Hamburg. Sie haben sich nie gescheut, auch strittige Themen anzupacken. Das Abendblatt widmet der Attraktion ein ganzes Magazin.

Manche mögen das Miniatur Wunderland ja für ein Paradies halten, in dem die Welt noch in Ordnung ist, sieht man einmal von den regelmäßigen Bränden im Schloss Löwenstein ab. So erinnert die pittoreske Landschaft in der Speicherstadt an eine Puppenstube, einen Kindertraum, ein Spitzweg-Idyll. Das dürfte eine optische Täuschung sein. Das Wunderland ist keine bessere Welt. Vielleicht aber weist das Wunderland den Weg in eine bessere Welt.

Immer wieder finden die großen Schlagzeilen ihren Niederschlag in Knuffingen, immer wieder wird die große Politik plötzlich Teil der Miniaturwelt. „Ich bin nicht politisch, aber ich bin gesellschaftskritisch“, sagt Frederik Braun dazu. Ende Juni 2019 löste seine Aktion einen Sturm der Entrüstung aus: „Schockierende Bilder in Knuffingen aufgetaucht! Die kleinen Wunderländer Tierschützer vom Tierschutzbund haben heute Nacht heftige Plakate aufgestellt, um uns Menschen wachzurütteln“, hieß es damals. Zu sehen waren Fotos von Menschenfiguren an Melkmaschinen im Maßstab 1:87 mit dem Slogan „Stoppt die Massenmilchproduktion“ oder gebärende Mütter, deren neugeborene Kinder auf einem Fließband abtransportiert werden mit dem Slogan „Stoppt das Jungenschreddern“.

Veganer jubilierten, Landwirte hyperventilierten

So heftig wie die Bilder fiel das Echo aus. „Bauern-Bashing“, „geschmacklos“, schimpften die einen. „Sehr kreativ“, „Hut ab, dass ihr das Thema Massentierhaltung aufgreift“, lobten andere. Veganer jubilierten, viele Landwirte hyperventilierten. Der Unmut gipfelte sogar in Boykott-Aufrufen. Die Emotionen kochten so hoch, dass Frederik Braun bei Facebook zum gegenseitigen Respekt aufrufen musste: „Bitte keine weiteren Beleidigungen. Sonst sehen wir uns zum ersten Mal in der Geschichte des Wunderlandes gezwungen, einen Post zu ,moderieren‘, und würden dann auch Beiträge löschen und zur Not Leute sperren.“

Schließlich nahmen die Gebrüder Braun selbst Druck vom Kessel, als sie posteten: „Liebe Bauern, wir merken, dass einige von Euch sich durch diesen Post von uns verletzt fühlen. Wir haben uns viele Gedanken vor der Veröffentlichung gemacht und leider außer Acht gelassen, dass es Euch treffen könnte. Wir wollten eigentlich uns Verbraucher aufrütteln, endlich umzudenken, dass immer billigeres Fleisch nicht der richtige Weg ist.“

Braun-Brüder stellten sich der Kritik

Die heftig Kritisierten stellten sich den Kritikern: Gerrit Braun besuchte den Hof eines Landwirts. Ihr Austausch mündete nun in einer gemeinsamen Ausstellung: Mit dem Bauernverband ist im Wunderland eine Tierwohlausstellung zu sehen, die am Beispiel der Schweinezucht fünf Stufen zeigt – zwischen Musterbauernhof und Agrarfabrik.

Ein Infostand zur „Homo-Ehe“ steht auf einem Marktplatz.
Ein Infostand zur „Homo-Ehe“ steht auf einem Marktplatz. © picture alliance / dpa

Das Thema Fleisch treibt die Brauns um. „Wir sind zwar Städter, aber waren als Kinder regelmäßig in unserem Wochenendhaus bei Westerstede. Da haben wir oft beim Bauern geholfen“, erzählt Braun. „Unsere Aktion richtete sich nicht gegen Fleischesser, sondern gegen die Auswüchse der Fleischindustrie. Wir essen ja selbst Fleisch.“ Im Wunderland-Restaurant haben sie deshalb vor zwei Jahren Biofleisch ins Angebot aufgenommen. Für einen Euro Aufpreis bekommen die Kunden Schnitzel oder Currywurst aus artgerechter Haltung. Dieses Angebot nutzten zu Beginn nur fünf Prozent der Besucher, inzwischen sind es 15 Prozent. „Wenn wir unsere Gäste direkt ansprechen, sind es mehr als 50 Prozent“, erzählt Braun.

Sie wollen Denkanstöße geben

„Wir wollen Denkanstöße geben. Verbote schaffen keine Veränderungen, wir müssen die Haltung verändern.“ Aus dieser Idee heraus produzierten die Wunderländer die Schockbilder des „Tierschutzbundes Knuffingen“. Viele im Umfeld waren skeptisch. „Wenn wir uns was in den Kopf setzen, wollen wir nur bestätigt werden und versuchen Bedenken auszuräumen.“ Gerrit und Frederik haben ein gegenseitiges Vetorecht – bei dieser Aktion war Gerrit skeptisch, Frederik total überzeugt. „Das war ein schmaler Grat“, sagt Frederik heute. „Wir stehen zu den Bildern. Aber die Botschaft haben wir missverständlich transportiert.“ Gleichwohl: Sie haben wieder einmal eine Diskussion ausgelöst, die am Ende etwas verändern, ja verbessern kann.

