Hamburg. Bürgerschaft beschließt Antrag von SPD, Grünen, CDU und Linken in erster Lesung. Demonstranten entrollen Spruchbänder.

Sie sagen keinen Mucks, niemand sieht zu ihnen hoch. Deshalb gelingt den Aktivisten des Bündnisses Extinction Rebellion in der Bürgerschaft die Überrumpelung. Innerhalb weniger Sekunden entrollen etwa zehn junge Leute von den Zuschauertribünen aus fünf Spruchbänder in den Plenarsaal. Die Abgeordneten unten sind baff. Auch Vizepräsidentin Barbara Duden (SPD) muss sich einen kurzen Moment fangen, bis sie den Aktivisten erklärt, dass Demonstrationen im Landesparlament verboten sind.

Trotzdem bleiben die Botschaften zunächst hängen. „Vor uns die Sintflut“, „Paris gilt auch in Hamburg“, „Klimaschutz Hamburger Art“ steht auf bunten Stoffen. Hamburg tut nicht genug gegen die Erderwärmung, soll das wohl heißen. Duden bleibt ruhig, muss aber drohen, notfalls die Polizei zu rufen – da ziehen die Aktivisten ihre Banner hoch. Nach drei Minuten ist der Protest zu Ende.

SPD: Auch sozialer Ausgleich ist wichtig

Eine Entgegnung folgt sofort: „Wir wissen sehr wohl, was auf der Straße vor sich geht, dass junge Leute dort für den Klimaschutz demonstrieren“, ruft die SPD-Abgeordnete Monika Schaal zu Beginn der Debatte über die Verankerung des Klimaschutzes in der Verfassung. „Sie bringen dieses Eigeninteresse voran“, sagt Schaal und blickt hinauf zu den Tribünen, „aber wir haben im Parlament auf mehr Rücksicht zu nehmen, wir müssen sozialen Ausgleich schaffen. Dieser Verantwortung werden wir auch beim Klimaschutz gerecht.“

Ihrer Verantwortung gerecht werden wollten auch die Fraktionen von CDU, Grüne und Linken, die mit der SPD in einem interfraktionellen Antrag dafür plädieren, folgenden Satz in die Verfassung einzufügen: „Insbesondere nimmt die Freie und Hansestadt Hamburg ihre Verantwortung für die Begrenzung der Erderwärmung wahr.“ Die nötige Zweidrittel-Mehrheit für eine solche Verfassungsänderung kam am Mittwoch nach der ersten Lesung wie erwartet zustande. Die zweite Lesung durfte allerdings nicht wie bei normalen Gesetzesvorhaben direkt im Anschluss stattfinden. Vielmehr sieht das Gesetz vor, dass bei Verfassungsänderungen 13 Tage zwischen erster und zweiter Lesung liegen müssen.

FDP spricht von „symbolpolitischem Aktivismus“

Von „symbolpolitischem Aktivismus“ sprach der FDP-Abgeordnete Kurt Duwe stellvertretend für seine Fraktion, die sich dem Antrag nicht anschloss. Die Verfassung enthalte bereits das Ziel „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“. Es brauche keine Verfassungsänderung, um den Klimaschutz zu stärken. Der Zusatz in der Präambel befeuere möglicherweise Ängste, sagte die AfD-Abgeordnete Andrea Oelschläger. Ihre Fraktion stimmte ebenfalls dagegen.

„Wir wissen, was auf der Straße vor sich geht, dass junge Leute dort für den Klimaschutz demonstrieren. “

Monika Schaal, SPD

Von dieser zum Teil schon im Vorfeld geäußerten Kritik abgesehen, ließ der interfraktionelle Antrag eine weitgehende Einigkeit zumindest zwischen den rot-grünen Regierungsfraktionen und CDU und Linken erwarten. Tatsächlich gab sich dann aber insbesondere die CDU alle Mühe, diesen Eindruck nicht entstehen zu lassen – als Reaktion vor allem auf die Worte des grünen Umwelt­senators Jens Kerstan.

Trepoll: „Klimaschutz nicht zu jedem Preis“

Der betonte zunächst, was sich durch den Zusatz des Klimaschutzes in der Verfassung verändere: „Es verpflichtet die staatlichen Akteure, bei widerstreitenden Interessen diesem Ziel Priorität einzuräumen.“ „Das ist nicht der Fall“, rief CDU-Fraktionschef André Trepoll. Es müssten immer mehrere Verfassungsgüter miteinander abgewogen werden. „Das bedeutet nicht, Klimaschutz über alles, zu jedem Preis.“ Zudem sei es ein Ärgernis, dass Kerstan und SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf von Deutschlands bestem Klimaplan sprechen, „mit dem ganzen Murks, den sie uns eingebrockt haben, weil sie nicht die EU-Vorgaben erfüllt haben“, sagte Trepoll.

Der Hintergrund: Am 3. Dezember hatten Bürgermeister Peter Tschen­tscher (SPD) und Kerstan erklärt, wie sie den Hamburger Klimaplan von 2015 fortschreiben wollen. An diesem Tag hatte der rot-grüne Senat zudem den Entwurf für ein neues Klimaschutzgesetz verabschiedet, das die Ziele rechtsverbindlich verankern soll. Anfang Januar wurde dann jedoch bekannt, dass es für drei in dem Gesetz vorgesehene Regelungen einer EU-Notifizierung bedarf. Die nötige Prüfung kann drei Monate dauern.

Verbot von Ölheizungen für Neubauten ab 2022

Durch das Gesetz will der Senat mehr als 400 Maßnahmen und Vorgaben durchsetzen, darunter etwa ein Verbot von Ölheizungen für Neubauten ab 2022, eine Pflicht zu Solaranlagen auf geeigneten Dächern von Neubauten ab 2023, ein größerer Anteil von Bussen und Bahnen an der Mobilität und weitere autofreie Zonen in der Innenstadt. Dadurch soll Hamburg seinen Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) bis 2030 gemessen am Wert von 1990 um 55 Prozent reduzieren und bis spätestens 2050 fast gar nichts mehr zur Erderwärmung beitragen, also „klimaneutral“ sein.

Wegen der EU-Prüfung wird Rot-Grün ein Verbot von Ölheizungen, Nachtspeicherheizungen und Klimaanlagen nicht mehr vor der Bürgerschaftswahl am 23. Februar beschließen können. Eine um diese Punkte bereinigte Version des Klimaschutzgesetzes brachten die Regierungsfraktionen mit ihren Stimmen aber schon am Mittwoch in erster Lesung auf den Weg.

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Wie die CDU wollte auch die FDP-Fraktion diesen Weg nicht mitgehen. Der Linken-Abgeordnete Stephan Jersch sagte, das Klimaschutzgesetz gehe zwar in die richtige Richtung, sei aber „zu dünn, zu kurzsichtig“. Die Bürger würden finanziell belastet, die Wirtschaft eher geschont. „Die Freiwilligkeit bei der Industrie ist zu blauäugig“, sagte Jersch.