Hamburg. Kommendes Jahr soll es eine neue Helmut-Schmidt-Ausstellung geben, die das Leben und Wirken des früheren Kanzlers zeigt.
Ob er jemals danach gefragt wurde? Trug er ihn bisweilen bei sich? Kaum vorstellbar eigentlich, dass früher jemand forderte: „Herr Bundeskanzler, Ihren Dienstausweis bitteschön.“ Als Hanseat mit preußischer Attitüde hätte Helmut Schmidt wahrscheinlich noch nicht einmal etwas dagegen gehabt. Deutsche Ordnung war nach seinem Sinn. Prinzipiell.
Wahrscheinlich jedoch nahm der vielgereiste Weltmann seinen Bundeskanzler-Ausweis selbst nicht allzu ernst. Dies wäre die Erklärung für einen ungewöhnlichen Umstand: Das offizielle Dokument, am 29. Mai 1974 von Bundesaußenminister und Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher unterschrieben, wurde erst jetzt zutage gefördert. Es lag in einem großen Karton unter einem Treppenabsatz des Schmidt-Archivs am Neubergerweg in Langenhorn – und drohte in Vergessenheit zu geraten.
Helmut Schmidt: Neue Ausstellung eröffnet im November 2020
Zusammen mit weiteren Erinnerungsstücken, die zwar überwiegend inventarisiert sind, indes nur nach und nach zugeordnet werden können, soll der äußerlich den ehemaligen Reisepässen ähnelnde Ausweis eine umfangreiche Ausstellung über Leben und Wirken des Staatsmannes bereichern. Die Eröffnung ist für den 10. November 2020 vorgesehen, dem fünften Todestag des früheren Kanzlers und Ehrenbürgers. Auf 250 Quadratmetern Ausstellungsfläche der Stiftung am Kattrepel (Helmut-Schmidt-Forum) in der Innenstadt sollen Themenwelten Politik und Persönlichkeit des charismatischen Hanseaten erlebbar machen.
Am Dienstag, mithin sechs Tage vor Helmut Schmidts 101. Geburtstag am 23. Dezember, zog die Bundesstiftung eine Bilanz des Jubiläumsjahres, augenzwinkernd als „Schmidt-Festspiele“ bezeichnet. Sie skizzierte die Planung und präsentierte Details der Ausstellung.
Schmidt-Forum soll Ort lebhafter Diskussionen werden
Der Kanzlerausweis gehört ebenso dazu wie das einzige noch erhaltene Spielzeug aus seiner Kindheit, eine Puppe, ein in Kriegsgefangenschaft handgefertigtes Schachbrett, ein für Ehefrau Loki 1945 gebasteltes Weihnachtsgeschenk sowie eine einst vom französischen Staatspräsidenten Giscard d’Estaing überreichte Flasche Armagnac Domaine de Gaube aus Schmidts Geburtsjahr 1918.
„Wir wollen Helmut Schmidt nicht in Stein meißeln und wie ein Denkmal behandeln“, sagte Dr. Meik Woyke als Vorstandsvorsitzender der Stiftung. „Folglich möchten wir nicht in Erinnerungskultur verharren, sondern nach vorne blicken.“ Die Ausstellung soll den Bogen spannen zwischen Schmidts Standpunkten und Problemen der Neuzeit. Ziel sei es, das Schmidt-Forum zu einem Ort lebhafter Diskussionen zu entwickeln. Um diesen Anspruch erfüllen zu können, wird das 14-köpfige Team um zwei Wissenschaftler erweitert.
„Die Menschen lieben Helmut Schmidt geradezu“
Der Fahrplan bis zur Eröffnung in knapp elf Monaten steht. Die bis 31. März laufende Fotoausstellung „100 Jahre in 100 Bildern“ klingt mit einer „Abbruchparty“ im April aus. Seit der Eröffnung im Dezember 2018 wurden gut 15.000 Besucher gezählt. Anschließend wird sechs Monate komplett umgebaut und eingerichtet. Parallel soll ein Konzept entwickelt werden, wie die Fotoausstellung künftig in anderen deutschen Städten präsentiert werden kann.
Die Lebenslinie von Helmut Schmidt
Die Lebenslinie von Helmut Schmidt
Nicht nur im Gästebuch, sondern auch in den sozialen Medien sei man auf enormen Widerhall und auf strake Sympathien in Sachen Altkanzler aus Langenhorn gestoßen – grade auch bei jungen Leuten. „Die Menschen lieben Helmut Schmidt geradezu“, sagt Ulfert Kaphengst im Namen der Stiftung. „Sein gradliniges, authentisches und zuverlässiges Naturell ist offensichtlich angesagter denn je.“
101 Karten für Sonderführungen durch das Schmidt-Haus
Hand in Hand mit der privaten Stiftung des Ehepaares daheim am Neubergerweg kümmert sich die politische Bundesstiftung um Helmut Schmidts Erbe. Wahrscheinlich handelt es sich um den umfangreichsten Nachlass eines europäischen Regierungschefs überhaupt. Die Regale im Archiv erstrecken sich über 828 Meter. Sie beinhalten rund 3500 Aktenordner, 284 Fotoalben, diverse Kartons, Erinnerungsstücke an ein intensives, spannendes Leben. Bisher wurden 2268 Dokumente sowie 1562 Bücher in einer Datenbank erfasst. Und es gibt noch eine Menge mehr zu tun.
Erst einmal gilt es, den 101. Geburtstag des Staatsmannes am Tag vor Heiligabend zu würdigen. Verlost werden 101 Karten für Sonderführungen durch das Doppelhaus am Neubergerweg in Langenhorn. Diese Besuche an schon historischer Stätte stoßen auf regen Andrang. Sie werden quartalsweise für je zwölf Euro angeboten und in kleinen Gruppen organisiert. Für 72 verfügbare Tickets von Januar bis März 2020 registrierte die Stiftung auf der Online-Plattform binnen der ersten Viertelstunde 6400 Zugriff.
Name für Schmidt-Dauerausstellung wird noch gesucht
Noch bis zum 23. Dezember gibt es täglich eine Quizfrage im Internet. Auf dem Spiel stehen Preise wie eine maßgeschneiderte Helgoländer Lotsenmütze oder ein Gutschein für Schmidts Leibgericht Labskaus in der Nähe seines früheren Büros. Dazu wird ein „Altkanzler Rauchbier“ serviert. Auf der Website wird zusätzlich ein Einführungskurs „Schmidt für Einsteiger“ vorbereitet. Fragen sind erwünscht.
Kleine und große Geschichten, Ernsthaftes wie Originelles sowie Erinnerungsschätze aus dem Privathaus eines unvergessenen Ehepaars sollen die Dauerausstellung im Schmidt-Forum beleben. Nach einem passenden, einprägsamen Namen wird noch gesucht.
Ein markantes Ausstellungsstück wird der bestens erhaltene Bundeskanzler-Ausweis sein. Zu den Facetten deutscher Ordnungsliebe zählt eine wundersame Kleinigkeit: Beim „Dienstausweis Nr. 1“ wurde das am Rande des Fotos vorgesehene Siegel vergessen. Streng genommen wäre das 13 Tage nach der Kanzlerwahl im Bundestag ausgestellte Dokument also gar nicht gültig gewesen. Ob Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher das wussten?
Inventur im Haus von Helmut Schmidt:
Inventur im Haus von Helmut Schmidt