Hamburg. Im Kreuzverhör von Hamburg 1 und Abendblatt: Die Spitzenkandidatin der Linken zu Enteignung, Kapitalismus und Verkehrswende.

Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Cansu Özdemir ist die dritte Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar, die sich dem Kreuzverhör von Herbert Schalthoff (Hamburg 1) und Peter Ulrich Meyer (Hamburger Abendblatt) stellt. Hamburg 1 sendet das Gespräch heute um 17.15 Uhr, 18.15 Uhr, 19.15 Uhr, 21.45 Uhr und 23.45 Uhr. Das Abendblatt dokumentiert die zentralen Passagen.

Wir müssen mit den Ereignissen von Thüringen beginnen, wo vorübergehend ein FDP-Politiker mit den Stimmen von CDU AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Jetzt ist viel von einem Dammbruch die Rede. Was ist die eigentliche politische Dimension hinter den Auseinandersetzungen?

Cansu Özdemir: Der politische Kern ist, dass sich die Wahl gegen links richtete (Bodo Ramelow von den Linken verlor dadurch sein Amt, die Red.). Es gibt eine Gleichsetzung von links und rechts, was aus unserer Sicht geschichtsvergessen ist und die rechte Gefahr relativiert.

In Folge der Ereignisse hat es in Hamburg Demonstrationen gegen die FDP gegeben, es sind aber auch Wahlplakate zerstört worden, und auf das Haus des AfD-Spitzenkandidaten Dirk Nockemann ist ein Farbanschlag verübt worden. Da vermissen wir bisher eine klare Distanzierung von Ihnen.

Cansu Özdemir: Wir lehnen diese Art von Auseinandersetzung ab. Wir haben uns an den Demonstrationen beteiligt wie SPD und Grüne auch.

Umso schöner wäre eine klare Distanzierung von Gewalt.

Cansu Özdemir: Von diesen Demonstrationen ist keine Gewalt ausgegangen. Da finde ich es schwierig, sich von etwas zu distanzieren, womit man ja eigentlich nichts zu tun hat und was man klar verurteilt.

Mit Distanzierung von linker Gewalt hat Die Linke als Partei traditionell ein Pro­blem. Man findet im Wahlprogramm einiges über das Thema Rechtsextremismus, nichts über das Thema Linksextremismus.

Cansu Özdemir: Wenn wir uns die Dimension des Rechtsextremismus genauer anschauen und die Verbrechen von dieser Seite, kann man deutlich sehen, dass die Gefahr von rechts kommt: siehe die NSU-Morde, den Mord an Walter Lübcke.

Unbestritten, nur auf der anderen Seite gibt es auch Gewalt, auch Gewalt, die sich gegen Personen richtet.

(Cansu Özdemir schweigt.)

Geht es Ihnen wie den anderen Oppositionsparteien, dass Sie kein eigenes Thema haben? Verkehr, Wohnungsbau und Klima – alles abgedeckt von SPD und Grünen. Sie können immer nur ein bisschen mehr fordern oder rumnörgeln ...

Cansu Özdemir: Ganz und gar nicht. Der Mietendeckel ist eine Forderung, die nur Die Linke in Hamburg hat. Wählerinnen und Wähler von CDU, SPD und Grünen plädieren ja auch mehrheitlich für eine staatliche Regulierung der Mieten. Wir sind die einzige Partei, die dieses Thema im Wahlkampf so zentral gestellt hat.

In Ihrem Wahlprogramm steht als erster Satz: „Die Abschaffung von Armut und Ausbeutung, die Rettung der Welt vor der Klimakatastrophe sind in der kapitalistischen Weltordnung nicht möglich.“ Welches System wollen Sie an deren Stelle setzen?

Cansu Özdemir: Am Beispiel Hamburgs kann man das sehr deutlich sehen. Wir wollen einen Systemwechsel und nicht, dass von Haushalt zu Haushalt Löcher gestopft und kosmetische Maßnahmen ergriffen werden, die nicht viel an der Situation von Tausenden Hamburgern verändern. Wir brauchen zum Beispiel beim Wohnungsbau eine Kehrtwende und fordern einen Anteil von 50 Prozent Sozialwohnungen beim Neubau.

Sie haben noch nichts zum Ende der kapitalistischen Weltordnung gesagt.

Cansu Özdemir: Ich wollte an dem Beispiel deutlich machen: Wir müssen dahin kommen, dass in Hamburg die Menschen profitieren und nicht die Unternehmen und die wenigen. Wir haben einen großen Reichtum in der Stadt, aber gleichzeitig 285.000 Menschen, die von Armut betroffen oder bedroht sind.

Im Wahlprogramm der Linken wird die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne gefordert. Wen wollen Sie enteignen?

Cansu Özdemir: In Hamburg stehen laut Senat 1800 Wohnungen leer und sind sanierungsbedürftig. Deshalb sind wir der Auffassung, dass man, wie es im Grundgesetz geregelt ist, auch auf die Enteignung zurückgreifen kann. Da muss dann eine radikale Maßnahme ergriffen werden. Unternehmen wie Vonovia lassen Wohnungen jahrelang verkommen.

„Der Klimawandel ist durch die kapitalistische Produktionsweise verursacht“, heißt es im Wahlprogramm. War die DDR denn schon klimaneutral?

Cansu Özdemir: Das kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, ich bin Jahrgang ’88. Ich glaube, meine Generation, die in Hamburg aufgewachsen ist, hat sich mit dieser Frage explizit nicht auseinandergesetzt.

Sie machen es sich ein bisschen zu einfach.

Cansu Özdemir: Das würde ich nicht sagen.

Ist diese Klassenkampf-Rhetorik nicht in Wahrheit von gestern?

Cansu Özdemir: Ich glaube, diese Frage ist so aktuell wie nie, wenn wir uns die Klimapolitik und die Umweltkatas­trophen anschauen. Es geht darum, wer diese Situation verursacht hat und wer dagegen vorgeht.

Die Linke fordert die radikalste Verkehrswende: Der Autoverkehr soll weitgehend innerhalb des Rings 2 zurückgedrängt, die Innenstadt komplett autofrei und Tempo 30 Regelgeschwindigkeit werden. Die Grünen sind nicht die Verbotspartei, es ist Die Linke.

Cansu Özdemir: Wir sind keine Verbotspartei, aber wir sind grüner als die Grünen. Deren Spitzenkandidatin Katharina Fegebank hat ja den Vorschlag der Volksinitiative, die Innenstadt autofrei zu machen, als „irre“ bezeichnet. Da kann ich nur sagen: Wo bleiben die grünen Inhalte? Da setzen wir ein deutliches Zeichen mit unserer Verkehrspolitik.

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Ihre Parteifreunde in Bremen und Berlin sind Koalitionen mit SPD und Grünen eingegangen. Bleibt es in Hamburg bei der konsequenten Linie: auf jeden Fall Opposition?

Cansu Özdemir: Wir haben in Bremen, Berlin und Thüringen gezeigt, das wir gut regieren können. Aber da ist die Konstellation auch richtig, weil wir mit SPD und Grünen dort auch wichtige Maßnahmen durchsetzen können wie die Bekämpfung der Kinderarmut. In Hamburg ist die Kon­stellation ganz anders. Hier grenzt sich die Elb-SPD von der Bundes-SPD ab, weil sie ihr zu links ist.

Was ist für die Stadt aus Ihrer Sicht besser: Rot-Grün oder Grün-Rot?

Cansu Özdemir: Im Wahlkampf hat sich herauskristallisiert, dass die Grünen sehr stark von ihren Inhalten abgerückt sind. Es gibt nicht mehr die Partei, sondern nur noch Team Fegebank, die Nachfolgepartei der Grünen. Die setzt sehr stark auf Exzellenz und Wirtschaft, aber nicht mehr auf die Menschen, die man nicht so oft sieht. Von daher spielt es keine Rolle, ob SPD oder Grüne stärker sind. Die Politik wird so oder so fortgeführt.

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