Billwerder. In Deutschlands größter Siedlung sollen auch Studenten und Senioren leben

Die ersten Mieter sind schon wieder weg. Noch sind die 750 eigens für Flüchtlinge errichteten Wohnungen nicht alle belegt, da haben drei Familien eine Bleibe auf dem „normalen“ Wohnungsmarkt gefunden. Susanne­ Schwendtke, Sprecherin des städtischen Unternehmens „Fördern & Wohnen“, ist aber nicht verärgert. „Flüchtlinge, die eine gute Bleibe­perspektive haben, sollen ja möglichst rasch die Flüchtlingsunterkunft verlassen.“

Nun ist die Unterkunft am Mittleren Landweg im Südosten Hamburg eine besondere Einrichtung. Innerhalb von gut einem Jahr wurde hier – zwar unmittelbar an einer S-Bahn-Station, aber doch ziemlich weit ab vom Schuss – eine Wohnsiedlung aus dem Boden gestampft. Der Begriff Expresswohnungsbau hat sich dafür inzwischen in der Öffentlichkeit eingeprägt.

750 Wohnungen für 2500 Menschen: So eine große Flüchtlingssiedlung gibt es nirgends in Deutschland. Wohl auch deshalb ist die Sorge bei Anwohnern und Politikern groß, hier könnte sich ein „Banlieue“ entwickeln, wie man sie aus Frankreich kennt: ein „Ort des sozialen Abstiegs“, der geprägt ist durch Kriminalität.

Einen ersten Schritt, das zu verhindern, war – so sehen es die Anwohner –, das Schlimmste zu verhindern. Ursprünglich sollten in der Unterkunft 4800 Flüchtlinge untergebracht werden. Jetzt wird es nur gut die Hälfte sein. Allerdings nicht für allzu lange Zeit. Bereits Mitte kommenden Jahres soll die Zahl der Asylbewerber auf 1800 reduziert werden. Ende 2019 sollten hier nur noch 300 Flüchtlinge leben. So sieht es die Vereinbarung zwischen Stadt und Bürgerinitiative vor.

Der Einzug von Nichtflüchtlingen ist schwierig

Bergedorfs Bezirksbürgermeister Arne Dornquast lässt im Gespräch mit dem Abendblatt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er sich an die Ziele der Vereinbarung halten will. Auch der Sozialdemokrat hat längst erkannt, dass nur eine intensive soziale Betreuung und frühzeitige Durchmischung der Einwohnerschaft aus der Siedlung einen Erfolg machen kann.

Zumal viele Beteiligte in Billwerder ahnen, wie sehr die Stadt auf das Projekt schaut: die einen mit Hoffnung auf einen Erfolg, die anderen in der Hoffnung, dass es scheitert. Rund 51.500 Flüchtlinge leben derzeit in Hamburg. Zwar sinkt die Zahl der Neuankömmlinge seit Monaten – im Februar mussten 263 untergebracht werden –, aber noch leben mehrere Tausend Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung, obwohl sie längst einen Anspruch auf einen Platz in einer (etwas besser ausgestatteten) Folgeunterkunft haben.

Insofern zeigte der Verwaltungschef sich auch offen, als vor einigen Tagen Vertreter der Bürgerinitiative „Integration: Ja, Ghetto: Nein!“ mit der Forderung auf ihn zutraten, von sofort an die Siedlung für Nichtflüchtlinge zu öffnen und die Wohnungen auf dem normalen Markt anzubieten. „Integration ist Begegnung, und die findet nicht statt, wenn die Flüchtlinge unter sich bleiben“, sagt Initiativensprecher Andre Humbert. „Wir wollen daher sofort mit der Durchmischung beginnen.“

Auch Humbert weiß allerdings, dass das leichter gesagt als getan ist. Weil es normalerweise in Deutschland mindestens zwei, wenn nicht drei Jahre dauert, Wohngebäude zu errichten – zumal an einem neuen Ort –, wurde auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 der Paragraf 246 des Baugesetzbuches geändert. Flüchtlingsunterkünfte dürfen seitdem unter Beschränkung der sonst üblichen Bürgerbeteiligung errichtet werden.

