Hamburg. Das Werk setzt eine fremde und zugleich vertraute Stadt ins Bild. Womit die damaligen Fotografen zu kämpfen hatten.
Das 21. Jahrhundert liebt Schwarz-Weiß. Wer durch die Buchhandlungen stromert, dem springen gleich mehrere Bildbände ins Auge, die ein längst vergangenes Hamburg wiedererstehen lassen: „Hamburg in frühen Fotografien“ steht da neben „Der Hamburger Hafen um 1900“ neben „Hamburg meine Perle: Fotografien aus den 1940er, 1950er und 1960er Jahren“ neben „Hamburg. Krieg und Nachkrieg“. Nun kommt ein weiterer Bildband hinzu, der eine fremde und zugleich vertraute Stadt ins Bild setzt: „Unser schönes Hamburg in Luftaufnahmen von 1930“.
Verleger Uwe Schubert vom Medien-Verlag MVS will aber nicht auf der Retro-Welle surfen. „Auf die Idee kam ich bereits vor 30 Jahren“, sagt er. Bei Recherchen in der Landesbildstelle stieß er auf umfangreiches und technisch brillant aufgenommenes Material. „Ich war fasziniert.“ Bei einem Treffen mit Joachim Paschen, dem langjährigen Chef der Bildstelle, Historiker und Autor zahlreicher Hamburg-Bücher, entstand die Idee, daraus ein Buch zu machen. „Wir beschlossen, den Schatz endlich zu heben“, so Schubert.
Tatsächlich überrascht die Qualität des Materials. Paschen beschreibt die Schwierigkeit der damaligen Fotografen: „Mit beiden Händen richteten sie ihre schweren Apparate auf das Ziel aus; die Flughöhe erlaubte eine große Blende, die Geschwindigkeit des Fliegers verlangte eine kurze Verschlusszeit; die belichtete Glasplatte im Format 13 mal 18 musste schnell mit einer neuen getauscht werden.“ Eine Luftbild-Gesellschaft habe damals zahlreiche deutsche Städte aus der Luft fotografiert.
Selbst Kenner der Stadt können neue Details erfahren
Der Historiker sichtete den Schatz von Tausenden von Fotos, traf eine Vorauswahl von etwa 700 Bildern und machte sich mit Akribie an die Bildtexte. Diese sind so detailliert, dass auch Hamburg-Kenner noch manche neue Fakten erfahren.
In seiner Einleitung schreibt Paschen: „Die 20er-Jahre wurden für Hamburg trotz vieler Schwierigkeiten eine Zeit des Aufbruchs.“ Das wird auf den Bildern deutlich, wie etwa der gerade fertiggestellten Jarrestadt, des neuen Stadtteils Dulsberg oder des 1927 gebauten Freibades Ohlsdorf an der Alster. Das Deutschlandhaus an der Dammtorstraße, vor wenigen Wochen abgerissen, entsteht im Jahr 1930 gerade erst. Das Buch beschränkt sich aber nicht nur auf die Innenstadt, sondern bezieht die Vororte mit ein – und die damals noch selbstständigen Städte Wandsbek, Harburg, Bergedorf und Altona.
- Joachim Paschen: „Unser schönes Hamburg in Luftaufnahmen von 1930“, MVS, 144 Seiten mit 116 Fotos, 24,90 Euro. Erhältlich in Buchhandlungen, in der Geschäftsstelle des Abendblatts (Großer Burstah 18–32) und unter abendblatt.de/shop
Die Landungsbrücken und St. Pauli sind knapp 90 Jahre später kaum wiederzuerkennen – der Rundbau des Zirkus Busch erklärt aber, warum es bis heute einen Zirkusweg auf dem Kiez gibt. Barmbek von oben wird überstrahlt vom Kaufhaus Karstadt an der Hamburger Straße, das in einer Bombennacht 1943 zusammenstürzte und Hunderte Hamburger das Leben kostete. Andere Luftbilder zeigen den Osten der Stadt, der nun wieder in den Fokus der Stadtplaner rückt – 1930 präsentiert sich Hammerbrook als der Stadtteil, in dem Industrie, Handwerk und Mietskasernen dicht beieinanderliegen.
Auch die Innenstadt zeigt ein anderes Gesicht
Auch die Hamburger Innenstadt zeigt ein ganz anderes Gesicht – vor den Zerstörungen der „Operation Gomorrha“ Ende Juli 1943 und vor den Zerstörungen des Wiederaufbaus, als die alte Stadt der autogerechten Stadt weichen musste. Faszinierend zeigt sich die frühe Häutung Hamburgs im Luftbild des Kontorhausviertels: Hier steht das Bekannte wie das Chilehaus und der Sprinkenhof neben dem Vergessenen – den Resten kleinerer Gängeviertel.
Vergangenes blitzt wieder auf: Die Bergedorfer Altstadt, von Verkehrsplanern zerstört, das Donner-Schloss in Neumühlen, im Krieg getroffen, oder das noble Elbkurhaus in Dockenhuden an der Elbchaussee mit vorgelagertem Badestrand, der 1970 einem Segelhafen wich. In den Texten und Bildern spielt immer ein Hauch Wehmut mit – aber Fotos können täuschen. Früher war vieles anders, aber sicherlich nur wenig besser.
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Uwe Schubert hofft auf das ungebrochene Interesse der Hamburger an ihrer Stadt. „Man kann sagen, dass es nachwachsende Generationen gibt, die sich für die Geschichte ihrer Stadt interessieren, auch wenn das Medium Print inzwischen oftmals in den Hintergrund tritt.“ Aber zum Bildband gebe es eben auch im 21. Jahrhundert keine Alternative, so Schubert. „Wer möchte sich schon Top-Layouts mit tollen Fotos auf dem Smartphone anschauen?“