Lars Haider, Menso Heyl, Stephan Steinlein, Egbert Niessler, Bettina Naber, Berndt Röttger und Jürgen Eckardt über ihre persönlichen Erinnerungen an Peter Kruse.
Es gibt drei Gründe, warum ich Peter Kruse nicht vergessen werde. Der erste ist profan: Ein großes Porträt von ihm hängt auf dem Weg zu meinem Büro, neben Gemälden von den anderen bisherigen Chefredakteuren des Hamburger Abendblatts. Ich gehe also jeden Tag an Peter Kruse vorbei.
Der zweite Grund ist mir ein wenig peinlich: Als ich mich 1996 um ein Volontariat beim Hamburger Abendblatt bewarb, musste ich vor dem Vorstellungsgespräch beim Chefredakteur einen Allgemeinwissen-Test machen. Der war offensichtlich nicht ganz fehlerfrei, denn Peter Kruse empfing mich zum Gespräch mit folgenden Worten: „Sind Sie wirklich sicher, dass das Seebad Binz in der Schweiz liegt?“ Zum Glück lächelte er dabei, und zum Glück hielt ihn mein geografischer Fauxpas nicht davon ab, mich einzustellen – und damit, ohne es zu wissen, einen seiner späteren Nachfolger.
Das führt zu Grund Nummer drei, warum mir Peter Kruse immer in Erinnerung bleiben wird. Vor wenigen Jahren kam er mit seiner Frau Susanne von Bargen zu einer Abschiedsfeier in die Redaktion, stand plötzlich neben mir und sagte: „Ich bin froh, dass ich in der Zeit Chefredakteur war, in der ich Chefredakteur war. Sie haben es heute viel schwerer.“ Diese beiden Sätze haben mich beeindruckt und berührt, weil es ja genug Chefs geben soll, die glauben, alles besser machen zu können als ihre Nachfolger. Peter Kruse gehörte nicht dazu, wie das obige Zitat beweist. Er war eben ein sehr kluger, weitsichtiger Mensch – und einer, dem das Hamburger Abendblatt sehr viel zu verdanken hat. Und ich sowieso. Danke, lieber Peter Kruse. Sie werden uns fehlen – und Sie werden für immer ein Teil des Abendblatts bleiben.
(Lars Haider)
Es gibt ein Foto, das einen Jungen in Berliner Trümmern zeigt. Lange habe ich es nicht mehr gesehen, aber ich glaube zu erinnern, dass er nach oben schaut und mit seinen Freunden winkt. Über den Jungs setzen „Rosinenbomber“ zur Landung an – amerikanische Maschinen, die die geteilte Stadt während der sowjetischen Blockade 1948/49 versorgen. Der winkende kleine Junge ist Peter Kruse. Er hatte die Teilung Deutschlands am eigenen Leib erlebt. Berlin und Deutschland waren in seinem Herzen und Hamburg hatte er fest im Blick.
Als wäre es eine Fügung: 1989, im Jahr der Wiedervereinigung, wurde Peter Kruse Chefredakteur des Abendblatts. Er war ein nachdenklicher Chef, bedächtig und abwägend. Ein Mann mit Tiefgang, einer, der nicht nach der erstbesten Idee griff, solange andere noch nicht ausdiskutiert waren. Im Tagesjournalismus ist das so selbstverständlich nicht. Peter Kruse war einer, der nicht nur schreiben ließ, sondern der auch gern selbst schrieb. Er hatte die rare Fähigkeit, sein Thema mit Verstand und Herz zugleich zu formen. Bei ihm stand die Sache immer vor dem, der darüber berichtete.
Viele von uns, die damals noch jung waren, haben ihn für seine klugen, klaren und jeder Simplifizierung abholden Einordnungen, seine Kommentare, seine Lenkung des Blattes bewundert. Am 14. Oktober 2008 zitierten wir in einer Sonderausgabe unserer Zeitung den großen Publizisten Theodor Wolff mit diesem Satz über die Führung einer Zeitung: „Das Ideal ist, viele verschiedene Individualitäten zu sammeln, niemand in der Betonung seiner Persönlichkeit zu behindern und doch aus all den Eigenwilligen und Eigenartigen eine Einheit zu bilden, indem man sie zu einem bestimmten Ziele führt.“ Dieses journalistische Ideal hat Peter Kruse gelebt
(Menso Heyl)
"Versucht man unser Verhältnis in nur einem Wort zu beschreiben, dann war es wohl „respektvoll“. Hier der Jungredakteur, Polizeireporter und stellvertretende Lokalchef, da der Chefredakteur. „Respektvoll“, nie unangenehm – aber immer auch ein wenig distanziert. Das änderte sich nach zehn Jahren – mit meiner Kündigung. Wenn einer den Wechsel aus beruflichen Gründen nach Berlin nachvollziehen konnte, dann der Berliner, der nach Hamburg gekommen war, um irgendwann wieder zurückzugehen, es dann aber nie geschafft hat. Nach Berlin also, Geburtsstadt von Peter Kruse. Lokalchef in der Stadt, die er immer im Herzen trug.
Persönlicher hätte kein Abschiedsgeschenk sein können als das, was Peter Kruse mir machte: seinen Original-Falt-Stadtplan aus Berlin, den er sich als junger Reporter in der geteilten Stadt gekauft hatte. Der Verlauf der Mauer genauso eingezeichnet wie Bahnlinien, die durch die Teilung im Nichts endeten. Übrigens: Unser Verhältnis wurde von da an immer besser und vertrauter. Und den Stadtplan habe ich vergangene Woche erst wieder durchgeblättert."
