Hamburg. „Urban Gardening“ findet in der Stadt immer mehr begeisterte Anhänger. Jetzt starten mehr als 30 Projekte in die neue Saison.

Wenn der Frühling das satte Grün wachküsst, kehren die Gärtner auf ihre Schollen zurück. Was im Grau dieses verregneten Winters vor sich hindümpelte, wird nun mit Spaten und Harke fein gemacht für die erste Saat. Auf fruchtbarer Erde sollen Rettich und Rucola, Möhren und Mangold wachsen.

Kleingärtner und Hausbesitzer mit eigenem grünen Grund und Boden zieht es hinaus in die kleinen und großen Paradiese. Das beste Kontrastprogramm zur Corona-Pandemie. Während Hamburgs Schreber ihre obligatorischen Koppelversammlungen abhalten und die Gemeinschaftsarbeit durchführen, schneiden die Hauseigentümer gern mit gärtnerischer Hilfe die Hecken und lassen lästiges Gesträuch von Fachfirmen abtransportieren.

Urban Gardening: Hobbygärtnern in der Hamburger City

Doch nicht nur Kleingärtner und Garteneigentümer freuen sich auf die diesjährige Saison, die gerade in diesen Zeiten einen wohltuenden seelischen Kontrapunkt setzen soll. Es sind auch die urbanen Gärtnerinnen Bettina Fallmann, Ute Volkert und Annika Honold vom „Fuhlsgarden“ in Barmbek, die schon jetzt ihren grünen Daumen unter Beweis stellen wollen.

Nicht weit von den Barmbeker Wohnblöcken wachsen Gemüsepflanzen.
Nicht weit von den Barmbeker Wohnblöcken wachsen Gemüsepflanzen. © Michael Rauhe

Die drei Frauen gehören zu einer ökologisch-sozialen Bewegung, die „Urban Gardening“ (urbaner Gartenbau) genannt wird. Wer sich dabei engagiert, gärtnert mitten in der Stadt zwischen Häusern und Straßen. Bislang nicht genutzte oder neu angelegte Grünflächen werden zur urbanen Plattform für moderne und gut vernetzte Großstädter.

Oft sind es Siedlungsflächen, die sich im Eigentum der Stadt befinden. Dort, nicht weit von den eigenen Wohnungen, holen die Hobby-Gärtner das nährende Grün in die Großstadt zurück.

"Fuhlsgarden", "Grabeland" und weitere Gemeinschaftsprojekte boomen

In der Hansestadt gibt es derzeit rund 30 solcher Gemeinschaftsprojekte, die im bundesweiten Netzwerk urbane Gärten aktiv sind. „Diese Gärten boomen ausgerechnet dort, wo es laut, selten beschaulich und zuweilen chaotisch zugeht: mitten in der Stadt“, sagt die promovierte Soziologin und Expertin für nachhaltigen Lebensstil, Christa Müller.

Mitten in Barmbek befindet sich eine städtische Fläche, die „Grabeland“ genannt wird. Dort gärtnern jetzt die Hobby-Gärtner von „Fuhlsgarden“.
Mitten in Barmbek befindet sich eine städtische Fläche, die „Grabeland“ genannt wird. Dort gärtnern jetzt die Hobby-Gärtner von „Fuhlsgarden“. © Michael Rauhe

Wie in „Fuhlsgarden“, Barmbek. Bettina Fallmann wohnt seit Jahrzehnten hier, ihr Sohn, heute 18 Jahre alt, besuchte einst die Kita „Die kleinen Strolche“. Seine Mutter, die bei einer Bank als Kreditanalystin arbeitet, hätte es sich nicht träumen lassen, dass sie einmal auf dem von der Kita gepachtetem Grundstück Mangold, Erdbeeren und Rosenkohl ernten wird. Und dass sie hier, auf dem 2400 Quadratmeter großen „Grabeland“, mit rund 20 Gleichgesinnten viele Sonntage säen, schneiden, mähen, ernten und auch mal feiern wird. Der kalendarische Frühlingsanfang am kommenden Freitag motiviert die Citygärtner noch mehr, zu Spaten und Schaufel zu greifen.

Wissenswertes zum Thema Frühling:

  • Der kalendarische Frühlingsanfang ist am 20. März, meteorologisch beginnt der Frühling am 1. März
  • Krokusse gelten als Vorboten des Frühlings und sind mittlerweile vielerorts sogar schon verblüht
  • Im Frühling blühen unter anderem auch: Tulpen, Alpenveilchen, Hyazinthen, Narzissen, Stiefmütterchen

Stadtteilrat machte Weg frei für "Grabeland" in Barmbek

Die Entstehung von „Fuhlsgarden“ ist typisch für die Urban-Gardening-Bewegung. Am Anfang wuchs ein von jungen Leuten ausgesätes Pflänzchen, das nun Frucht trägt: In Barmbek waren es Studenten, die Interessenten für ein städtisches Gärtnerprojekt suchten. Der Metropolenforscher Bastian Lange beobachtet, dass sich seit einiger Zeit eine junge Generation auf den Weg macht, innovative, aber zugleich pragmatische Lösungen als Antwort auf die vielfachen Verunsicherungen der heutigen Zeit zu finden. „Das sind häufig Kulturen des Selbermachens, kollektive Ansätze, die unideologisch die Jetztzeit und den Nahraum gestalten wollen“, heißt es in den vom Christa Müller herausgegebenen Buch „Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt“.

