Hamburg. Gemälde, Lithografien und Plastiken werden gerade restauriert und sollen ab Oktober im Ernst Barlach Haus zu sehen sein.
Loki und Helmut Schmidt kannten die Blicke – und hatten Spaß an den Reaktionen ihrer Besucher daheim in Langenhorn. Unmittelbar nach Passieren des winzigen Flurs hinter der Haustür begann die wundersame Kunstwelt des Ehepaars. Staatsgäste, Weggefährten und Privatbesucher staunten über eine einmalige, sehenswerte Melange aus Galerie, Museum und Sammelstübchen. Dicht an dicht hängen und stehen Bilder, Skulpturen, Kunstschätze und Erinnerungsstücke zweier langer Leben. Bewusst wurde nach dem Tod der beiden nichts geändert.
Bis jetzt.
Dass nun jedoch rund 100 Lithografien, Skizzen und Gemälde abgehängt werden, hat einen guten Grund: Die Objekte der schmidtschen Leidenschaft werden vorübergehend ausgelagert und bald für jedermann zu sehen sein. Das Motto der Ausstellung ist Programm: „Kanzlers Kunst“. Die private Sammlung von Loki und Helmut Schmidt soll vom 4. Oktober dieses Jahres an vier Monate im Ernst Barlach Haus im Jenischpark in Szene gesetzt werden. Parallel erscheint ein Buch, das erheblich über einen gewöhnlichen Katalog hinausgeht. Das Werk wird eine Bilderschau sowie sieben Aufsätze namhafter Autoren zum Thema enthalten.
Unter dem Strich erfahren Ausstellungsgäste und Leser eine Menge über die Wurzeln und die wachsende Kunstbegeisterung der beiden Ehrenbürger. Die Galerie im Doppelhaus am Neubergerweg umfasst Lithografien von Chagall und Picasso sowie Druckgrafiken und Gemälde von Käthe Kollwitz, Paula Modersohn-Becker oder Emil Nolde. Werke Hamburger Künstler wie Horst Janssen und Paul Kayser gehören dazu. Zu manchen der hiesigen Maler bestand ein persönliches Verhältnis.
Es ist eine individuelle, eigene Welt
Der Sinn für schöne Künste wurde Hannelore und Helmut von den Eltern mit auf den Lebensweg gegeben. In ihrem Falle ist diese Erziehung wegen ihrer Herkunft aus dem Arbeitermilieu Hammerbrooks erstaunlicher als bei seiner bürgerlichen Abstammung. Lokis Vater Hermann Glaser, lange arbeitsloser Elektriker auf einer Werft, war ebenso bildungsbewusst wie Mutter Gertrud, eine Näherin. Trotz ärmlicher Lebensverhältnisse und sehr knapper Kasse ermöglichten sie ihrer Tochter das Geigenspiel. Auch ihre Schwester Linde und Bruder Christoph musizierten. Auf der reformpädagogischen Lichtwarkschule in Winterhude lernte Loki ihren Helmut kennen.
1943, also inmitten des Zweiten Weltkriegs, kaufte sich das Paar das erste gemeinsame Kunstwerk. Das Ölbild des 1986 in Hamburg verstorbenen Malers Hugo Schmidt zeigt Barmbeker Hinterhöfe in damaliger Zeit. Dieses Bild ist eine Geschichte für sich. Ebenso wie beispielsweise Horst Janssens Farbzeichnung des Denkers Immanuel Kant oder Emil Noldes Radierung „Dampfer“ von 1910 oder dessen Ölgemälde „Bei der Schleuse“ gehört es zu den Ausstellungsstücken im Barlach Haus.
In besseren Zeiten, mit Blüte der Bundesrepublik, erweiterten die Schmidts ihre Sammlung – nach Lust, Geschmack und finanzieller Möglichkeit, indes ohne für Außenstehende erkennbares System. Neben den gerahmten Bildern an den Wänden kamen im Laufe der Zeit mehr als 50 Kleinplastiken hinzu. Sie wurden und werden in Vitrinen und Regalen, auf Fensterbänken oder auf dem Kaminsims gelagert. Es ist eine individuelle, eigene Welt.
Das Gesamtprojekt wird Jahre dauern
Zumal Loki und Helmut Schmidt zeitlebens Anhänglichkeit bewiesen – einmal vertrauten Menschen, aber auch lieb gewonnenen Gegenständen gegenüber. Beide konnten sich schlecht von geschätzten Stücken trennen. Folglich wurde es nicht nur an den Wänden immer enger. Die Helmut und Loki Schmidt Stiftung hat in akribischer Detailarbeit 6300 einzelne Gegenstände erfasst.
Damit jedoch ist es nicht getan. Um Interessierten auch künftig einen tadellosen Blick in das Haus in Langenhorn und auf die erstaunliche Kunstsammlung dort zu ermöglichen, werden Bilder und Plastiken restauriert. Für die Ausstellung „Kanzlers Kunst“ bestimmte Gegenstände sind zuerst an der Reihe. Das Gesamtprojekt wird Jahre dauern – und kostspielig sein.
Lesen Sie auch:
- Als Helmut Schmidt zum Rockabilly-Friseur ging
- Die Schmidts aus Hamburg – ein Jahrhundertpaar
- Helmut Schmidt – Dauerausstellung mit besonderen Exponaten
Die Arbeit an der Kunst im Hause Schmidt ist in vollem Gange. Risse müssen geschlossen, Farben gefestigt und Passepartouts erneuert werden. Am Werk ist ein vierköpfiges Spezialistenteam. Die Gemälderestauratorin Silke Beiner-Büth wirkt in Loki Schmidts Zimmer im Obergeschoss, die Papierrestauratorin Gudrun Kühl im stillgelegten Schwimmbad. Restauratorin Antonia Billib ist in ihrem Atelier in Stellingen im Einsatz, während der Fotograf Andreas Weiss die Sammlung dokumentiert.
Die Kunst der Schmidts hat „einen ikonischen Wert“
Koordiniert werden Ausstellung wie Buchprojekt von der Hamburgerin Friedrike Weimar. Die promovierte Kunsthistorikerin dirigiert seit 2017 die Inventarisierung des Schmidt-Nachlasses. Sie kennt Herkunft, Bedeutung und Lebenswerk der favorisierten Künstler des Ehepaars präzise. Vertreter der Hamburgischen Freilichtmalerei oder die Mitglieder des Hamburger Kunstclubs von 1897 sind Nuancen für Kenner. Loki und Helmut Schmidt gehörten dazu. „Die Kunst spielte in meinem gesamten Leben eine große Rolle“, pflegte der verstorbene Staatsmann früher zu sagen. Nicht nur die Mitstreiter der legendären Freitagsgesellschaft können das bestätigen.
„Ebenso wie das Haus hat die Kunst des Ehepaars Schmidt einen geradezu ikonischen Wert“, sagt Stefan Herms als Geschäftsführer der Stiftung. Da die Wohnräume am Neubergerweg nur begrenzt geöffnet werden können, „müssen wir die Kunst eben an einen Ort bringen, an dem sie angemessen präsentiert und von vielen Menschen betrachtet werden kann“.
Das Ernst Barlach Haus passe besonders wegen der intensiven Beziehung der Schmidts zum 1938 gestorbenen Künstler. Es war kein Zufall, dass Loki Schmidt das weiße Gebäude im Jenischpark als Versammlungsort für ihren 85. Geburtstag auswählte – sie wäre mit der Wahl bestimmt einverstanden.