(Stephan Steinlein)
"Für viele war Peter Kruse der Prototyp des Hanseaten – nicht nur wegen seiner zwölf Jahre als Chefredakteur des Abendblatts: ruhig, besonnen, manchmal wortkarg, nie laut, durch und durch nobel. Und natürlich liebte er die Stadt, in der er so lange wirkte und lebte. In Berlin geboren, hatte er ein intensives Verhältnis zu seiner geteilten Stadt und seinem geteilten Land. Als die Mauer fiel, hielt er keine Festreden oder referierte über Kalten Krieg. Er handelte, hatte Pläne für die Presselandschaft im Osten, organisierte den Übergang des „Sächsischen Tageblatts“ in eine neue, freie Presselandschaft.
Schließlich gab er auch Kollegen aus Leipzig die Chance zu einem Wechsel zum Abendblatt – darunter mir und meiner Frau. Daraus wurden wunderbare Jahre in Hamburg, bis es uns – einem allgemeinen Zug der Branche folgend – nach Berlin verschlug. Zufälligerweise gleich um die Ecke von Peter Kruses Jugendwohnung. Nun sind wir hier, in einer Stadt, in der die umbenannte SED an der Regierung beteiligt ist und auch ihre Koalitionspartner vom Sozialismus – diesmal natürlich dem richtigen – träumen. Peter Kruse wird nun für immer in Hamburg bleiben. Dass er nie nach Berlin zurückgekehrt ist, spricht für die Hansestadt."
(Egbert Niessler)
"Er saß am Schreibtisch, die Pfeife in der Hand. Produktion, 20.30 Uhr. Ich erschien ohne Termin mit einem Schreiben der Verlagsleitung: Nach meinem Volontariat sollte ich mit Zeitvertrag übernommen werden. Ich war enttäuscht; eine unbefristete Stelle hatte ich erwartet. Die Sache schien mir keinen Aufschub zu dulden. Hatte Peter Kruse ein Zwinkern in den Augenwinkeln? „So, so“, sagte er. „Mal sehen, was wir da machen können.“ Das war’s. „Sie bekommen Ihren Vertrag“, sagte er Wochen später im Vorbeigehen.
Ich überlegte, wie ich meinen Dank an ihn herantragen könnte, fühlte mich unsicher, wenn er knapp nickte auf dem Flur. Ich musste erst wachsen, um ruhig die zugewandte Verbundenheit zu spüren hinter Peter Kruses unaufgeregter Bescheidenheit. Fast drei Jahrzehnte später auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Abschied von seiner Tochter. Wir warteten auf einer Bank. Kurz nahm er meine Hand. Gesprochen haben wir nicht. Unser Händedruck und die Verbundenheit bleiben in meinem Herzen."
(Bettina Naber)
"Dann machen Sie mal!“ Oder einfach: „Macht mal!“ Peter Kruse war ein ganz besonderer Chefredakteur – und Mensch. Er verstand es, mit ganz wenigen Worten ganz Großes aus dir herauszuholen. Zumindest bei mir war das so: Sein Vertrauen war meine Motivation, meine Sicherheit, mein Ansporn. Ich hatte als Jungredakteur kaum beim Abendblatt angefangen, da fiel die Mauer.
Peter Kruse kam und bat eine Kollegin und mich darum, Wochenend-Magazine für die gerade übernommenen Zeitungen in der DDR zu machen. „Die Menschen brauchen viel Service. Macht mal!“ Und wir machten. Wenig später wollte ich eine populärwissenschaftliche Zeitschrift machen. Springer sah kein Potenzial – aber Peter Kruse sah eines: „Dann bauen Sie doch ein Wissensressort beim Abendblatt auf.“ Und er verriet mir: Wissenschaftsredakteur, das hätte ihn auch gereizt. Er gab mir den Raum, seinen Traum zu verwirklichen. Danke, Peter Kruse – für all das Vertrauen!
(Berndt Röttger)
Ein großer Mensch ist gegangen, ich bin sehr traurig. Peter Kruse hat mich ein halbes Leben lang begleitet; als Kollege, als Vorgesetzter, als journalistischer Partner, auch privat. Unvergessen die morgendlichen Treffen in seinem Büro mit seinen Stellvertretern noch vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn. Es roch nach seinem Pfeifentabak, an den Wänden hingen statt Nachdrucken großer Künstler Erinnerungsstücke, die Geschichten erzählten. Nicht nur die Zeitung stand im Mittelpunkt dieser Gespräche; gesprochen wurde auch über Gott und die Welt, Türen ins Private öffneten sich.
Peter Kruse war uneitel, unaufgeregt, zurückhaltend, mit trockenem Humor. Journalistischen Krawall gab es mit ihm nicht, ebenso wenig Weichgespültes. Bildung, langjährige Menschenkenntnis und hohes soziales Engagement prägten sein Handwerk, oft genug zum Wohle der Hamburger, aber auch für Menschen weit außerhalb unserer Stadt. Seine Reden anlässlich der Abendblatt-Neujahrsempfänge: unaufdringlich im Auftritt, dafür richtungsweisend für die Stadt Hamburg. Was Peter Kruse außerhalb des journalistischen Alltags für viele aus seiner Mannschaft getan hat, weiß ich aus eigener Erfahrung, als es mir sehr schlecht ging. Danke für den Weg, den wir lange zusammen gegangen sind.
(Jürgen Eckardt)