„Arbeitsagentur geschlossen“ – im „Idealland“ der FDP 2013.
„Arbeitsagentur geschlossen“ – im „Idealland“ der FDP 2013. © dpa

Die Tierwohl-Initiative war die vielleicht lauteste, aber beileibe nicht die einzige Aktion der Braun-Brüder. Immer wieder mischen sie sich ein. Kritisch kommentierten Hetzer im Netz vor drei Jahren die Idee, Bedürftige jeweils im Januar gratis ins Miniatur Wunderland zu laden. Manche Gäste von rechts außen mokierten sich, dass viele Flüchtlinge das Angebot nutzten – und sie angeblich mit ihrem Eintritt nun für „Wirtschaftsflüchtlinge“ zahlen müssten.

Internationale Schlagzeilen

Sogar internationale Schlagzeilen schrieb das Miniatur Wunderland mit dem Mauerbau von Hamburg. Über Nacht war der Abschnitt der unbegrenzten Möglichkeiten – immerhin eine der frühen Landschaften in der Modellbauanlage – hinter einer Mauer verschwunden. Auslöser war der Ärger über US-Präsident Donald Trump, der für Milliarden Dollar eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten will. „Wir planen so etwas nicht, das ist spontan. Wenn uns etwas aufregt, legen wir los“, erzählt Frederik Braun. „Am Montag hatte Gerrit die Idee, am Dienstag haben wir die Mauer gebaut, am Mittwochmorgen war sie bei Facebook zu sehen.“ Der Slogan zur Aktion lautete: „Make the World grea­t again“. Das kam in Amerika weniger gut an, 300 von 30.000 Fans verabschiedeten sich erzürnt per Mausklick vom Hamburger Wunderland. „Lieber verliere ich ein paar Fans als meine Seele“, sagt Frederik Braun. Und durfte sich bald über 1000 neue Freunde freuen – wegen der Mauer.

Bei der SPD schließt sich vor der Wahl 2013 die soziale Schere.
Bei der SPD schließt sich vor der Wahl 2013 die soziale Schere. © picture alliance / dpa

Im Stau kam Braun auf die Idee, ein Wunderland-Video zur Rettungsgasse zu produzieren. Er hatte erlebt, wie ein Autofahrer vor ihm einen Krankenwagen blockiert hatte. Flugs stellte er die Situation im 1:87-Format nach. 20 Millionen Menschen haben das Video, das „Leben retten kann“, inzwischen gesehen. Früher gab es den „7. Sinn“ im Fernsehen zur Verkehrserziehung – heute sendet das Wunderland auf allen Kanälen.

Vor Wahlen luden die Brüder die Parteien ein

Zu den Bundestagswahlen 2009 und 2013 zog sogar die Politik ins Wunderland ein. „Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl war 2009 auf 43 Prozent gefallen – das hat uns geschockt“, beschreibt Braun eine Diskussion mit seinen Brüdern Gerrit und Sebastian Drechsler. „Wir haben uns gefragt, was wir tun können, um die Menschen zur Wahl zu motivieren und Politik greifbar zu machen.“ Also luden sie die Parteien ein, gemeinsam mit Modellbauern ihr eigenes Stück Wunderland auf 10.000 Quadratzentimetern gestalten zu dürfen, das Parteiprogramm auf einen Blick.

Die kleinen Welten der großen Politik sind heute ein Stück Geschichte. „Es ist spannend zu sehen, welche Themen die Parteien damals hatten“, sagt Braun. Im Bayern der CSU geht es volkstümlich zu, Polizisten reiten durch das blau-weiße Modell. Bei der CDU arbeiten die Kinder im digitalen Klassenzimmer am Computer, die Schuldenuhr ist bei null stehen geblieben. Im Utopia der Grünen drehen sich Windräder und baden die Menschen im Bach, während die Linke gleich zwei Modelle präsentiert: den Überwachungsstaat Fiesbaden und das sozialistische Paradies Wiesbaden.

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Bei der SPD geht ein Riss durchs Land, den Bürgerversicherung und Mindestlohn kitten sollen, eine Heuschrecke, so nannte Franz Müntefering gierige Investoren, wird gefesselt, ein Panzer zerlegt. Die FDP hat sich das Arbeitsamt in ein Bürgerbüro und Start-up-Center verwandelt; eine 24-Stunden-Kita betreut Kinder Tag und Nacht. Parteiprogrammatik im Maßstab 1:87.

Bei der Bundestagswahl 2017 fiel das gebaute Wahl-Programm im 1:87-Format aus, zu wenig Echo, zu wenig Begeisterung der Modellbauer für die Politik. Wer eine Welt bauen kann, lässt sich ungern von Parteiprogrammen regieren. „Und keiner hatte Lust, das AfD-Paradies zu gestalten“, verrät Braun. Dafür stellten sie mit „Die apokalyptischen Nichtwähler“ ein Wunderland-Video ins Netz, das alle Ausreden der Unpolitischen entlarvt. „Man muss die Leute manchmal schütteln, um ihnen zu zeigen, wie gut es ihnen geht.“

„Man muss die Leute manchmal schütteln, um ihnen zu zeigen, wie gut es ihnen geht.“

Frederik Braun

Das Wunderland ist eine Welt im Werden, von ihren Schöpfern immer wieder neu gestaltet. So lassen sich die großen Debatten manchmal in wenigen Figuren herunterbrechen. „Wir kriegen oft auf die Fresse“, sagt Braun. „Aber wir reagieren auf jeden Shitstorm damit, die Menschen mit Liebe zu überschütten. Das Negative ist oft laut, das Positive leise – das müssen wir drehen.“

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