Hamburg. Experten und BUND kritisieren die Pläne: Hamburg tut weniger als andere Städte. An diesen Straßen könnte es ruhiger werden.

Die Umweltbehörde will in der aktuellen Wahlperiode den Schutz der Bürger vor Straßenlärm offenbar ausweiten. „Der neue Koalitionsvertrag bietet die Grundlage, um beim Lärmschutz einen großen Schritt voranzukommen“, sagte Umweltbehördensprecher Jan Dube dem Abendblatt. „Er sieht jetzt auch laute Straßen der Kategorie 2 für Lärmminderungen vor, das betrifft mindestens 78 Straßen und Straßenabschnitte zusätzlich.“ Zu dieser Kategorie gehörten Straßen mit durchschnittlicher Lärmbelastung von 65 Dezibel am Tag und 55 Dezibel in der Nacht. Bisher waren Lärmschutzmaßnahmen nur an „47 Lärmbrennpunkten der Kategorie 1 (70 Dezibel tagsüber, 60 Dezibel nachts)“ geplant worden. Diese sollen nun „neu betrachtet und definiert werden“.

Lärmschutz durch Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde

Zu den „gutachterlich ermittelten Lärmbrennpunkten der Kategorie 2, die für konkrete Maßnahmen zur Lärmminderung betrachtet werden sollen“, gehören nach Angaben des Sprechers Eilbektal (Bezirk Wandsbek), Rodigallee (Wandsbek), Alsterdorfer Straße (Nord) Billstedter Hauptstraße (Mitte), Heußweg (Eimsbüttel), Hasselbrookstraße (Wandsbek), Augustenburger Straße (Altona) und Alter Teichweg (Nord) sowie Sander Damm (Bergedorf) und Zur Seehafenbrücke (Harburg). Die komplette Liste könne die Behörde derzeit noch nicht vorlegen, da sie noch nicht abschließend feststehe.

Als gängige Maßnahmen gegen eine hohe Lärmbelastung gelten ein (zumindest nächtliches) Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde, der Einsatz von Flüsterasphalt, der Bau von Schallschutzwänden oder die Installation von Spezialfenstern.

Kritik von Gutachterbüro und Naturschützern

Lärmexperten wie Christian Popp vom Gutachterbüro Lärmkontor und der Naturschutzverband BUND hatten zuletzt kritisiert, dass der Lärmschutz auch im neuen Koalitionsvertrag kaum eine Rolle spiele – obwohl Hamburg ohnedies in diesem Bereich viel weniger tue als andere Städte. Zudem würden Vorgaben, die schon seit Jahren hätten umgesetzt sein müssen, als neue Ziele verkauft.

So heiße es im Vertrag etwa, man wolle den „Lärmaktionsplan für Hamburg (Stufe 3) und das Schallschutzprogramm fortschreiben“. Dieser Plan allerdings hätte längst vorliegen müssen, so die Kritiker. „Die Stufe 3 der Lärmaktionsplanung musste laut Bundes-Immissionsschutzgesetz schon im Sommer 2018 fertiggestellt werden. Hamburg hat also schon zwei Jahre Verspätung“, sagt Christian Popp aus dem Lärmkontor-Beirat mit einem Hauch Sarkasmus. „Die Fortschreibung dieser Verspätung in Anbetracht der 2022 anzugehenden Stufe 4 kann nur ein Tippfehler im Koalitionsvertrag sein.“

Experte wirft Koalitionären indirekt mangelnde Sachkenntnis vor

Insgesamt biete Hamburg „beim Schutz vor Lärm insbesondere im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Lärmaktionsplanung etwa im Vergleich zu Berlin ein trauriges Bild“, so Popp. „Der Koalitionsvertrag hätte eigentlich die Möglichkeit gehabt, zukunftsweisende Maßnahmen zur Lärmreduzierung zu vereinbaren. Maßnahmen wie lärmarme Straßenbeläge, Schallschutzfenster und Tempo 30 werden anderenorts seit vielen Jahren, ohne viel Aufhebens davon zu machen, erfolgreich eingesetzt.“

Zugleich wirft der Experte den Koalitionären zumindest indirekt mangelnde Sachkenntnis vor. So heißt es an einer Stelle im im Vertrag: „An gewerbliche Nutzungen heranrückende Wohnbebauung erfordert teilweise die Anwendung neuer technischer Möglichkeiten, wie z. B. den Einsatz des ‚HafenCity-Fensters‘.“ Dieses Fenster aber feiere „jetzt bald seinen 20. Geburtstag und hat sich bei unzähligen Gebäuden nicht nur in der HafenCity in den vergangenen mehr als 15 Jahren bewährt“, so Popp. „Deshalb hat diese Lösung auch bereits vor mehr als zehn Jahren Eingang in die Hamburger Regelungen zum Schutz vor Lärm in der Bauleitplanung gefunden.“

Braasch: „Koalitionsvertrag bleibt im Thema Lärm erschreckend vage“

Unzufrieden mit den Ausführungen zum Lärmschutz im Koalitionsvertrag zeigt sich auch der BUND. „Hamburg hätte bis zum 18.07.2018 einen Lärmaktionsplan aufstellen müssen“, sagt Hamburgs BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch. „So sieht es die Umgebungslärmrichtlinie der EU vor.“ Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) habe dem BUND im November 2018 eine Öffentlichkeitsbeteiligung zum Lärmaktionsplan zugesagt, passiert aber sei nichts. Dabei habe die Zahl der Lärmbetroffenen zuletzt weiter zugenommen.

IHamburgs BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch
IHamburgs BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

„Die Lärmschutzpolitik in Hamburg kann nur besser werden“, so Braasch. „Der Koalitionsvertrag bleibt im Thema Lärm allerdings erschreckend vage. So will Rot-Grün zum Beispiel in Bezug auf den Flughafen lediglich ‘anstreben’, die Lärmemission zu senken. Da jetzt aber Umwelt- und Verkehrsbehörde in grüner Hand sind, erwarten wir ein konsequentes Handeln insbesondere beim Straßenlärm. Die Liste der 40 lautesten Straßen in Hamburg liegt vor, passiert ist aber viel zu wenig. Der neue Lärmaktionsplan – seit Langem überfällig – muss spätestens am Ende des Jahres vorliegen.“

Lärmaktionsplan soll jetzt fortgeschrieben werden

Tatsächlich hieß es aus der Umweltbehörde in den vergangenen Jahren öfter, man könne wenig tun, wenn die von der SPD verantwortete Behörde für Wirtschaft und Verkehr sich querstelle. Da die Verkehrsbehörde nun ebenfalls von den Grünen geführt wird, könnte das anders werden. „Der Lärmschutz bleibt ein wichtiges Thema“, so Dube. Bei der Fortschreibung der Pläne gebe es aus seiner Sicht auch keine Verspätung, so der Sprecher – und deutet die Rechtslage damit anders als BUND und Popp. „Lärmaktionspläne sind alle fünf Jahre zu überprüfen. Für die Überarbeitung ist keine Frist gesetzt. Wir nehmen jetzt unverzüglich die Arbeit an der Fortschreibung auf. Der aktualisierte Lärmaktionsplan soll konkrete Maßnahmen benennen, die Wirkung entfalten.“