Hamburg. In der Siedlung sind Heizungsrohre in mindestens 170 Wohnungen defekt. Gutachten soll mindestens sechs Monate dauern.

In den Wohnungen der Flüchtlingssiedlung Gleisdreieck gibt es offenbar erhebliche Probleme mit Heizungsrohren. Sie sollen 2016 ohne Schlauchummantelung eingebaut worden sein. Rohre seien porös, Wasser tropfe von der Decke, von erheblichen Durchfeuchtungen ist die Rede. Betroffen sei auch der Nachbarschaftstreff Haus 23. Massiver Pfusch am Bau?

Auf Anfrage wollten sich weder fördern & wohnen noch Saga noch die übergeordneten Behörden äußern. Nach Informationen der bz sollen aber mindestens 170 der 780 Wohnungen beschädigt sein. „Diese Zahl nannte fördern & wohnen bei der Sitzung des Stadtteilbeirats am vergangenen Dienstag“, bestätigt CDU-Politiker Jörg Froh. fördern & wohnen habe diese Zahl von der Saga, inzwischen Eigentümerin der Häuser. f & w ist ein Sozialunternehmen der Stadt, das die Geflüchteten in der „Unterkunft mit der Perspektive Wohnen“ betreut.

Zivilrechtliche Ansprüche klären

Die durchfeuchteten Wohnungen zählen laut Froh zu den 400 Wohnungen, für die es inzwischen Baugenehmigungen für den Umbau zu Sozialwohnungen gebe. „Nun fürchten die Nachbarn eine Geisterstadt“, sagt Froh. Weil zunächst zivilrechtliche Ansprüche geklärt werden müssten, könne die Saga nicht mit dem Umbau beginnen.

Michael Rumpenhorst von der Bürgerinitiative (BI) „Integration: Ja! Ghetto: Nein!“ geht ebenfalls von mindestens 170 beschädigten Wohnungen aus: Er habe sich in der Bürgerfragestunde der jüngsten Bezirksversammlung erkundigt. „Dort wurden mir 170 leer stehende Wohnungen genannt. Auf meine Nachfrage,wie viele Wohnungen von den Mängeln betroffen seien, sagte der Bezirksamtsleiter ,alle’.“

Sind möglicherweise alle 780 Wohnungen vom Baupfusch betroffen? Bezirksamtsleiter Arne Dornquast nennt keine Zahl: Es sei noch unklar, wie viele Wohnungen betroffen seien. Deshalb werden nun Gutachter von Saga und PGH/Fewa, dem vorigen Eigentümer, eingesetzt. Sie sollen den Umfang der notwendigen Sanierung ermitteln. Allein diese Arbeit werde sechs Monate dauern, berichtet Dornquast.

In durchfeuchteten Wohnungen leben?

Stephan Jersch (Die Linke) weiß von einem Auszugsstopp, da die weitere Unterbringung der Geflüchteten nicht geklärt sei. „Müssen dann Menschen in durchfeuchteten Wohnungen leben?“ Die Linke werde sich dafür einsetzen, dass Betroffene bei der Wohnungszuweisung Priorität haben. Die Saga soll schon beim Kauf der Häuser von den Schäden gewusst haben, behauptet Jersch. „Warum ist dieses Wissen nicht in die Umzugsplanung eingeflossen?“ Der Politiker ärgert sich, dass alles „stillschweigend und an der Öffentlichkeit vorbei“ gehändelt werde.

Die Bergedorfer CDU-Fraktion stellte in der Bezirksversammlung ein Auskunftsersuchen zur Belegung (wir berichteten). Die Bergedorfer Linke ersuchte Auskunft zur „Durchfeuchtung in den Wohnungen am Gleisdreieck“. Für beide Ersuchen steht die Antwort noch aus.

Knapp 1800 Menschen leben derzeit im Gleisdreieck – ausschließlich Geflüchtete. Sie kommen vor allem aus Syrien und Afghanistan. Zum Start des 15-Jahres-Projekts Anfang 2017 waren es 2500 Geflüchtete.

Volksbegehren damals vermieden

Der Bürgervertrag zwischen Hamburgischer Bürgerschaft und BI „Integration: Ja! Ghetto: Nein!“ von 2016 sah vor, dass die Zahl der Plätze für öffentlich-­rechtliche Unterbringung bis Ende 2019 auf 300 gesenkt wird. Dadurch konnte damals ein Volksbegehren gegen Flüchtlingsunterkünfte vermieden werden. Doch ein Bebauungsplan wurde erst im Juni 2018 eingeleitet – eigentlich sollte er bereits Ende 2017 aufgestellt worden sein. Diese Festlegung sei laut Bezirksamtsleiter ein „Irrtum“ gewesen, weil zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht erkennbar gewesen sei, dass die Aufstellung des B-Plans mehr Zeit benötigte: Weil das Plangebiet größer als die Siedlung ist, seien die erforderlichen Naturuntersuchungen besonders umfangreich gewesen. Dadurch verzögere sich der Bau einer zweiten Lärmschutzwand, die für die Umwandlung der restlichen 380 Wohnungen in Sozialwohnungen erforderlich ist. Sie soll im Sommer auf dem Bahndamm gebaut werden.

Doch auch das im Sommer 2018 anvisierte Ziel, eine Reduzierung der Plätze in öffentlich-­rechtlicher Unterbringung auf 300 bis Ende 2020, wird aufgrund der nötigen Sanierungsarbeiten wohl nicht erreicht werden können. Im jüngsten Jugendhilfeausschuss war deshalb von Ende 2021 die Rede, als es um die Zahl 300 ging.

„Bürgervertrag wird langsam zur Farce“

André Humbert, Sprecher von „Integration: Ja! Ghetto: Nein!“, wundert sich, dass die BI nicht über die erneute Verzögerung informiert worden ist: „Der Bürgervertrag wird langsam zur Farce.“ Humbert betont, dass die BI „gerade dann, wenn dem Bürgervertrag widersprochen wird, informiert werden muss.“ Mit der BI werde allerdings seit einem Jahr nicht mehr über die Entwicklung im Gleisdreieck gesprochen: „Wir empfinden das als Frechheit.“ Zuvor habe es einen regelmäßigen Austausch mit Politik und Verwaltung gegeben.

Der Bezirksamtsleiter mag sich, was das Erreichen der „300“ angeht, nicht auf einen Zeitpunkt festlegen: „Derzeit ist wegen des Gutachtens alles auf Pause.“ Dann folge die Sanierung der leer stehenden Wohnungen. Klar sei, dass niemand die Sozialwohnungen lange leer stehen lassen wolle. „Nur können sie mit kaputten Rohren nicht vermietet werden.“ Das Gleisdreieck solle früher oder später ein „lebendiges Quartier“ werden, in dem „auch Bewohner mit Deutsch als Muttersprache leben“, betont der Bezirksamtsleiter. „Solche Nachbarn wünschen sich ja auch die Geflüchteten.“