Hamburg. Initiative kritisiert Präsentationen von Großprojekten, Architektenkammer hält dagegen. Ein neues Modell könnte Abhilfe schaffen.

Am Anfang war das Bild – und dieses Bild entfaltete eine ungeheure Kraft. Im Juni 2003 präsentierte das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron in Hamburg den Entwurf für ein mögliches Konzerthaus auf dem Dach des Kaispeichers A. Bis dahin war ein Kulturtempel in der HafenCity eher eine spinnerte Idee; das Bild der Elbphilharmonie verwandelte sie in eine Vision und begeisterte die Stadt. 15 Jahre später ist die Idee Wirklichkeit geworden, auch wenn sie einige Hundert Millionen Euro teurer wurde als geplant.

Die Visualisierung gaben die Planer des Elbtowers heraus.
Die Visualisierung gaben die Planer des Elbtowers heraus. © SIGNA-Chipperfield/HafenCity Hamburg GmbH/dpa

Es ist eine der spektakulärsten, aber nicht die einzige Erfolgsgeschichte eines Bildes, das sich in den Köpfen der Menschen einbrennt. Auch der begrünte Bunker auf St. Pauli ist ein solches Projekt, die Idee von Hammerbrooklyn oder der Elbtower. Zuletzt waren es bunte Visualisierungen der Science City in Bahrenfeld, die die Bürger für den neuen Stadtteil des Wissens gewinnen sollten. Längst gehören zu jedem Bauprojekt solche Anmutungen, die zeigen sollen, wie harmonisch sich der neue Bau einmal in die Stadt einfügen wird.

Skepsis wuchs mit der Arbeit bei "Ohne Dach ist Krach"

Zwei, die die Begeisterung für die bunten Bilder kaum teilen, sind Bernt Grabow und Angelika Gardiner. Beide engagieren sich seit einem Vierteljahrhundert für die Initiative „Ohne Dach ist Krach“, die erfolgreich für eine Überdeckelung der Autobahn 7 zwischen Othmarschen und Schnelsen gekämpft haben. In dieser Zeit sind sie immer wieder Visualisierungen begegnet, die in ihren Augen mehr versprachen, als die Wirklichkeit später hielt. „Wir haben von den Entwicklungsflächen gelernt, die im Zuge des Deckels bebaut werden“, sagt Gardiner. Grabow hat lange als Kunsterzieher am Gymnasium Allee gearbeitet: „Ich bin mit der Überzeugungskraft von Bildern sehr vertraut“, sagt er. „Da schaut man schon genauer drauf.“

Stutzig gemacht habe ihn die Verwirklichung der Neuen Mitte Altona und der Othmarscher Höfe, die ihn in der Umsetzung sehr enttäuscht haben. „Ich habe daraufhin gezielt nach Bildbeispielen gesucht und Simulationen und Wirklichkeit verglichen.“ Seitdem stellt er bei vielen Bauprojekten Präsentationsmethoden fest, die „das wahre Aussehen verschleiern“.

Verfälscht die Vogelperspektive den Eindruck?

Oft, so kritisiert Grabow, „zeigen Pläne und Modelle die Vogelperspektive oder visualisieren mit einer Sicht aus höheren Stockwerken.“ Damit öffne sich der Himmel, die Bebauung erscheine weiter und breiter. „Aber wir bewegen uns auf der Erde“, sagt Grabow. „Da sieht es dann ganz anders aus – enger und bedrückend.“ Er kritisiert die beeinflussenden Bilder als „persuasive Präsentationen“.

Computer würden Abstände berechnen, die in der Realität gar nicht möglich seien. „So wirkt der Neubau weniger mächtig. Der Schönheitsfehler: Da stehen Sie längst im Nachbargebäude“. Oder die Entwickler arbeiteten mit Weitwinkeln, die Bauwerke kleiner und zierlicher erscheinen ließen. „Zudem werden gern privilegierte Orte, etwa kleine Grünflächen, gezeigt“, kritisiert Grabow. So sieht man Großprojekte stets von der Schokoladenseite. Das aber sei meist nur ein kleiner Ausschnitt.

Hamburgische Architektenkammer wehrt sich

Widerspruch kommt von Claas Gefroi, Pressesprecher der Hamburgischen Architektenkammer: „Ich kann nicht bestätigen, dass in zeitgenössischen Visualisierungen überwiegend ein erhöhter Blickpunkt gewählt wird.“ Vielmehr berücksichtige die Blickhöhe das Projekt und den Zweck der Zeichnung: „Will man die Erscheinung eines Entwurfs aus der Perspektive eines Passanten darstellen, erscheint die Darstellung aus Augenhöhe sinnvoll. Möchte man einen unübersichtlichen Baukörper oder ein Gebäude im städtebaulichen Gesamtzusammenhang darstellen, kann ein erhöhter Standpunkt bis hin zur Vogelperspektive dafür ein geeignetes Mittel sein.“ Vorhandene Bebauungen dürfe man in einer frühen Skizze ausblenden – „soll jedoch ein Entwurf präzise und in der Öffentlichkeit dargestellt werden, ist es unerlässlich, dass das unmittelbare Umfeld mit dargestellt wird“, sagt Gefroi.

Noch weitere Tricks stoßen Grabow und Gardiner auf. „Die Belichtungssituationen stimmen oft nicht – da ist überall warmes Licht.“ Grabow hat Visualisierungen gesehen, wo selbst aus Norden die Sonne schien. „Architekturprogramme können überall die Sonne aufgehen lassen“, kritisiert er. „In den Nachtansichten wölbt sich ein spektakulärer Sternenhimmel über das Gebäude.“ Dieser aber sei in Hamburg unmöglich. Das alles mag legal sein. „Aber zwischen legal und legitim ist ein Unterschied.“

Die bildliche Darstellung stößt an Grenzen

Gefroi verweist darauf, dass es für die Darstellung keine festen Regeln gab und gibt. „Dementsprechend gibt es auch keine ,Grenzen‘ des Erlaubten in der Darstellung, außer in Wettbewerbsverfahren.“ Zugleich betont der Pressesprecher der Architektenkammer aber: „Es ist im ureigensten Interesse eines jeden Planers, zur Darstellung konkreter Planungsideen keine Visualisierungen zu veröffentlichen, die den Entwurf verfälschen und dadurch den Betrachter irreleiten und von ihm als Täuschung aufgefasst werden könnten.“

Grabow und Gardiner fordern mehr Ehrlichkeit in den Visualisierungen und Optiken, die menschlicher Wahrnehmung entsprechen. Gerade in Bezug auf die Wissenschaftsstadt in Bahrenfeld sagen sie: „Die Science City ist eine Riesenchance, aber sie benötigt eine einzigartige Architektur. Jetzt ist die Chance zu definieren, welche Ansprüche wir stellen, bevor die großen Visualisierungen kommen. Wir brauchen eine realitätsnahe Visualisierung, bevor es an die Realisierung geht.“ Gefroi verweist aber auf die Grenzen der bildlichen Darstellung: „Ein Baukörper kann auf diese Weise nie vollständig und auf einem Blick erfasst werden. Deshalb muss die bildliche Darstellung ergänzt werden durch ein dreidimensionales Modell, das die (stadt-) räumliche Wirkung eines Entwurfs sehr anschaulich wiedergibt.“

Virtuelle 3-D-Modelle könnten das Problem lösen

Eine Abkehr von den schönen Computervisualisierungen könnte helfen – spätestens, wenn es um die Entscheidungsfindung geht: „Die Projekte müssen mit virtuellen Rundgängen aus der Fußgängerperspektive gezeigt werden – also so, wie wir Menschen die Stadt wahrnehmen.“ Für die Entscheidungsträger bedeutet das, dass sie mithilfe von Virtual Reality die Möglichkeit bekommen müssen, sich selbst in dem Modell zu bewegen.

Auch Gefroi hofft auf die neuen Möglichkeiten: „Virtuelle 3D-Modelle ermöglichen es, den Entwurf innen und außen von jedem Standpunkt aus sowie in der Bewegung zu erkunden und seine Wirkung einzuschätzen.“ Die Wirkungen von unterschiedlichen Elementen, Materialien, Farben etc. könnten sehr schnell dargestellt und abgeschätzt werden. „In diesem Sinne kann Virtual Reality eine Hilfe dabei sein, einen Entwurf möglichst realistisch darzustellen.“

Mehr Ehrlichkeit fordert auch die Politik: Wolfgang Kaeser, der für die SPD-Fraktion Altona im Planungs- und Bauausschuss sitzt, sagt: „Persuasive Präsentationen von Bauprojekten, die das wahre Aussehen ihrer Objekte zum eigenen Marktvorteil verschleiern sollen, sind Betrug an einer zu fordernden architektonischen Ästhetik für Hamburg. Es ist Aufgabe aller Verantwortlichen, diese zu demaskieren. Hamburg darf nicht hässlich werden.“