Hamburg. Der ehemalige Stadtentwicklungssenator Willfried Maier fordert in der Coronakrise ein neues Denken in der Hamburger Verkehrspolitik.
Willfried Maier saß von 1993 bis 2008 für die Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft, 1997 bis 2001 war er Stadtentwicklungssenator. Heute ist der 78-Jährige Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft.
Hamburger Abendblatt: Herr Maier, haben Sie eigentlich mehr Angst vor Corona oder mehr Angst vor den Folgen des Virus?
Willfried Maier: Eigentlich mehr von den Folgen des Virus für die Gesellschaft, persönlich bin ich nicht so ängstlich.
Sie waren Stadtentwicklungssenator - wie werden sich die Städte verändern?
Maier: Ich fürchte, dass etwas passiert, was bis vor Kurzem undenkbar schien. Es wird eine Renaissance des Autos geben, weil die Menschen Angst haben, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen — und diese Angst wird noch ein wenig anhalten. So lange kein Medikament oder kein Impfstoff in Sicht sind, werden die Menschen aus Furcht vor einer Infektion verstärkt auf ihr Auto zurückgreifen. Im Moment fällt das kaum auf, weil weniger Menschen unterwegs sind. Wenn sich das Leben aber normalisiert, wird es unübersehbar. Deshalb müssen wir jetzt darüber nachdenken, wie wir Individualverkehr in der Stadt ohne Auto ermöglichen.
Wie kann das aussehen?
Maier: Gerade jetzt, wo es auf den Sommer zugeht, können wir viel mehr Wege mit dem Fahrrad zurücklegen. Dafür benötigen wir Straßenraum. Ich schlage vor, dass wir auf den großen Magistralen, die schnelle Verbindungen ermöglichen, jeweils eine Fahrbahn für den Autoverkehr sperren und für den Fahrradverkehr öffnen.
Kieler Straße, Ring 2, Stresemannstraße - Sie wollen diese Magistralen nur noch zweispurig für den Autoverkehr öffnen?
Maier: Genau, wie auch beispielsweise die Gärtnerstraße oder die Schäferkampsallee.
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Sind solche Maßnahmen in der Stadt mehrheitsfähig?
Maier: Ich glaube schon, wenn es sehr schnell passiert. Wenn wir abwarten, bis die Verkehrsdichte wieder zunimmt, wird es deutlich schwieriger. Wir müssen den Menschen klar machen, dass es eine vorläufige und vorübergehende Maßnahme ist. Wenn der Ausbau des Radwegenetzes voranschreitet, kann man das auch wieder zurücknehmen.
Sehen Sie in der Coronakrise auch eine Chance für die Stadt?
Maier: Ja, sicher. Krise zwingen uns, neu zu denken. Selbst so alte Menschen wie ich machen inzwischen Videokonferenzen. Wir lernen Neues und müssen lernen, Neues zu wagen.
Die Patriotische Gesellschaft hat mit der Initiative „Altstadt für alle“ gezeigt, wie Verkehrsberuhigung funktionieren können. Das zeitlich begrenzte fußgängerfreundliche Rathausquartier kam sehr gut an…
Maier: Dieses Projekt habe ich vor Augen. Nach anfänglicher Abwehr waren die Menschen am Ende sehr zufrieden. 93 Prozent der Befragten wünschen sich eine Fortsetzung des Projektes im Jahr 2020.
Liegt in der Verkehrsberuhigung auch eine Chance für Not leidende Gastronomen an den Straßen? Die Fußwege würden ja breiter, wenn die Radler auf die Straßen ausweichen.
Maier: Ja, dann gäbe es mehr Platz für Außengastronomie. Die Wirte sind auf Abstand angewiesen, was in den Innenräumen nur schlecht funktioniert. Und im Sommer treibt es die Hamburger ohnehin immer nach draußen.
Fürchten Sie, dass die Krise den ÖPNV längerfristig bremst?
Maier: Das will ich nicht hoffen. Der Senat muss an seinen Ausbauplanungen festhalten, weil diese Entscheidungen ja nicht für den Moment gemacht wurden. Da dürfen wir uns nicht von einer Entwicklung über ein oder zwei Jahre beirren lassen.
Es sind gerade Koalitionsverhandlungen. Sie waren von 1997 bis 2001 Stadtentwicklungssenator. Würden Sie ihrer Partei empfehlen, dieses Amt für sich zu beanspruchen?
Maier: Auf jeden Fall kann man heute mehr gestalten als damals. Vor 20 Jahren gab es noch die Trennung in eine Bau- und eine Stadtentwicklungsbehörde. Meine Behörde war eine relativ kleine Planungsbehörde mit angeschlossener sozialer Stadtteilentwicklung. Da lässt sich heute viel mehr bewegen. Bei den Grünen gibt es natürlich auch ein starkes Interesse an der Verkehrspolitik.
Engen die Koalitionsverhandlungen den Gestaltungsspielraum ein? Schnelle Entscheidungen scheinen derzeit kaum möglich zu sein.
Maier: Ja, wir haben einerseits eine starke Fixierung auf die Corona-Situation und gleichzeitig die eingeschränkte Beweglichkeit in den Behörden, weil manches noch politisch und personell sehr unklar ist. Das ist misslich. Aber eine schnelle Entscheidung in Bezug auf die Magistralen müsste auch unter diesen Bedingungen möglich sein. Man könnte einen Auftrag an Experten vergeben und dann gleich in der Verhandlungen absegnen.