Hamburg. UKE-Rechtsmediziner und weitere Wissenschaftler fordern Öffnung von Schulen und Kitas. Wovor die Experten warnen.

Eine Forschergruppe um den Internisten Prof. Matthias Schrappe, an der jetzt auch der UKE-Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel beteiligt ist, hat ein weiteres Thesenpapier zur Bewältigung der Coronakrise vorgelegt. Darin wird laut Schrappe ein „dritter Weg“ vertreten. Die neue Infektionskrankheit stelle „keinen Anlass dafür dar, in quasi metaphysischer Überhöhung alle Regeln, alles Gemeinsame, alles Soziale infrage zu stellen oder sogar außer Kraft zu setzen“, heißt es in dem Papier der Gruppe aus Forschern verschiedener Fachrichtungen, die bereits Anfang April ein erstes Thesenpapier vorgelegt hatte. Damals war auch der Hamburger Gesundheitsstaatsrat Matthias Gruhl beteiligt.

Es sei „jetzt der Zeitpunkt gekommen, die Präventionsstrategie grundlegend zu überdenken“, schreiben die Forscher in ihrem 77-seitigen Papier. Allgemeine Präventionskonzepte wie „Schulschließungen, social distancing, etc.“ müssten „durch zielgruppenspezifische Konzepte ergänzt und abgelöst werden“.

Diese sollten „einen besonderen Schutz von Risikogruppen vorsehen, die durch hohes Alter, Komorbidität, nosokomiale Risiken und Kontakt mit Infektionsherden gefährdet sind“. Als nosokomiale Infektionen werden Ansteckungen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen bezeichnet. Allgemeine Präventionskonzepte mit Einschränkungen für alle führten zu dem Paradoxon, „dass sie umso länger andauern müssen, umso erfolgreicher sie sind (Befürchtung der ,zweiten Welle‘)“.

Auswirkungen des Lockdown auf den Verlauf der Corona-Epidemie schwer abzuschätzen

Zugleich betonen die Verfasser, dass es aus ihrer Sicht nicht belegt sei, wie Einschränkungen sich auf die Virus-Ausbreitung auswirkten. „Die positiven Auswirkungen des Lockdown auf den Verlauf der Epidemie sind schwer abzuschätzen, sichere Hinweise auf eine Wirkung der verschiedenen Ausprägungen existieren bislang nicht“, heißt es in dem Papier. Man müsse bei der Betrachtung „unerwünschte Nebeneffekte“ einschließen, etwa dass andere Erkrankungen weniger behandelt würden, sich die soziale Situation von Menschen verschlechtere und es mehr häusliche Gewalt gebe.

Die Forscher plädieren für eine Wiedereröffnung von Schulen und Kitas. „Der Stand der umfangreichen Literatur lässt hier eine relativ sichere Aussage zu“, schreiben die Wissenschaftler. „Kinder werden seltener infiziert, sie werden seltener krank, die Letalität liegt nahe bei null, und sie geben die Infektion seltener weiter, sodass der Öffnung unter entsprechender wissenschaftlicher Begleitung nichts im Wege stehen sollte.“

Kritik an geplanter Corona-App

Skeptisch äußern sich die Verfasser zur geplanten Corona-App – und plädieren für die Einrichtung von „regionalen Corona-Task-Forces“. Diese „sollten in der Lage sein, kurzfristig Institutionen zur Seite zu springen, die ein Problem mit einem vorher unbekannten Corona-Fall entweder bei Mitarbeitern oder bei Patienten/Bewohnern haben“.

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Zudem werden in dem Papier Kriterien bzw. Gruppen vorgeschlagen, nach denen bei Obduktionen festgestellt werden soll, ob ein Mensch an der Corona-Infektion oder an anderen Erkrankungen gestorben ist und nur außerdem mit dem Virus infiziert war. Obduktionen sollten bei Verdachtsfällen verpflichtend eingeführt werden, so die Forderung.

Warnung vor Überlastung des Gesundheitswesens

Während die Forscher in ihrem ersten Papier noch davon ausgingen, dass bis zu 80 Prozent der Infektionen ohne Symptome verliefen, schreiben sie jetzt von „bis über 50 Prozent“. Zum Vergleich: Die aktuelle Studie über den Infektionsherd Heinsberg fand 22 Prozent asymptomatische Infizierte.

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    Von einer zu großen Ausweitung ungerichteter Testungen raten die Forscher ab. Diese könne selbst bei kleinen Fehlerquoten hohe Zahlen falsch positiv Getesteter ergeben und so zur Überlastung des Gesundheitswesens führen.

    Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

    • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
    • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
    • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
    • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
    • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden