Hamburg. Mieten stiegen seit 2009 um 28,1 Prozent. Dennoch gilt das Bündnis für das Wohnen als Erfolgsmodell. Von Legenden und Realität.

Es sind Bilder, mit denen Berichte über die Suche nach Wohnungen in Me­tropolen gern illustriert werden. Fotos, die Schlangen in Treppenhäusern bei Wohnungsbesichtigungen zeigen – mitunter bis auf die Straße. Nur: Wie sehr spiegeln diese Bilder die Realität auf dem Hamburger Wohnungsmarkt wider? Stimmt es überhaupt, dass das Wohnen in der Hansestadt inzwischen für viele unbezahlbar geworden ist?

Die Antworten könnten unterschiedlicher kaum ausfallen. „Der Wohnungsmarkt ist in Teilen angespannt, für Panik gibt es keinen Grund“, sagt An­dreas Breitner, Chef des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), in dem auch die Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften und die SAGA vertreten sind. „Wir haben in Hamburg einen funktionierenden Wohnungsmarkt“, sagt Axel Wittlinger, Vorsitzender des Regionalverbandes Nord vom Immobilienverband Deutschland.

Dagegen spricht Siegmund Chychla, Vorstandschef des Mietervereins zu Hamburg, von einem „Versagen der Politik“: „Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt Menschen, die hart arbeiten, fürchten müssen, ihre Wohnung zu verlieren?“ Und Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion der Linken, verlangt einen Mietendeckel nach Berliner Vorbild, „um den Mietenwahnsinn in Hamburg wenigstens etwas runterzukochen“.

Hamburg hat 2019 mehr als 10.000 Wohnungen fertiggestellt

Laut dem Mietenspiegel, der alle zwei Jahre die Entwicklung der Kaltmieten in Hamburg aufzeigt, stiegen die Mieten von 2009 bis 2019 von 6,76 Euro auf 8,66 Euro pro Quadratmeter – also um 28,1 Prozent und damit deutlich stärker als die allgemeinen Verbraucherpreise (plus 13,8 Prozent). Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass es in den vergangenen zwei Jahren nur einen Anstieg von 2,6 Prozent gab, unterhalb der Lebenshaltungskosten (plus 3,3 Prozent).

Für Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) ein großer Erfolg: „Wir haben unser Neubauprogramm konsequent verfolgt.“ In der Tat wurden 2018 10.674 Wohnungen fertiggestellt. Zum Vergleich: 2010 – damals regierte bis November Schwarz-Grün, Anja Hajduk (Grüne) war zuständig im Senat – waren es nur 3520 Wohnungen.

Gerade in den Wochen vor der Bürgerschaftswahl am 23. Februar erwähnt die SPD gern, dass der Wechsel in der Wohnungsbaustrategie in erster Linie ihr Verdienst sei. Vor allem das vom damaligen Bürgermeister Olaf Scholz 2011 initiierte Bündnis für das Wohnen sei ein Erfolgsmodell.

Und in der Tat findet das Bündnis, in dem die Verbände der Wohnungswirtschaft mit Mietorganisationen und Behörden nach unbürokratischen Lösungen beim Neubau suchen, bundesweit Beachtung. „Wir haben von Anfang auf Kooperation gesetzt“, sagt Dorothee Stapelfeldt – ganz im Gegensatz zu Berlin, wo sich Parteien und Interessenorganisationen seit Monaten erbittert um den Mietendeckel streiten.

Die SAGA gilt als Garant für bezahlbares Wohnen

Allerdings profitiert Rot-Grün auch davon, dass Vorgänger-Senate einen Fehler nicht gemacht haben: Während Metropolen wie Berlin oder Dresden ihren kommunalen Wohnungsbestand verkauften, um ihre Haushalte zu sanieren, hielt die Stadt die SAGA im städtischen Besitz. Jetzt gilt die SAGA mit ihren 130.000 Wohnungen als Garant für bezahlbares Wohnen. Auch die Genossenschaften mit insgesamt ebenfalls rund 130.000 Wohnungen sorgen dafür, dass Wohnen in Hamburg für viele Menschen doch erschwinglich bleibt.

Und es ist ein Irrtum, dass man ohne jahrzehntelange Mitgliedschaft keine Chance auf eine Genossenschaftswohnung habe. Zwar gibt es für begehrte Objekte lange Wartelisten. Aber manche Genossenschaften vermieten jede zweite Wohnung an Interessenten, die erst mit Vertragsabschluss Mitglied werden.

Dennoch gibt es sehr wohl die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen. Vor allem Familien suchen oft über Monate nach einem neuen, größeren Zuhause, das sie sich noch leisten können – vor allem dann, wenn sie in einen begehrten Stadtteil ziehen möchten. „Die Differenz zwischen mehr und weniger bevorzugten Wohnlagen steigt weiter“, sagt Dorothee Stapelfeldt. Dennoch sei es ein Erfolg, wenn wie in Hamburg jede zweite Mietwohnung weniger als acht Euro netto kalt (also ohne Betriebskosten) pro Quadratmeter koste.

Unbestritten ist allerdings, dass trotz aller Neubauanstrengungen die Zahl der Sozialwohnungen gesunken ist – von 99.000 (2011) auf 80.000 (2018). Denn viele Bindungsfristen im sozialen Wohnungsbau sind ausgelaufen.

Mietervereine haben Volksinitiativen gegründet

Die beiden großen Mietervereine der Stadt kämpfen über Volksinitiativen für einen Kurswechsel. Gemeinsam mit Unterstützern fordern sie zum einen, dass auf städtischen Grundstücken nur noch Sozialwohnungen entstehen dürfen oder solche, deren Miete der einer Sozialwohnung entspricht (derzeit 6,60 Euro netto kalt pro Quadratmeter).

Zum anderen sollen städtische Flächen nur noch über Erbbaurecht vergeben werden. Ein Unding für VNW-Chef Andreas Breitner: „Die Initiativen legen die Axt an den Bau bezahlbarer Wohnungen.“ Denn Erbpacht-Regelungen würden alles noch komplizierter machen: „Wer ein Grundstück lediglich im Rahmen des Erbbaurechts nutzen kann, benötigt doppelt so viel Eigenkapital für die Finanzierung seiner Neubauprojekte.“

„Auch in Hamburg wird zu viel gebaut“

Bleibt am Ende eine Frage: Ist der Hamburger Weg – Bauen, Bauen, Bauen – wirklich der richtige? Stadtplanungsexperte und Betriebswirt Daniel Fuhrhop sieht das anders. „Auch in Hamburg wird zu viel gebaut“, sagte er in einem viel beachteten Abendblatt-Interview im Oktober. Aus seiner Sicht hätten 5000 Wohnungen gereicht, um statistisch den Zuwachs von 10.000 Hamburgern auszugleichen. Es sei ökonomisch wie ökologisch irrsinnig, dass die Zahl der genutzten Quadratmeter pro Person immer weiter steige – von 26,4 Quadratmeter 1972 auf inzwischen 46 Quadratmeter.

Fuhrhop plädiert für neue Modelle, etwa Prämien für Senioren, die sich verkleinern möchten und Platz machen für Familien. Zudem sollte Hamburg darüber nachdenken, ob man Wirtschaftsförderung weiter so exzessiv betreiben wolle: „Ist es wirklich notwendig, mit aller Macht neue Unternehmen zu locken?“ Für Sönke Struck, Vorstandschef der Nord-Vertretung des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), ist Fuhrhops radikale „Verbietet das Bauen“-These „ein Schlag ins Gesicht derer, die seit Langem eine Wohnung in Hamburg suchen. Und sie ist ein Affront gegenüber den Partnern im Bündnis für das Wohnen.“

Und doch machen sich auch Star-Architekten wie André Poitiers Gedanken über die Grenzen des Booms. Er sieht das „echte Hamburg“ bedroht: „Wenn Menschen das Grün und die Natur wollen, muss die Stadt grüner, gesünder, nachhaltiger werden. Sie darf nicht gewinn- und flächenoptimierend bis in die letzte Ecke zubetoniert werden.“