Hamburg. Mehrere bekannte Formate, darunter der “Tatort“, sind betroffen. Auch in anderen Bereichen gibt es Einschnitte.
Statt 240 Millionen Euro muss der NDR in der kommenden Beitragsperiode von vier Jahren offenbar insgesamt 300 Millionen Euro einsparen. Dafür würden die Ausgaben für Personal, Produktion, Verwaltung und Programm gesenkt, teilte der Sender am Freitag in Hamburg mit. Das wären von 2021 bis 2024 jährlich 75 Millionen Euro pro Jahr anstatt der noch in der Antrittsrede des Intendanten Joachim Knuth im Januar angenommenen 60 Millionen Euro.
Die Einschnitte betreffen alle Bereiche. So sollen bis 2028 zehn Prozent der Personalausgaben des NDR gekürzt werden. Dafür werden über alle Bereiche hinweg mindestens 200 Planstellen nicht nachbesetzt. Betriebsbedingte Kündigungen hat der NDR nur bis 2024 tarifvertraglich ausgeschlossen.
Einschnitte im Fernsehprogramm des NDR
Mehrere NDR-Formate werden gestrichen oder ins Internet verlagert: Die "Inselreportagen" fallen den Einsparungen genauso zum Opfer wie "Lieb und teuer". Laut Informationen des Branchendienstes DWDL, der zuerst über das Sparprogramm berichtet hatte, sollen auch das "Bücherjournal" und der "NDR Comedy Contest" gestrichen werden.
Das Medienmagazin "Zapp" und das "Kulturjournal" sollen zukünftig "auch mit Blick auf die veränderte Mediennutzung" in erster Linie online produziert werden. Insgesamt seien "in erster Linie Einschnitte im Bereich Unterhaltung" geplant: Das betrifft auch den "Tatort" und weitere Formate, die als Zulieferungen für die ARD produziert werden.
Beim "Tatort" kommen allein vier verschiedene Ermittlerteams vom NDR: Borowski und Sahin (Kiel, Axel Milberg und Almila Bagriacik), Falke und Grosz (Hamburg, Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz), Lindholm und Schmitz (Hannover, Maria Furtwängler und Florence Kasumba) und Tschiller und Gümer (Hamburg, Til Schweiger und Fahri Yardim). Künftig sollen weniger Folgen produziert werden.
Der Sender betont, dass "das Engagement des NDR" für die in Lokstedt produzierten Nachrichten von ARD-aktuell wie "Tagesschau" und "Tagesthemen" "höchste Priorität" behalten werde.
Sparzwang trifft auch Radioformate des NDR
In den Radioprogrammen des NDR wird es ebenfalls Kürzungen geben: Bei NDR Info fallen das "Zeitzeichen" und das "Echo des Tages" weg, auch bei NDR 2 und N-Joy wurden Einsparungen "durch Streichung von Formaten und Festivals wie 'stars@ndr2'" angekündigt. Gleichzeitig soll NDR Info noch stärker auf Informationen fokussiert werden, "andere Programmangebote wie Hörspiele werden zukünftig bei NDR Kultur gesendet".
Schon zuvor war bekannt geworden, dass NDR 2 seinen zum Saisonende auslaufenden Vertrag als Medienpartner des HSV nicht verlängert.
NDR-Orchester sollen Personalkosten senken
Den Musikensembles wie dem NDR Elbphilharmonie Orchester und der NDR Bigband stehen ebenfalls Kürzungen bevor: Bei allen Ensembles sollen die Personalkosten reduziert werden, "Veranstaltungen wie zum Beispiel das NDR Klassik Open Air fallen weg", heißt es in der Mitteilung des Senders. Darüber hinaus wird der NDR seine Großveranstaltungen deutlich auf nur noch eine pro Jahr pro Bundesland reduzieren, die Sommertouren der Landesfunkhäuser entfallen ersatzlos.
Im Bereich Produktion sollen "flächendeckend Standards gesenkt" werden, darüber hinaus wird es keine Investitionen in neue Technik geben.
Trotz Einschnitten: Knuth sieht Programm "an erster Stelle"
Trotz der zum Teil drastischen Einschnitte betonte Intendant Knuth: "Das Programm steht für uns unverändert an erster Stelle." Man müsse aber "angesichts der herausfordernden Finanzlage" Prioritäten setzen. Um die "publizistische Stärke" des NDR "bewahren und ausbauen" zu können, müsse man "an anderer Stelle auf Gewohntes verzichten".
Die Vorsitzende des NDR-Verwaltungsrats, der den Sparplan gebilligt hatte, Regina Möller, stärkte Knuth demonstrativ den Rücken: "Der Verwaltungsrat unterstützt den Intendanten und den NDR bei den schwierigen Einschnitten. Die Maßnahmen sind notwendig, damit sich der NDR auch unter erschwerten finanziellen Bedingungen langfristigen Gestaltungsspielraum bewahrt und seinen öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag für die Menschen im Norden auch weiterhin erfüllen kann."
