Hamburg. NDR und Radio Hamburg mit Reaktionen auf den offenen Brief von Sänger Michy Reincke („Taxi nach Paris“).
Die Coronakrise traf die Popszene und die Menschen dahinter mit als erstes, denn Livemusik ist die wichtigste Einnahmequelle. Was bleibt, sind die – seit Jahren sinkenden – Verkäufe von klassischen und digitalen Tonträgern sowie Streaming-Anteile im Cent-Bereich und Fanartikel-Verkauf. Nicht zu vergessen: Der Hörfunk. Jede gesendete Liedminute bedeutet Einnahmen durch Tantiemen für die Urheber.
In einem offenen Brief wandte sich der Hamburger Sänger, Songschreiber und Labelbetreiber Michy Reincke („Taxi nach Paris“) am Dienstag an den NDR-Intendanten Joachim Knuth mit dem Vorschlag, als Zeichen der Solidarität norddeutscher Popkultur mehr Platz zu geben: „Wie wäre es, wenn auf den Wellen des NDR, jedes Nachtprogramm von 0 Uhr bis 5 Uhr morgens, formatfrei mit den Musikangeboten der regionalen, nicht an Unterhaltungskonzerne angeschlossenen, Kulturschaffenden gestaltet werden würde?“, schreib Reincke.
Seiner Ansicht nach sind diese Sendezeitfenster für die Ermittlung der „Heiligen Quote“ nicht relevant. Mit Ideen wie diesen ist Reincke nicht allein. Bereits am 1. April initiierte die Musikerin Tokunbo Akinro mit 40 weiteren Bands und freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern, darunter Fjarill, Ulita Knaus, Sarajane, Miu und Michel van Dyke, den Aufruf „Airplay for Artists“.
Radiosender reagieren auf Reincke-Appell
Die ersten Sender antworteten bereits: „Unser Motto ist ‚gemeinsam gegen Corona – gemeinsam für Hamburg‘. Das gilt auch und ganz besonders für den Musikbereich. Wir können hier ganz einfach ein Zeichen der Solidarität mit unseren hiesigen Künstlern zeigen“, teilte die Musikchefin von Radio Hamburg, Tanja Ötövs, mit. Seit dem 16. April wird wöchentlich an jedem Donnerstag von 20 Uhr bis 22 Uhr eine Sondersendung mit Hamburger Titeln ausgestrahlt.
Auch der NDR hat sich mit Michy Reinckes Vorschlag auseinandergesetzt: „Wir senden nachts kein individuelles Programm, sondern in den Nachtstunden produzieren die vier NDR 1 Landesprogramme gemeinsam die deutschlandweite ARD-Hitnacht, die von zahlreichen Melodie- und Landeswellen der ARD in ihrem Nachtprogramm übernommen wird. Eine Konzentration auf norddeutsche Musiker würde von den übrigen Programmen in Hessen, Rheinland-Pfalz oder im Saarland kaum akzeptiert.
Auch NDR 2 sendet kein eigenes Nachtprogramm, sondern übernimmt die ARD Popnacht von SWR 3“, schreibt NDR-Pressesprecher Frank Jahn auf Abendblatt-Anfrage, „ein eigenes Nachtprogramm wäre zudem finanziell und organisatorisch – gerade in der jetzigen Situation – nicht umsetzbar.“
Aktionstag am 1. Mai im Radio
Grundsätzlich gestalte der NDR laut Jahn seine Musikprogramme so, dass sie den Wünschen und Hörgewohnheiten des Publikums entsprechen würden, zusammengestellt nach regelmäßigen Forschungen und Befragungen. Allerdings spielen die NDR-Stationen in der derzeitigen Ausnahmesituation vermehrt Lieder aus der Region im Rahmen von Internet-Aktionen wie „Kultur trotz Corona – die NDR Bühne“ und regelmäßiger Formate wie „Hamburg Sounds“ und „Kulturjournal“ (NDR 90,3), „Soundcheck Musikszene Deutschland“ (NDR 2) oder „Newcomer des Monats“ (N-JOY).
„Am 1. Mai wird es zudem einen bundesweiten Aktionstag der jungen ARD Radioprogramme geben, an dem mehr Musik denn je von heimischen Acts und von Newcomern laufen wird“, sagt Jahn. Und es soll geplant sein, die Beiträge von „Kultur trotz Corona“ im NDR-Fernsehen zu senden. „Diese Auftritte können Künstlerinnen und Künstlern zusätzliche Einnahmen über Verwertungsgesellschaften wie die GEMA bringen.“