Hamburg. Taskforce kontrolliert fast 55.000 Menschen, 290 kamen in Haft. Kritiker halten die Einsätze für Augenwischerei. Kokain per Taxi.

Schon in aller Frühe lungern sie im Schanzenpark herum, warten auf Kundschaft. Die Kunden der jungen Männer, die sich unverkennbar konspirativ verhalten, sind vor allem Kiffer, denn das wird hier am häufigsten verkauft: Marihuana. Ortsunkundige Spaziergänger können schon mal überrascht werden, wenn die Männer ihnen im Vorbeigehen zuraunen: „You want some?“

Die Dealer stehen entlang der Pfade, die durch den Park führen, und auf dem Spielplatz nahe am Bahnhof Schlump, in Sichtweite des Wasserturms. So wie an jedem Tag, von morgens bis nachts.

Balduintreppe und Schanzenpark: Hotspots für Dealer und Käufer

Ähnlich wie die Balduintreppe auf St. Pauli ist auch der Schanzenpark ein Kristallisationspunkt der Drogenproblematik in Hamburg, ein Kiffer-Hotspot mitten in der Party-Zone – und damit auch ein zentrales Operationsgebiet der 2016 gegründeten Taskforce Drogen zur Bekämpfung der „öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität“. Allein in der Sternschanze hat die Polizei-Einheit im Vorjahr 353 Schwerpunkteinsätze und damit genauso viele absolviert wie in St. Georg, so die Polizei auf Abendblatt-Anfrage.

Mit 1079 Einsätzen gab es auf St. Pauli sogar dreimal so viel Razzien wie in den anderen Hotspots.

Ein mutmaßlicher Dealer im Schanzenpark
Ein mutmaßlicher Dealer im Schanzenpark © Michael Arning | Arning

Auch im Vorjahr hat die Taskforce einen enormen (Personal-)Aufwand betrieben, um Drogendealer- und konsumenten zu erwischen. 23.564 Beamte wurden im Vorjahr für die Drogenfahndung eingesetzt, an jedem Tag mehr als 60 Polizisten.

38.526 Personenkontrollen in St. Georg

Bis Ende September 2019 fielen fast 153.000 Personalstunden an. Die mit Abstand meisten mutmaßlichen Drogenhändler und -käufer überprüften die Beamten in St. Georg, dort waren es exakt 38.526 Personenkontrollen. 14.519 waren es auf St. Pauli, 1645 im Bereich Sternschanze. Insgesamt gab es 54.690 Personenkontrollen, 776 vorläufige Festnahmen und 1557 Ingewahrsamnahmen. 4051-mal sprachen die Polizisten einen Platzverweis, 20.651-mal ein Aufenthaltsverbot aus.

Zum Vergleich: In den ersten zwei Jahren nach ihrer Gründung hatte die Taskforce insgesamt „nur“ 65.000 Personen überprüft.

Dem Haftrichter führten die Beamten im Vorjahr 369 Verdächtige vor. In 290 Fällen wurde Haftbefehl erlassen. 2018 gab es 389 Zuführungen und 317 Haftbefehle. „Es stellt sich nicht die Frage nach der Zahl der Zuführungen, sondern wie die Justiz mit den von der Polizei festgestellten Rauschgiftstraftaten verfährt, sprich wie viele Strafbefehle ausgegeben, wie viele Anklagen erhoben und wie viele Urteile verkündet werden“, kritisiert indes Jan Reinecke, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK

Je intensiver die Polizei ermittelt, desto mehr Straßendealer fliegen auf

. Solche auf den Straßendeal bezogenen Statistiken werden nicht erhoben. Unklar ist auch, wie lange die „kleinen Fische“ in Haft und damit den Dealplätzen fernbleiben. Tage? Wochen? Monate? Wie es aus Polizeikreisen heißt: wohl eher einige Tage oder Wochen.

In ganz Hamburg hat die Polizei von Januar bis Ende September 11.074 Rauschgiftdelikte (2018 gesamt: rund 13.200) erfasst, 1912 Fälle stuft sie als klassische Deal-Delikte ein – ein Anstieg von 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Kein Wunder: Je intensiver die Polizei ermittelt, desto mehr Straßendealer fliegen auf. Genauso schnell, wie sie verschwinden, kommen die Dealer häufig allerdings auch wieder zurück – oder sie werden durch neue ersetzt.

Sternschanze: Bis September 2019 schon 593 Drogendelikte

Dabei mangelt es nicht an Ideen, wie sich der Absatz von Kokain und Co. eindämmen ließe. So hatte der Bezirk Altona Ende 2018 beschlossen, die Wege im Schanzenpark mit fünf zusätzlichen Laternen auszuleuchten, damit sich Passanten sicherer und die Dealer weniger sicher fühlen. Aus dem skurrilen Vorschlag eines Anwalts, die Drogenszene mit Hunden und Kampfsportlern zu vertreiben, wurde hingegen nichts.

Viele Ideen sind verpufft – die Dealer sind geblieben: Allein im Bereich Sternschanze hat die Polizei bis September 593 Drogendelikte erfasst, davon 190 Dealtaten, vornehmlich im Schanzen- und dem Florapark, den Hotspots im Viertel. Im selben Zeitraum hatten die Beamten 2018 noch 236 Taten aus diesem Spektrum erfasst – ein Rückgang um 19,5 Prozent. Immerhin.

Im Bereich Sternschanze ermittelten die Beamten in den ersten drei Vorjahresquartalen 131 Dealer, von denen 111 keinen deutschen Pass besaßen, so der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bürgerschaftsfraktion. Jeder Tatverdächtige werde nur einmal gezählt – egal wie oft er wegen des gleichen Delikts registriert worden ist. Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil geraten Ausländer bei Drogendelikten rund viermal häufiger als Verdächtige in den Fokus als deutsche Staatsangehörige.

Die meisten nicht deutschen Verdächtigen stammten 2018 aus Afghanistan, der Türkei und Polen. In den nach Nationalitäten differenzierten Top 20 waren allein acht afrikanische Länder.

BDK: Konsumenten bestellen den Stoff im Internet

Seit ihrer Gründung sieht sich die Taskforce Drogen teils harscher Kritik gegenüber. Sie binde zu viel Personal, ihre Kontrollen seien „rassistisch motiviert“, auch suchten sich Dealer im Zweifelsfall rasch einen anderen Platz, heißt es. Die „Nadelstiche“ lieferten im Verhältnis zum Aufwand einen zu geringen Ertrag. Mit der Szene, so ein Beamter, verhalte es sich wie mit der Hydra in der griechischen Mythologie: „Du schlägst einen Kopf ab, sofort wächst einer nach.“

BDK-Chef Reinecke lobt den Einsatz seiner Kollegen zwar ausdrücklich. Doch sei die Schwerpunktsetzung vor allem „politisch gewollt“, eine Art Augenwischerei, um die Bürger in scheinbarer Sicherheit zu wiegen. „Da schwere Rauschgiftkriminalität aber öffentlich nicht wahrnehmbar ist (…), werden die begrenzten Ressourcen der Kriminalpolizei entsprechend der politischen Prioritätensetzung, nämlich dem Straßendeal, eingesetzt.“

Der "Dealer des Vertrauens" liefert per Taxi nach Hause

Tatsächlich werde Hamburg von „nie da gewesenen Drogenmengen“ überschwemmt. Konsumenten bestellten ihre Drogen inzwischen im Internet – und ließen sie sich vom „Dealer ihres Vertrauens per Taxi nach Hause liefern“.

Die Polizei will aber nicht nachlassen im täglichen, zähen Kampf gegen die Dealer – vielleicht ist es einer gegen Windmühlen. Wie in Berlin am Görlitzer Park ganze Areale der Szene überlassen ist für sie keine Option. „Drogenkriminalität, gegen die nicht konsequent vorgegangen wird, führt zur Verelendung in Stadtteilen“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. „Deshalb ist es besonders wichtig, gegen Dealer vorzugehen. Den hierzu erforderlichen Atem werden wir auch im Jahr 2020 wieder an den Tag legen.“