Hamburg. Forscher David Grawe erläutert, was den Norden erwartet – und wie die Stadtplanung für ein weiterhin erträgliches Klima sorgen kann.
Der Klimawandel ist nicht mehr vollständig aufzuhalten. Was aber könnten die Folgen für den deutschen Norden sein? Wie können sich Städte wie Hamburg auf die vorhersehbaren Veränderungen einstellen? Und was muss sich bei der Stadtplanung ändern, um das Leben in Hamburg trotz Erwärmung und möglicher Starkregen künftig so gesund und angenehm wie möglich zu gestalten? Wir haben über diese Fragen mit dem Hamburger Meteorologen David Grawe gesprochen, der im Bereich Stadtsystemforschung an der Universität Hamburg arbeitet – und zu den mehr als 200 Wissenschaftlern gehört, die sich im Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change, and Society“ (CLICCS) mit Klimaprognosen und den Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesellschaft befassen.
Herr Grawe, wie erleben Sie die aktuelle Klimadebatte? Wird sie zu aufgeregt geführt, oder ist die Lage womöglich noch ernster, als viele wahrhaben wollen?
David Grawe Wir sind auf jeden Fall in einer Situation, in der wir handeln sollten. Ich finde es deswegen auch gut, dass es viele Menschen aus der Bevölkerung gibt, die sich in diesem Bereich jetzt engagieren. Handeln heißt hier aber auch, sich an bereits unausweichliche Änderungen anzupassen.
Sie befassen sich im Rahmen des Exzellenz-projektes CLICCS mit den Veränderungen des Stadtklimas. Was erwartet uns da in Hamburg?
Einerseits sind wir natürlich als Stadt dem weltweiten Klimawandel ausgesetzt. Andererseits beeinflussen wir das lokale Klima aber auch direkt selbst, in dem wir als Stadt etwa Wärme an die Umgebung abgeben. Damit nehmen wir unmittelbar Einfluss auf Temperaturen und Niederschläge bei uns.
Wie genau geschieht das?
Etwa dadurch, dass der Beton unserer Gebäude tagsüber Wärme speichert und sie nachts wieder abgibt. Oder dadurch, dass wir in den kälteren Monaten massiv Heizwärme abgeben, die ja in die Atmosphäre aufsteigt. Ein anderer wichtiger Faktor ist die Versiegelung der Böden in Städten. Sie führt dazu, dass Wasser nicht versickert, sondern abfließt und dann nicht mehr verdunsten kann, auch das führt zu höheren Temperaturen. Dichte Bebauung führt einerseits dazu, dass die Stadt weniger durchlüftet wird. Andererseits kann sie starke Böigkeit verursachen, also dazu führen, dass Windgeschwindigkeiten zwischen Gebäuden steigen. Schadstoffe, etwa aus Industrie und Verkehr, haben zudem Auswirkungen auf die Niederschläge. Allerdings kennen wir beim Thema Niederschläge die genauen Zusammenhänge für Hamburg noch nicht. Auch die wollen wir in unserem Projekt nun genauer erforschen. Unser Ziel ist ein integriertes Stadtmodell, mit dessen Hilfe man sich an die Veränderungen anpassen kann.
Und wie wirkt sich die Änderung des Weltklimas auf Hamburg aus?
Für Norddeutschland gilt nach den Szenarien des Weltklimarats IPCC weitgehend das, was global gilt. Wenn wir es also schaffen, die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, dann gilt das auch für Hamburg. Beim Niederschlag sind die Auswirkungen noch nicht so klar. Es gibt nach den Berechnungen die Möglichkeit, dass die mittlere Niederschlagsmenge entweder leicht zu- oder leicht abnimmt, etwas wahrscheinlicher ist eine leichte Zunahme. Von sehr großen Erhöhungen der Niederschlagsmengen gehen wir aber nicht aus.
Aber von einer anderen Verteilung.
Genau. Wir gehen davon aus, dass die Extreme zunehmen. Wir müssen uns auf mehr Starkregen und längere Trockenperioden einstellen.
Welche Maßnahmen kann eine Stadt wie Hamburg ergreifen, um sich auf diese und andere Klimaveränderung vorzubereiten?
Es gibt eine ganze Reihe von Maßnahmen. Die wichtigste ist die Entsiegelung, man sollte also mehr Grünflächen schaffen und das Grün so anlegen, dass es nicht unter Wasserstress leidet, also unter Trockenheit. Das Grün muss so angelegt sein, dass es in tiefen Substratschichten genug Wasser speichern kann. Dabei ist es wichtig, dass es überall in der Stadt Grünflächen gibt – also nicht nur einen großen Park und dafür in den Vierteln drum herum gar kein Grün mehr. Denn das Grün sorgt ja in der unmittelbaren Umgebung für Kühlung.
Was sonst sollte Hamburg bei der Stadtplanung mit Blick auf den Klimawandel beachten?