Der „grüne Daumen“ braucht festes Schuhwerk. Wo drinnen die Gartengeräte im „Fuhlsgarden“ stehen, hängen draußen Kinderstiefel.
Der „grüne Daumen“ braucht festes Schuhwerk. Wo drinnen die Gartengeräte im „Fuhlsgarden“ stehen, hängen draußen Kinderstiefel. © Michael Rauhe

Die Gründer von „Fuhlsgarden“ hofften zunächst, in der Nähe des Museums für Arbeit eine Fläche zu bekommen. Das klappte aber nicht. Mitglieder des Stadtteilrates konnten indes weiterhelfen und machten den Weg frei für das „Grabeland“ in Barmbek. Ein Aufruf im „Wochenblatt“ für die Bewirtschaftung eines Kartoffelbeetes lockte schließlich Mitstreiter an – wie Bettina Fallmann.

Barmbek gewann die Stadtwette bei der NDR-Sommertour

In der neuen Saison warten 15 aus Euro-Paletten gezimmerte Hochbeete auf die Aussaat. Auf einem Beet wuchert vom vergangenen Jahr rot und grün der Mangold schneckensicher um die Wette. Auf einem anderen erinnert ein Schild daran, dass bereits Rettich ausgesät ist. Gleich am Eingang des eingezäunten, aber für die Öffentlichkeit zugänglichen Grundstücks mit den alten Apfelbäumen steht ein sturmsicheres Foliengewächshaus, die neueste Anschaffung von „Fuhlsgarden“. „Zu Hause ziehen wir dafür schon Tomaten vor“, sagt eine der Frauen.

Wie auch bei anderen solcher Projekten müssen die Akteure nichts oder nicht viel aus der eigenen Tasche bezahlen. Die Barmbeker Gruppe verweist unter anderem auf Zuschüsse des Stadtbezirks und auf einen Gewinn bei der NDR-Sommertour mit der Stadtwette, die Barmbek gewonnen hatte. Bereits seit 2013 bearbeiten die Hamburger Behörden das Thema Urban Gardening. Ziel ist es nach wie vor, die unterschiedlichen Initiativen, Vereine, die Verwaltung und den Landesbund der Gartenfreunde miteinander ins Gespräch zu bringen. Die urbanen Gärtner suchen den Dialog und wollen ihre bewirtschafteten Flächen ins Verhältnis zur städtischen Umgebung setzen. Ihre Projekte sind fester Bestandteil der Stadt – und werden nicht als Alternative zum Städtischen verstanden.

Urban Gardening: Anhänger freuen sich auf die Outdoor-Gestaltung

Wie aus einer Senatsantwort auf eine schriftliche Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Jens Wolf hervorgeht, unterstützt die Stadt immer mehr solcher Gardening-Projekte. Allein die „Horner Paradiese“, ein Bürgerprojekt der Landschaftsachse Horner Geest mit der Neuanlage einer Fläche wurde im Jahr 2018/19 mit insgesamt 127.000 Euro gefördert.

Die Hobby-Gärtnerinnen von „Fuhlsgarden“ freuen sich auf die neue Saison. Sie alle genießen schon jetzt das Draußensein und das gemeinschaftliche Miteinander, sei es die Aussaat, die Pflege des Gartens, die Ernte – und den Glühwein in der Adventszeit. Die Soziologin Christa Müller sagt: „Urbanes Gärtnern ist in aller Regel soziales Gärtnern, es ist partizipatorisch und gemeinschaftsorientiert. Der Garten wird als Lern- und Begegnungsort inszeniert und die Nachbarschaft in die Gestaltung des Outdoor-Sozialraums einbezogen.“ Ein festes Regelwerk wie in den Kleingartenkolonien gebe es nicht. „Wenn einer bei uns etwas falsch macht, ist es auch nicht so schlimm“, sagt die gelernte Lebensmittelchemikerin Annika Honold.

In Hamburg starten mehr als 30 Projekte in die neue Saison

Vorreiter für die zahlreichen multikulturellen Gärten sind nach Angaben der Wissenschaftlerin Christa Müller die internationalen Gärten e. V. aus Göttingen. Sie waren schon Ende der 1990er-Jahre aktiv und „haben Austauschprozesse von Menschen unterschiedlichster Herkünfte in Gang gebracht – und zwar auf der Grundlage des Wissens und Könnens, das sie jeweils mitbringen.“ Vergleichbare Beispiele in Hamburg sind der erste interkulturelle Garten in Wilhelmsburg und der Bahrenfelder Luthergarten BaLuGA. Auch hier wurde Flüchtlingen ebenso wie allen anderen die Möglichkeit gegeben, gemeinsam einen Naturort zu gestalten.