Das Problem, vor dem man jetzt am Mittleren Landweg steht: Laut Gesetz dürfen dort nur Flüchtlinge wohnen. Das reguläre Bebauungsplanverfahren, das den Einzug anderer Mieter erlaubt, werde frühestens Mitte kommenden Jahres erfolgreich abgeschlossen sein, sagt Dornquast. Trotzdem hat er sich auf die Idee der Bürgerinitiative eingelassen und die Juristen des Zentralen Flüchtlingskoordinators gebeten, nach einem Schlupfloch zu suchen. Die Hoffnung: Vielleicht lässt sich die Durchmischung ja doch früher bewerkstelligen.

Unabhängig davon sind die Anwohner und der Bezirksamtsleiter übereingekommen, umgehend damit zu beginnen, ein Konzept für die Durchmischung zu erarbeiten. Mit am Tisch sollen „Fördern & Wohnen“ (f&w) und der Investor FeWa Mobil Verwaltungs GmbH sitzen. F&W betreibt gegenwärtig die Flüchtlingsunterkunft. Der Investor wird die Bewirtschaftung der „normalen“ Wohnungen übernehmen.

Alle Wohnungen sind seniorengerecht gebaut

Sowohl der Bezirksamtsleiter als auch die Bürgerinitiative schätzen, auch wenn sie in anderen Punkten viel trennt, die Chancen für eine „normale Vermietung“ als gut ein. „Studenten, Senioren, Sozialhilfeempfänger finden hier sicher ein gute Bleibe“, sagt Humbert. Arne Dornquast verweist auf die gute Qualität, die sich nicht von anderen Gebäuden des sozialen Wohnungsbaus unterscheide.

Für Dornquast ist der Verweis auf einige besondere Qualitäten der Wohnungen wichtig. „Alle 185 Erdgeschosswohnungen sind rollstuhlgerecht und barrierefrei gebaut. Wo findet man so eine Qualität in anderen Teilen der Stadt?“ Die anderen Wohnungen seien per Fahrstuhl erreichbar und barrierearm, also bestens für Senioren geeignet.

Im Blick hat Dornquast zudem Studenten. „Der Anteil der Zwei-Zimmer-Wohnungen ist hoch“, sagt er. „Beide Räume sind ähnlich groß, also geeignet für eine Klein-WG.“ Die Nähe zur S-Bahn sei praktisch. „Die meisten Hochschulen können per öffentlichem Personennahverkehr erreicht werden.“

Die Bergedorfer CDU will „retten, was zu retten ist“

Die Opposition betrachtet das Ganze mit Skepsis. „Der Bau der Großsiedlung am Gleisdreieck war, ist und bleibt ein großer Fehler“, sagt der Bergedorfer CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Dennis Gladiator. „Nicht zuletzt, weil Deutschlands größte Flüchtlingsunterkunft integrationsfeindlich geplant wurde.“ Gladiator sieht in einer frühen Durchmischung der Einwohnerschaft eine Chance, „zu retten, was zu retten ist“.

Die FDP-Abgeordnete Jennyfer Dutschke fürchtet, dass sich die Strukturen verfestigt haben, bevor dort andere Menschen wohnen dürfen. „Der Bau von Wohnungen auf Basis des Flüchtlingsparagrafen 246 war von Anfang an ein Fehler, der sich jetzt rächt.“ Die Großsiedlung im Nirgendwo bleibe ein „Risiko für gelingende Integration“.

Die Voraussetzungen, dass Integration gelingen kann, liegt auch an der Belegung des Heims. Wie schnell ein „Bewohnerwechsel“ gehen könne, zeige die Flüchtlingsunterkunft an der Sophienterrasse in Harvestehude, um die es seinerzeit viel Streit gegeben habe, sagt F&W-Sprecherin Schwendtke. „Dort ist inzwischen die Hälfte derjenigen Bewohner, die ganz am Anfang dabei waren, in eine eigene Wohnung irgendwo in der Stadt gezogen.“