Hamburg. Dokumentationszentrum Hannoverscher Bahnhof in der HafenCity will an Verschleppung von Juden und politisch Verfolgten erinnern.

Heinrich Wohlwill dürfte geahnt haben, was auf ihn zukommt, als er im Juli 1942 die Aufforderung bekam, sich zwei Tage später zum Abtransport zu einem „auswärtigen Arbeitseinsatz“ auf der Moorweide einzufinden. Der Chemiker, der einer bekannten Hamburger jüdischen Familie entstammte, bei der Norddeutschen Affinerie Karriere machte und regelmäßig Musikabende mit Künstlern veranstaltete, schrieb einen letzten Brief an seinen Sohn Max in Australien. Auch sie müssten nun „umziehen“.

Vom Hannoverschen Bahnhof aus wurde Wohlwill am 19. Juli 1942 zusammen mit seiner Frau Hedwig, deren Schwester Marie Mayer und ihrem Mann nach Theresienstadt deportiert. Für die meisten Mitglieder der Familie endete die Reise im Tod. Heinrich Wohlwill starb am 31. Januar 1943 in dem Konzentrationslager.

Sein Enkelsohn Matthias Brandis ist am Montag nach Hamburg gekommen, um den Baubeginn des Dokumentationszentrums denk.mal am Lohsepark in der HafenCity zu erleben. Es wird an die Deportation seiner Familie sowie der mehr als 8000 anderen Menschen – Juden, Roma und Sinti sowie politisch Verfolgte – erinnern, die zwischen 1940 und 1945 vom nahen Hannoverschen Bahnhof in Gettos, Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt wurden.

„Das Dokumentationszentrum ist wichtig, um insbesondere der Jugend nahezubringen, was damals geschah“, sagt der emeritierte Medizinprofessor aus Freiburg. „Auch wenn es lange gedauert hat.“

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Tatsächlich sind fast auf den Tag genau 75 Jahre vergangen, seit sich am 14. Februar von hier aus der letzte der insgesamt 20 Deportationszüge in Bewegung setzte. Doch vor der Entwicklung der HafenCity lag der nach dem Krieg abgerissene Hannoversche Bahnhof außerhalb des Blickpunkts der Öffentlichkeit, sagte Kultursenator Carsten Brosda beim ersten Spatenstich. „Wir sind dankbar, dass wir den Gedenkort und das Dokumentationszentrum zusammen mit Vertretern der Verfolgtenverbände entwickeln konnten und diese bis heute die Entwicklung begleiten.“ Entsprechende Überlegungen reichen bis ins Jahr 2005 zurück.

Auf einer Gesamtfläche von rund 800 Quadratmetern soll das Dokumentationszentrum mit innovativen Formaten besonders auch junge Menschen ansprechen. Eine Dauerausstellung informiert unter anderem über die Verfolgung und den Abtransport von mehr als 1000 zumeist politischen Gegnern des NS-Regimes in das „Bewährungsbataillon 999“ der Wehrmacht, von denen Hunderte in gefährlichen Kriegseinsätzen starben.

Vorgestellt wird zudem die enge Zusammenarbeit zwischen Polizei, Reichsbahn und Hamburger Behörden, das Handeln von Tätern auf unterschiedlichen Ebenen sowie das Verhalten jener, die profitierten oder nichts taten, um die Verbrechen zu verhindern. Die Dauerausstellung wird von einem wissenschaftlichen Team der KZ-Gedenkstätte Neuengamme konzipiert.

Dokumentationszentrum soll 2023 eröffnet werden

Das Dokumentationszentrum entsteht im Erdgeschoss eines Büro- und Hotelgebäudes, das die Müller-Spreer Gruppe nach einem Entwurf des Architekturbüros Wandel Lorch errichtet. Die Müller-Spreer Gruppe wird das Hotel in Kooperation mit dem Grill Royal Berlin selbst betreiben. Nach jetzigem Stand soll das Dokumentationszentrum 2023 eröffnet werden.

Gleich gegenüber erinnert der Gedenkort denk.mal seit 2017 im Lohsepark an das Schicksal der Deportierten. Vom historischen Vorplatz des ehemaligen Hannoverschen Bahnhofs führt zudem eine sogenannte Fuge quer durch den Park bis zum unter Denkmalschutz gestellten historischen Bahnsteig 2 und zeichnet den einstigen Gleisverlauf nach.

Ort lebendiger Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart

„Das Dokumentationszentrum soll als Ort lebendiger Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart Antworten geben auf die Frage: Was bedeutet das Wissen um die NS-Verbrechen für unser Denken und Handeln im Hier und Jetzt?“, sagte Oliver von Wrochem, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.

„Durch Bezugspunkte zu gegenwärtigen Herausforderungen in Zeiten eines zunehmenden Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus sollen Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken über die eigene Verantwortung in der gegenwärtigen Gesellschaft angeregt werden.“ Dafür sei es wichtig, neue Wege in der Darstellung und Vermittlung der Geschichte des Nationalsozialismus zu beschreiten.

„Es ist schön zu sehen, dass die Stadt ihre Verantwortung für die Geschichte ernst nimmt und sich würdevoll um das Gedenken kümmert“, sagte Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg.