Hamburg. Hamburg hat während der Asylkrise etwa 30.000 Menschen aufgenommen. Nun folgt die wahre Herausforderung: Gelingt ihre Integration?
Der kleine Bürobau in Harburg war heillos überfüllt, die Beamten brüllten Namen durch den Nieselregen. Wer aufgerufen wurde, durfte in einen Bus klettern. Irgendwie mussten die Menschen erfasst und verteilt werden. Auf Container, Hallen, Zelte. 6000 Menschen in nur einem Monat. Hamburg war an diesem Augusttag im Jahr 2015 eine Stadt im völligen Ausnahmezustand. „Wir blasen einen großen Ballon auf und hoffen, dass er nicht platzt“, sagte damals ein Senatsvertreter.
Es war nur der Beginn davon, wie die große Zahl von Flüchtlingen die Stadt verändern sollte. Mehr als 30.000 Menschen wurden allein bis zum Jahresende 2016 aufgenommen. Inzwischen leben nach aktuellen Senatsdaten fast 60.000 Menschen mit Asylhintergrund in Hamburg, die meisten davon mit einem Aufenthaltstitel für mehrere Jahre. Aber die Fragen, ob „wir das schaffen“, ob Integration gelingt, sind vielerorts geblieben.
Aus der Sozialbehörde heißt es, Hamburg habe die Herausforderungen bislang gut geschlagen. Früh bezeichnete der Senat die historisch große Zahl von Asylbewerbern auch als Chance für die Stadtgesellschaft: „Die Flüchtlinge halten uns einen Spiegel vor“.
Hamburg zeigte sich als warmherzige Stadt
Und das Bild, dass er zeigte, war vor allem zu Beginn das einer warmherzigen, tatkräftigen Stadt. Der „Zug der Hoffnung“ mit Flüchtlingen von der Balkanroute wurde beinahe euphorisch in Altona empfangen. Bei einer Spendenaktion gaben mehr als 10.000 Leser innerhalb weniger Stunden säckeweise Kleidung, Hygieneartikel, Spielzeug oder Tretroller bei der Redaktion am Großen Burstah ab. In den Messehallen entstand die größte Kleiderkammer der Republik, der Verein „Hanseatic Help“ entwickelte sich zu einem kleinen Logistikriesen, der bis heute in großem Stile erfolgreich für Bedürftige arbeitet.
Tausende bei Abendblatt-Spendenaktion
Die Verwaltung stieß dennoch bald an ihre Grenzen. Im Spätsommer 2015 mussten 500 von ihnen unter freiem Himmel schlafen, weil alle Kapazitäten erschöpft waren. In der Großunterkunft an der Schnackenburgallee drohte die Stimmung zu kippen, die Polizei sprach von einem „Pulverfass“, das kurz vor der Explosion stünde.
Die Krätze und andere Krankheiten kursierten in den notdürftigen Zeltcamps. Die Silvesternacht 2015/2016, als mehr als 400 Frauen an der Großen Freiheit auf St. Pauli mutmaßlich von Asylbewerbern bedrängt, begrapscht und in Einzelfällen vergewaltigt wurden, war das Ende der ungetrübten Willkommenskultur. Kein einziger Täter wurde verurteilt.
Großcamp im Osten, Weigerung im Westen
Auch der Widerstand von Anwohnern gegen einzelne geplante Unterkünfte wuchs – und mündete in der „Volksinitiative für gelungene Integration“. Sie kritisierte eine ungerechte Verteilung der Asylbewerber. Während der Senat damit begann, eine dauerhafte Großunterkunft für bis zu 3000 Menschen am Mittleren Landweg zu planen, wehrten sich Anwohner am Björnssonweg in Blankenese mit Straßenblockaden und Protesten gegen einen Standort mit wenigen Hundert Plätzen in ihrem Viertel. Mehrere geplante neue Standorte wurden per Klage verhindert oder aufgeschoben.
Monatelang verhandelten Senat und die Volksinitiative im Jahr 2016, bis ein Kompromiss erreicht wurde. Er sah nicht nur die Begrenzung der Unterkünfte auf möglichst 300 Plätze vor, sondern auch Maßnahmen zum Thema Bildung und Infrastruktur in den betroffenen Vierteln. Gegenüber Journalisten betonten Politiker aus Regierungsfraktionen von SPD und Grünen, dass der Streit um die Unterkünfte so demokratisch und kooperativ gelöst würde wie in keinem anderen Bundesland.
Jedes sechste Flüchtlingskind musste in Alphabetisierungsklasse
Die Volksinitiative kritisierte dagegen auch nach der Einigung mehrfach lautstark, dass die Stadt zwar stets bemüht sei, aber die Ziele aus den Bürgerverträgen dennoch vielerorts in Gefahr seien. „Wo dies der Fall ist, stellen wir die Integrations-Ampel auf Rot, um es klar anzumahnen“, sagte der Sprecher der Volksinitiative, Klaus Schomacker.
Tatsächlich mussten alle Behörden der Stadt erst von dem Unterbringungs- in den Integrationsmodus schalten. Wie ein Abendblatt-Rechercheprojekt ergab, war jeder vierte Asylbewerber, der während der Flüchtlingskrise eintraf, noch minderjährig. Sie zu beschulen und auszubilden sei eine „gewaltige Aufgabe, unvergleichbar mit allem in Hamburg Dagewesenen“, sagte der Schulsenator Ties Rabe (SPD). Etwa ein Sechstel der Flüchtlingskinder mussten zunächst in eine Alphabetisierungsklasse.
Auch bei der Integration zum Arbeitsmarkt wurden Förderprojekte aufgelegt, die längst nicht alle erfolgreich waren. Die Unternehmen mussten in vielen Fällen warten, bis die Flüchtlinge Deutsch lernten – und nur etwa die Hälfte der Teilnehmer in den staatlichen Integrationskursen erreichte in den vergangenen Jahren das Sprachniveau B1, das für eine Berufsausbildung ausreicht.
18.000 Geflüchtete haben einen Job gefunden
Trotzdem ist es gelungen, mehr Flüchtlinge in Arbeit zu bringen, als die Stadt vor fünf Jahren erhofft hatte. 18.000 Geflüchtete fanden bis zum Jahresende 2018 in Hamburg einen Job, knapp 16.000 suchten noch einen.
Die Mühen der Stadt bleiben dennoch weiterhin groß. 12.000 Menschen konnten bereits aus Unterkünften in eigene Wohnungen ziehen, auch dank ehrenamtlicher Hilfe. In Blankenese haben die Anwohner doch Flüchtlinge in der Nachbarschaft aufgenommen und gelten als engagiert. „Mit vielen Maßnahmen konnten wir den Herausforderungen gut begegnen“, sagt Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD).
Von einer gerechten Verteilung kann nach Angaben der Volksinitiative jedoch noch immer nicht die Rede sein. In 43 Stadtteilen seien noch gar keine Flüchtlinge untergebracht. Auch im Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern hat die Stadt kaum Erfolge erzielen können. 6000 Menschen wurden in Hamburg im Jahr 2019 geduldet, weil sie nicht abgeschoben werden konnten.
Anlass für erneuten Überschwang gebe es nicht, heißt es in der Verwaltung. Aber man habe eine Basis geschaffen – um auf dem Weg der Integration im nächsten Jahr weiter voranzukommen.