Wie der NDR das Sparpaket begründet
Zur Begründung des um 60 Millionen Euro erhöhten Sparvolumen verweist der NDR auf den 2015 auf 17,50 Euro gesunkenen Rundfunkbeitrag. Die Einnahmen aus den Beitragszahlungen könnten die "allgemeinen Kostensteigerungen nicht auffangen", auch die für 2021 empfohlene Erhöhung des Beitrags auf 18,36 Euro, der die Länderparlamente noch zustimmen müssen, "bedeutet für den NDR faktisch keine Steigerung", erklärt der Sender. Die anstehende Beitragsbefreiung für Zweitwohnungen träfe den NDR darüber hinaus stärker als andere Sender der ARD.
Erträgen von einer Milliarde Euro im Jahr 2018 hätten Ausgaben in Höhe von 1,22 Milliarden Euro gegenübergestanden. 40 Prozent (488 Millionen Euro) davon entfielen auf Personalkosten.
Neues NDR-Hochhaus belastet Budget zusätzlich
Die Folgen der Corona-Krise hätten "die Einsparnotwendigkeit für die nächsten Jahre noch einmal deutlich erhöht", der geplante Neubau am Standort Lokstedt belaste das Budget zusätzlich: "Diese Sondereffekte zwingen den Norddeutschen Rundfunk zu den drastischen Ausgabenkürzungen."
Ob, wie von DWDL berichtet, das mit Asbest belastete NDR-Hochhaus in Lokstedt zur zusätzlichen Kostensenkung vorerst nicht abgerissen wird, dazu gab es zunächst keine Angaben. Der NDR hatte die Pläne für den Neubau, ein sogenanntes "crossmediales Programmhaus", das vom Hamburger Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) geplant wird, erst im Februar vorgestellt.
Heintze: NDR Garant für Qualitätsjournallismus
Die politischen Reaktionen aus Hamburg reichen von Verständnis bis Ablehnung. Farid Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, sagt: „Die kommende Rundfunkbeitragserhöhung ab 2021 deckt leider nicht alle Kosten beim NDR. Wir Grüne bedauern das sehr. Wir hoffen, dass die jetzt anstehenden Einsparungen mit Blick auf den Abbau von Personal und Programmeinschnitten nicht die inhaltliche Kompetenz des Öffentlichen Rundfunks in Frage stellt.“ Dieser Vorgang zeige, wie unverantwortlich der bisherige Streit einiger Bundesländer gewesen sei, überhaupt keine angemessene Rundfunkbeitragserhöhung mehr zuzulassen.
Roland Heintze, Landesvorsitzender der CDU Hamburg, sieht im NDR einen Garanten „für verlässlichen Qualitätsjournalismus im Norden“. Heintze: „Gerade jetzt brauchen wir mehr und nicht weniger davon. Wir dürfen dem digitalen Content-Recycling und Fake News nicht das Feld überlassen.“ Er hoffe, dass es gelingt den Bildungsauftrag und die hohe Medienkompetenz zu halten. „Deshalb sollten Einsparungen nicht nur zulasten der Redaktionen und Journalisten gehen. Auch die allgemeine Kosten- und Verwaltungsstruktur sollte überprüft werden.“ Unabhängig davon erwarte er einen stärkeren Einsatz des Senats für den Medienstandort Hamburg und „eine Strategie gegen die Abwärtsspirale“.
Die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein sagte dem Abendblatt: „Die Wirtschaftskrise nach dem Corona-Shutdown trifft fast alle Branchen. Deswegen ist es konsequent, wenn auch der NDR schlankere Haushalte beschließt. Je weniger von den Einsparungen direkt das Programm betreffen, umso besser ist es für die Gebührenzahler.“ Sie persönlich bedauere die Einstellung des „Bücherjournals“ sehr.
Linke: Kürzungen "besonders bitter"
Die AfD-Fraktion begrüßt die NDR-Sparpläne, auch wenn diese aus ihrer Sicht sehr spät kommen. „Der Sparwille der Sendeanstalten muss endlich erkennbar werden. Das fällt aber schwer, wenn man sieht, dass der NDR-Intendant 355.000 Euro bekommt und damit fast doppelt so viel wie der Erste Bürgermeister“, sagt die stellvertretende medienpolitische Sprecherin der Fraktion, Olga Petersen.
Die Linke hingegen beunruhigen die Kürzungen im NDR. „Wir leben in einer Medienkrise“, sagt Norbert Hackbusch, medienpolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Bürgerschaft. „Das ist in einer krisenhaften gesellschaftlichen Situation, in der Verschwörungstheorien schnell verbreitet werden, besonders gefährlich. Daher sind die Kürzungen in der wichtigsten Institution des Journalismus im Norden besonders bitter.“ Hackbusch fordere eine Rücknahme der Pläne.
Von der Hamburger SPD war am Freitagabend keine Stellungnahme zu den NDR-Plänen zu bekommen.