Hamburg. Was 2004 als einmalige Aktion gedacht war, wurde zum Dauerbrenner. Es gab nicht nur viele Auszeichnungen, sondern auch Nachahmer.

Mülle grazie. Er macht schmutzige Geschäfte, hat ebensolche Fantasien, Gewichtsprobleme, ist für jeden Dreck zu haben und lebt nach dem bewährten Fußballmotto: „Einer geht noch rein.“ Zudem ist er offen für alles, fühlt sich hin und wieder leer, hat ein offenes Herz für Inhalte und meint: „Ich bin der Ironman.“ Mancherorts frotzelt er sogar: „Na, du alte Schachtel.“ Man muss die Reste eben feiern, wie sie fallen.

Doch können Hamburgs rote Papierkörbe entscheidend mehr: Sie schlucken jede Menge Abfall. Dass außen in der Regel ein kecker Spruch für Aufsehen sorgt, gehört seit 2004 zum Hamburger Stadtbild. Ursprünglich nur für ein Jahr geplant, haben die saloppen Schnacks in Sprechblasenform Kultstatus erlangt. Im ersten Absatz dieses Artikels sind zwölf von ihnen versteckt. Gut 150 verschiedene Botschaften gibt es – an rund 18.000 roten Papierkörben markant platziert. Was Hamburg als Pionier anstieß, machte andernorts Schule. Nicht nur hierzulande. Sogar die „Mist-Abfuhr“ aus Wien bat um Übernahme besonders knackiger Botschaften.

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Rote Papierkörbe – immer wieder neue Hingucker

„Eigentlich wollten wir nur den Farbwechsel der Papierkörbe begleiten“, sagt Reinhard Fiedler, Pressesprecher der Stadtreinigung Hamburg, im Konferenzraum des Unternehmens am Bullerdeich in Hammerbrook. In kreativer Runde feilt dort die auch für Werbung verantwortliche Abteilung Öffentlichkeitsarbeit an neuen Hinguckern. Im Anfangsjahr war die Agentur MKK in Blankenese pfiffig zur Stelle. Seitdem wird firmenintern nach Gedankenblitzen gefahndet. Außerdem tragen Bürger mit verblüffendem Ideenreichtum zur Vielfalt bei.

Neben Fiedlers Stellvertreter Kay Goetze sitzt Conny Nolzen am Tisch. Sie kümmert sich um Medien wie Instagram, Twitter oder Facebook. Für diese Kanäle werden digitale Sprüche in Dateiform erdacht. „Willst du meine Tonne sein?“, fragte er jüngst zum Valentinstag. Ihre Antwort: „Ja, ich Müll.“ Und zur Bürgerschaftswahl forderte der rote Kasten mit klimpernden Kulleraugen: „Wählen Sie mich.“

Einer der „Papierkorb-Sprüche“ der Hamburger Stadtreinigung
Einer der „Papierkorb-Sprüche“ der Hamburger Stadtreinigung © STADTREINIGUNG HAMBURG | STADTREINIGUNG HAMBURG

12.000 hängende Papierkörbe in der Hansestadt

Credo der kreativen Köpfe der Stadtreinigung: „Wer Papierkörbe tarnt, darf sich nicht wundern, wenn sie keiner benutzt.“ Also wurde vor 16 Jahren der Beschluss gefasst, das bis dahin übliche „Hammerschlaggrau“, so die offizielle Farbbezeichnung, durch ein knalliges Rot der Nuance RAL 3020 zu ersetzen. Zu den damals neuen Bushaltestellen sollten sie passen. Mittlerweile warten in der Hansestadt etwa 12.000 hängende Papierkörbe des Modells „Kopenhagen“ sowie 6000 stehende Abfallbehälter auf Beute. Im Schnitt wird jeder Behälter 3,5-mal pro Woche geleert. Der Inhalt wird komplett verbrannt. Unter dem Strich kosten Leerung, Entsorgung und Instandhaltung der 18.000 roten Gefäße 8,2 Millionen Euro im Jahr.

Ausnahmen bestätigen die Regel. So sind die Müllgefäße in geschützten Grünanlagen dezent grau gehalten. Auch auf dem Rathausmarkt ist Rot unerwünscht. Ein Schelm ist, wer Böses dabei denkt. Und wer lustvoll mit Worten jongliert, erregt Aufmerksamkeit, indes hin und wieder auch Protest. Auf „Na, du alte Schachtel“ gab es Beschwerden. Gelegentlich wurden bereits gestartete Aufkleber wieder entfernt. „Ihre Papiere, bitte“, fand nicht jeder witzig. Der Hinweis, einfach seine Sorgen einzuwerfen, ahnungslos in Nähe einer Obdachlosenunterkunft angebracht, wurde ausgetauscht. Dagegen wurde „Hier bitte das Hamburger Abendblatt von gestern einschmeißen“, gar nicht erst gedruckt. Wegen der dann nicht sachgemäßen Altpapierverwertung. Muss alles seine deutsche Ordnung haben.

Preis vom „Verein der deutschen Sprache“ für die Wortakrobaten

Die Anschaffung der Körbe wird öffentlich ausgeschrieben. Einmal im Jahr wird eine Kollektion Aufkleber in Auftrag gegeben. Wegen der umfangreichen Order mit ein paar Tausend Drucksachen in 15 bis 20 Varianten kostet jedes Exemplar kaum mehr als einen Euro. Die 60 Liter fassenden, 70 Zentimeter hohen Hängekörbe kosten jeweils 300 Euro, die größeren Standtonnen um 450 Euro.

Da Ideenfundus wie Grafik auf Bordmitteln der Stadtreinigung basiert und die Aufkleber günstige Werbesignale sind, hält sich der Aufwand unter dem Strich in Grenzen. Auf Hochdeutsch: Klappern gehört zum Handwerk. Umso besser, wenn’s wenig kostet. Dass die Gesellschaft dem Müll intelligent einen Korb gibt, stößt auf Widerhall. Der „Verein der deutschen Sprache“ würdigte die Wortakrobaten aus Hammerbrook mit einem Preis. Und das Germanistik-Seminar der Universität Hamburg machte die Wortwahl zum Thema. Mülle grazie.

Wenn es passt, werden Termine zum Anlass für frisches Ideenfutter genutzt. Während der Fußball-WM gab es den Begriff „Einwurf“ in mehreren Sprachen, zum Beispiel in Arabisch. Die Elbphilharmonie animierte zu einem Wortspiel. Frage: „Mein Lieblingsstück?“ Antwort: „Die Sauberflöte.“ Zum Schla­germove hieß es: „Ich will keine Schokolade, ich will lieber das Papier.“ Und in Absprache mit den Veranstaltern der CSD-Parade war zu lesen: „Ich habe einen Ständer.“ Beschwerden gab es keine. Stimmte ja.