Zwar ist die Hamburger Gardening-Bewegung mit rund 30 Gemeinschaftsgärten kleiner als in Berlin mit 100 Projekten. Dafür gilt sie aber als deutlich vielfältiger. Das „Gartendeck“ auf St. Pauli zum Beispiel ist ein Garten, der sich seit einem Jahr auf einer Grünfläche hinter dem ehemaligen Israelitischen Krankenhaus in der Simon-von-Utrecht-Straße 4 mitten befindet. Vorher hatte es sieben Jahre lang seinen Platz auf dem Dach einer Tiefgarage in der Großen Freiheit.

"KEBAP"-Garten nutzt Hamburger Regenwasser und Bioabfälle

Oder der „KEBAP“-Garten am Altonaer Bunker. Die Beete werden mit Kompost gedüngt, der aus Bioabfällen stammt. „Wir sammeln das Hamburger Regenwasser, um die Beete zu bewässern“, sagt Marlene Stadie von KEBAP e. V. Jeden Sonnabend wird am Nachmittag gegärtnert. Je nach Wetter und Jahreszeit sind es fünf bis 20 Mitstreiter, „ganz bunt gemischt“, sagt Marlene Stadie. Jeder könne sich einbringen – unabhängig von eigenen Vorerfahrungen.

Zur Vielfalt der Hamburger Bewegung zählen die variablen Nutzungsangebote. Mal sind es Kleingartenvereine, die Mietbeete für Nicht-Mitglieder bereitstellen. In anderen Fällen sind es städtische Liegenschaften, Mietäcker oder gemeinschaftlich genutzte gärtnerische Flächen. „Alle Formen des innerstädtischen Gärtnerns sind lohnenswert“, sagt der Hamburger CDU-Politiker Jens Wolf. So gibt es Einzelpersonen als Träger der Gärten ebenso wie Vereine und Initiativen ohne großes Regelwerk.

Hobbygärtner fordern mehr Naturschutz vom Senat

„Die Menschen besinnen sich gerade in Großstädten außerhalb des immer schnelleren und stressigeren Alltags auf die Natur zurück“, betont Wolf. Das sei zu begrüßen und sei lange Jahre viel zu kurz gekommen. Allerdings müsse der Senat den gelebten Naturschutz noch stärker fördern, beispielsweise indem er entsprechende Flächen dafür freigibt, fordert er. Neue Flächen könnten etwa mit jenem vier Kilometer langem Park entstehen, der als Alster-Bille-Elbe-Grünzug geplant ist. Für 55 Millionen Euro soll er in den nächsten Jahren zwischen Alster und Elbe entstehen. Er führt vom Ostufer der Außenalster über den Lohmühlenpark in St. Georg bis zum Anckelmannsplatz am Berliner Tor. Womöglich ist da auch Platz für Urban Garding, hoffen Anwohner.

Hoffnung, dass es endlich bald grünt und blüht, haben auch die urbanen Gärtner von Hilldegarden: Sie wollen den Flakbunker an der Feldstraße endlich begrünen. Die Mitstreiter sind nach der langen Planungszeit zufrieden. So wurde jetzt das Bunkerdach eingeschalt. Derweil wachsen in der Baumschule von Ehren rund 4700 Bäume und Pflanzen, die den Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg bald begrünen werden. Dazu gehören Kletterpflanzen, Rosen, Feldahorn und die Strauch-Waldkiefer.

Hamburger halten Loki-Schmidt-Garten instand

Was erst noch zur grünen Plattform in der Großstadt werden sollen, wächst im Klein Flottbek bereits seit mehr als 100 Jahren – der Botanische Garten. In der zur Universität Hamburg gehörenden Einrichtung engagieren sich ebenfalls Hamburger für die grüne Lunge der Stadt und Nachhaltigkeit. Es sind die sogenannten Gartenpaten, die im Loki-Schmidt-Garten aktiv sind. „Die praktische Arbeit in der Natur wird von den vielen Ehrenamtlichen sehr geschätzt“, sagt Matina Buttjes von der Universität Hamburg, die mit einem Kollegen diese Arbeit koordiniert.

Der Loki-Schmidt-Garten ist eine Oase für Naturfreunde.
Der Loki-Schmidt-Garten ist eine Oase für Naturfreunde. © Marcelo Hernandez

Wer in Klein Flottbek den Bambusgarten am Eingang durchschreitet, erlebt eine Oase aus imposanten Bäumen und filigranen Blättern, einen Duft- und Tastgarten und sogar mitten in der Stadt eine kleine Wüste. Seit 2012 trägt das Paradies mit den mannigfaltigen Naturwundern den Namen der Umweltschützerin Loki Schmidt (1919–2010). Dort zu arbeiten wird für immer mehr Ehrenamtliche attraktiv. „Sie suchen eine sinnvolle Betätigung im Ruhestand“, sagt Buttjes. Urban Gardening begeistert eben alle – Junge und Junggebliebene gleichermaßen.