Zum Thema Grün und Entsiegelung gehört auch die Dachbegrünung. Wenn wir auf möglichst vielen Dächern intensive Begrünungen anlegen, dann trägt das zur Kühlung bei und kann zugleich die Effekte des Stadtwachstums mehr als ausgleichen. Intensiv bedeutet dabei: Die Pflanzen brauchen eine tiefe Substratschicht, damit sie auf einen Wasserspeicher zugreifen können. Nur dünne Böden auf den Dächern mit reinem Moosbewuchs wirken nicht so stark. Das ist auch ein statisches Problem, denn die Erde, die dort auf die Dächer gebracht werden muss, hat ja ein hohes Gewicht. Bei Neubauten kann man das von Beginn an berücksichtigen, bei älteren Gebäuden kann es schwierig sein.
Und was tut man für die von Ihnen angesprochene bessere Belüftung der Stadt?
Man sollte auch bei dichterer Bebauung Schneisen frei lassen. Das muss man sich aber für einzelne Vorhaben individuell ansehen. Es ist wichtig, dabei die Balance zu finden zwischen guter Ventilation und zu starker Durchlüftung. Sonst fliegen irgendwann die Schirme in den Straßencafés weg, und man kann Balkone nicht mehr nutzen, weil es zu böig ist.
Angesichts des Bevölkerungswachstums in Hamburg muss ja dichter gebaut werden – oder man geht stärker in die Höhe, was viele Hamburger eher skeptisch sehen. Wie wirken sich höhere Häuser auf das Stadtklima aus?
Höhere Häuser haben mehrere Effekte. Sie erhöhen einerseits die Verschattung und senken damit die Temperaturen. Zugleich speichern sie die Wärme tagsüber und geben sie nachts ab, was gerade in Sommernächten ein Problem sein kann. In der Summe ist der Effekt höherer Häuser auf das Stadtklima aber positiv zu sehen. Wenn man in die Höhe baut, muss man weniger Flächen versiegeln oder kann sogar manche Areale wieder entsiegeln und begrünen. Und das ist ja eine der wichtigsten Möglichkeiten, die wir haben, um der Erwärmung zu begegnen.
Was können wir noch tun für ein gutes Stadtklima auch in Zeiten der Erderwärmung?
Ein weiterer Faktor ist das Einsparen von Energie, denn vor allem die Heizungswärme im Winter geben wir ja an die Umgebung ab. Um also noch einmal den Katalog möglicher Maßnahmen zusammenzufassen: Grünflächen erhalten und erweitern, durch Entsiegelung und Dachbegrünung; für gute Durchlüftung der Stadt durch genug Schneisen sorgen – und Energie sparen. Außerdem sollte die Belastung der Luft mit Schadstoffen verringert werden – auch wegen des Einflusses auf Niederschläge.
Haben Sie eigentlich die Stadt bereits in kleine Klimazonen aufgeteilt? Wo ist es am wärmsten, wo regnet es am meisten?
Ja, das kann man kartieren. So ist die Temperatur im Sommer auf St. Pauli zum Beispiel im Mittel 2,5 Grad höher als im Umland. Und je weiter ein Stadtteil von der Nordsee entfernt ist, umso weniger regnet es dort. Am meisten Niederschlag gibt es also im Nordwesten.
Davon kann ich als Niendorfer ein Lied singen.
Es gibt aber auch andere Effekte, zum Beispiel die Harburger Berge. Dort regnet es auch mehr als in anderen Teilen der Stadt.
Ich weiß nicht, ob mich das tröstet. Beim Exzellenzprojekt CLICCS arbeiten ja auch Sozialwissenschaftler mit. Warum?
Ein Ziel ist es, auch sozioökonomische Aspekte des Klimawandels in der Stadt zu betrachten – also zum Beispiel zu untersuchen, ob in betroffenen Gebieten Menschen leben, die weniger Geld haben und denen die Anpassungen an den Klimawandel daher weniger leicht fallen. Aber damit beginnen wir erst. Es gibt zum Beispiel erste Thesen einer Verknüpfung, dass etwa in wärmeren Gebieten Menschen leben, die weniger Einkommen haben.
Was bedeutet der erwartete deutliche Anstieg des Meeresspiegels für Hamburg?
Auch dieser Frage gehen wir beim Exzellenzprojekt CLICCS nach. Es gibt ein Unterprojekt mit dem Namen „Wasser von vier Seiten“. Darin wollen wir ein Modell erarbeiten zur Anpassung an die Effekte des Klimawandels auf Starkniederschlag, Hochwasser, Hinterlandüberflutung und Grundwasser. Natürlich ist Hochwasser ein Thema für Hamburg bei seiner geografischen Lage.
Zum Schluss noch einmal zur globalen Erwärmung: Kann der Klimawandel aus Ihrer Sicht durch technologische Innovation gebremst werden, oder sind auch individuelle Verhaltensänderungen nötig?
Beides ist nötig. Wir brauchen Lösungen, die global einsetzbar sind. Die müssen aber auch von den Menschen individuell genutzt werden.
Haben Sie selbst Ihr Verhalten aufgrund des Klimawandels eigentlich geändert?
Ich versuche mein Verhalten schon anzupassen. Ich sehe aber auch, dass es immer nur ein sehr kleiner Beitrag ist, den jeder Einzelne leisten kann. Es ist ja oft auch gar nicht genau klar, wie viel Klimaschutz oder Klimabelastung in einzelnen Produkten oder in einem bestimmten Verhalten drinsteckt. Wir brauchen auch große globale und technologische Lösungen für das Problem.