meyer: Es ist seltsam, dass die Welt so plötzlich stillzustehen scheint. Das habe ich mir auch nicht vorstellen können. Für uns als Polizei bedeutet die Situation aber, dass wir jetzt mit großer Professionalität unsere Aufgaben wahrnehmen müssen.
Polizisten sind überall in der Stadt unterwegs und ermahnen, die Regeln einzuhalten. Wie kooperativ ist die Bevölkerung?
Ralf Martin Meyer: Sie verhält sich wirklich zu sehr großen Teilen sehr gut und einsichtig. Es hat in den vergangenen Tagen noch einmal ein Lerneffekt stattgefunden. Es sind Einzelfälle, in denen noch gegen diese notwendigen Maßnahmen verstoßen wird.
Wie viele Verfahren wurden bislang wegen Verstößen eingeleitet?
Ralf Martin Meyer: Etwa 650. Mit welchen Strafen sie schließlich enden werden, ist noch nicht abzusehen. Es handelt sich dabei um Verfahren, bei denen bewusst und meist mehrfach gegen die Allgemeinverfügung verstoßen wurde – etwa von Gastronomen, aber auch anderen Bürgern. In diesen Fällen sind wir dann auch zum Handeln gezwungen.
Nach den Vorgaben der Bundesregierung müsste die Polizei jedes Paar mit einem Kind darauf überprüfen, ob die Erwachsenen verheiratet sind oder zusammenleben ...
Ralf Martin Meyer: Wir gehen mit Augenmaß vor. Das bedeutet, dass wir etwa in solchen Fällen nicht generell kontrollieren. Die Zielgruppen sind ja auch wirkliche Ansammlungen, etwa von Männern im gleichen Alter. Und es reicht in der Regel schon eine freundliche Ermahnung, wo das überhaupt noch nötig ist.
Coronavirus: Bürgermeister Tschentscher dankt Hamburgern
Sie haben polizeiintern eine „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) gegründet, ähnlich wie bei G 20. Sind sie damit auch auf eine weitere Verschärfung der Lage vorbereitet?
Ralf Martin Meyer: Ja. Hinter diesem Schritt steckt zentral die Überlegung, dass wir es schaffen wollen, der aktuellen Entwicklung gedanklich jeweils ein Stück voraus und vorbereitet zu sein. Deshalb gibt es innerhalb der BAO auch eine Gruppe, eine Art „Brain Trust“, die sich darauf konzentriert. Wir setzen auch schon Schritte aus den festgelegten Pandemieplänen um.
Hilft Ihnen die Erfahrung des G-20-Gipfels dabei, die jetzige Situation zu bewältigen?
Ralf Martin Meyer: Nur sehr bedingt. Denn der G-20-Gipfel selbst war ein zeitlich sehr begrenztes Ereignis. Das ist hier anders. Die derzeitige Situation könnte sich in ähnlicher Schärfe über zwei oder drei weitere Monate hinziehen. Niemand weiß, wann es zu Ende ist. Das bringt sehr eigene Herausforderungen mit sich.
Wie lange kann der Polizeiapparat die aufwendige Sicherung aufrechterhalten?
Ralf Martin Meyer: Die Kollegen arbeiten in ihrem normalen Pensum. Dass etwa keine Fußballspiele und keine Demonstrationen mehr stattfinden, ist in dieser Hinsicht eine Entlastung. Wir stellen uns aber darauf ein, dass wir einen Austausch von Personal vornehmen müssen, wenn es eine steigende Zahl von Infektionen in unseren Reihen geben sollte. Alle üblichen Anwesenheitsregelungen sind aufgehoben, damit wir so flexibel wie möglich sind.
Aus der Polizei wurde deutliche Kritik laut, dass zu wenig zum Schutz der Beamten unternommen werde. Es solle etwa eine Reserve an verfügbaren Kräften geben.
Ralf Martin Meyer: Ich teile diese Einschätzung zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Es ist ganz elementar, dass wir als Polizei so präsent und ansprechbar wie möglich sind. Deshalb sind auch zusätzlich zu den Kräften der Schutzpolizei noch Polizeischüler von unserer Akademie an den Kommissariaten im Einsatz. Der Lage vorauszubleiben, bedeutet aber auch, dafür zu sorgen, dass wir in jedem Fall handlungsfähig bleiben. Das werden wir auf Sicht tun.
Haben Sie Sorge, dass es negative Folgen geben könnte, wenn die Menschen noch wochenlang zu Hause bleiben müssen?
Ralf Martin Meyer: Das haben wir im Blick. Es ist in der derzeitigen Situation so, dass es Menschen teilweise auch auf engerem Raum für eine längere Zeit miteinander aushalten müssen. Es ist denkbar, dass es aus solchen Situationen etwa verstärkt zu Fällen von Stress und häuslicher Gewalt kommt. Ich halte die jetzt gefundene Regelung aber auch deshalb für gut, weil sie den Menschen die Möglichkeit gibt, noch rauszugehen, etwas Sport zu treiben, frische Luft zu schnappen und nicht jede Minute miteinander zu verbringen.
Also wäre eine Ausgangssperre aus polizeilicher Sicht gefährlich?
Ralf Martin Meyer: Ich glaube, niemand will eine solche drastische Maßnahme. Auch wir unternehmen alles, unseren Beitrag zu leisten, damit es bei den jetzigen Einschränkungen bleiben kann – solange sie nötig sind.
Wie entwickelt sich die Kriminalität in Zeiten von Corona?
Ralf Martin Meyer: Wir haben in verschiedenen Bereichen ein wirklich signifikant sinkendes Fallaufkommen – bei Alltagskriminalität wie dem Taschendiebstahl ebenso wie beim Straßenraub, wo wir uns ohnehin auf einem historisch tiefen Stand an Straftaten in Hamburg bewegen. Die Zahl der Einbrüche sinkt ebenfalls, dies hängt mutmaßlich aber auch mit dem Ende der dunklen Jahreszeit zusammen.
Gibt es auch Bereiche, in denen die Fallzahlen derzeit steigen?
Ralf Martin Meyer: Wir erwarten, dass die Täter im gesamten Bereich der Internetkriminalität ihre Aktivität noch weiter intensivieren. Das betrifft besonders den Betrugsbereich. Wir erleben schon jetzt Fälle, in denen da etwa große Pakete von Atemschutzmasken für hohe Preise verkauft, aber niemals geliefert werden. Auch der bekannte Enkeltrick wird in einer Coronavariante und um Geld für einen angeblich im Krankenhaus liegenden Angehörigen angewendet.
Zuletzt gab es Warnungen, dass sich Trickbetrüger an Haustüren als Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ausgeben.
Ralf Martin Meyer: Auch Fälle mit diesem Vorgehen haben wir registriert. Wir warnen eindringlich davor. Es gilt auch in der derzeitigen Ausnahmesituation, ein gesundes Misstrauen zu bewahren – und beim kleinsten Verdacht die 110 zu wählen.
Wie sehen Sie Hamburg bei der Bewältigung der Krise aufgestellt?
Ralf Martin Meyer: Ich bin optimistisch, weil die Stadt sich sukzessive in allen Bereichen umfassend und professionell aufstellt. Die kommenden Wochen werden ohne Zweifel eine Herausforderung. Aber ich glaube, wir bestehen sie gemeinsam.
Lesen Sie hier alles zum Coronavirus in Hamburg und dem Norden im aktuellen Newsblog.