Hamburg. Autor Christian Sauer gibt Tipps für Einsteiger, denkt philosophisch über das Gehen nach und erzählt von eigenen Touren.
Grün ist in – das gilt nicht nur in der Politik, sondern auch im Alltag: Die Menschen drängt es hinaus aus grauer Städte Mauern in Wald und Feld; Fußgängerzonenflaneure tragen wie Feuerlandfahrer Outdoorklamotten und mit Wanderbüchern kann man inzwischen ganze Bibliotheken bestücken. Der alte Sponti-Spruch: „Alle wollen zurück zur Natur. Aber keiner zu Fuß“, hat längst seine Gültigkeit verloren.
Ein passionierter Wanderer ist der Bergedorfer Christian Sauer. Gehen sei das „konsequente Gegenteil unseres Lebensstils in Beruf und Alltag: langsam, gleichmäßig, analog, rückbezogen auf die Natur“, schreibt der 56-Jährige in seinem neuen Buch „Draußen gehen“. Der frühere stellvertretende Chefredakteur von „Chrismon“ und heutige Coach und Trainer nähert sich auf verschiedenen Pfaden dem Wandern: Sauer gibt Tipps für Einsteiger, denkt philosophisch über das Gehen nach und erzählt von eigenen Touren. Einen Küstenspaziergang nennt er „Segeln zu Fuß“, er erzählt von Mehrtagestouren („Weitwanderungen geben Kraft“) und der Kunst des Loslaufens („Gehen erlöst den Gehenden von sich selbst“).
Wandern als ständiger Perspektivwechsel
Sauer ist immer in Bewegung – so verabreden wir uns zum Wandern im Naturschutzgebiet Die Reit, idyllisch in den Marschlanden zwischen Reitbrook und Allermöhe gelegen. „Ich suche mir ein Gebiet aus, steige aus und wandere los“, erzählt er. Fast immer im Gepäck hat er eine Landkarte. „Die Karte gibt mir ein Modell der Landschaft. Ich will die Dimensionen verstehen und nicht auf den Bildschirm eines Handys starren.“
Wandern erlebt er als ständigen Perspektivwechsel: Es geht um die Größe der kleinen Dinge, Wasserspiegelungen auf der Dove-Elbe, der Röhrichtsaum an der Gose-Elbe, das Herbstkleid der Wälder. „Die Hamburger Landschaft kann so faszinierend sein wie der Großglockner – man muss nur genauer hinsehen und die feinen Reize erfassen.“ Sauer bleibt stehen, spitzt die Ohren: „Hören sie, wie still es hier ist. Wir sind unweit der Stadt und doch entrückt.“
Perfekter Gegensatz zum Digitalisierungsstress
Tatsächlich laufen wir im städtischen Allermöhe los und sind bald Teil der Natur; eine Bushaltestelle, die wir passieren, wird erst in zweieinhalb Stunden wieder bedient, die Autos werden weniger, dann verschwinden sie ganz. „Mich faszinieren die abrupten Änderungen in der Landschaft, die Rätsel, die hinter jeder Kurve liegen, die Entdeckungen, die jede Landschaft bereithält“, sagt Sauer.
Längst bezieht er das Wandern in seinen Coachings ein. „Das Wandern ist der perfekte Gegensatz zum Digitalisierungsstress, es rhythmisiert Körper und Geist“, sagt Sauer. Loslaufen könne man jederzeit, ohne Aufwand. „Sie können natürlich auch ins Fitnessstudio gehen und sich vor einen Bildschirm setzen – aber da kann der Geist nicht runterfahren.“ Wandern sei anders: Es verändert die Situation und die Stimmung. „Wenn es mühsam wird – rausgehen hilft.“
Liebe zum Wandern entdeckte er mit 13 Jahren
Seine Liebe zum Wandern entdeckte Sauer mit 13 Jahren im Urlaub im Allgäu. Damals, 1976, galt Wandern als Altherrensport mit Kniebundhose und Wanderstöcken – bis er den Pensionswirt Hannes traf, der ihn mit ins Gebirge nahm. „Da war ich Feuer und Flamme.“ Seine längste Wanderung führte ihn wieder in die Alpen – zweieinhalb Wochen ging er von Oberstdorf zum Comer See. „Davon habe ich ein Jahr profitiert – danach war ich fit und fröhlich.“ Nun träumt er von der Grande Traversata delle Alpi, einem rund 1000 Kilometer langen Weitwanderweg durch die italienischen Alpen.
Aber es muss nicht die Ferne sein: Sauer plädiert für „alltagsnahes Wandern“, das Loslaufen, wenn es die Zeit erlaubt. Einer seiner Lieblingswege führt an der Elbe entlang von Krümmel nach Lauenburg. „Man kann überall gehen, wenn man Interesse an Landschaften hat.“ Entscheidend ist das Tempo: „Wir leisten uns den Luxus der Langsamkeit – den vielleicht letzten Luxus, den es noch gibt.“
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Die Idee, seine Wanderungen zu einem Buch zusammenzubinden, kam ihm nach dem Tod seines Vaters. Zuvor hatte er bereits mehrere Fachbücher verfasst, „Draußen gehen“ ist anders – es verbindet Skizzen von Wanderungen mit Inspirationen für Wanderer. Der Klang ist inspiriert vom Nature Writing, das Buch will nicht nur Lust machen zum Loslaufen, sondern auch die eigene Aufmerksamkeit schulen.
Erschienen ist es im Verlag Hermann Schmidt – ein ganz besonderer Verlag, der Bücher als „Slow Food fürs Hirn“ versteht, sich in der Nische wohlfühlt und auf besonderes Design setzt. Entsprechend interessant ist die Optik – Franca Neuberg hat so abstrakte wie ungewöhnliche Illustrationen geliefert, es gibt keine Fotos, „um ihren inneren Bildern nicht im Weg zu stehen“. So schreibt es die Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs, die seit Kurzem Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist. Sie hat das Vorwort geschrieben, das mit dem schönen Satz beginnt: „Wenn nichts mehr geht, gehe ich raus.“ Gehen geht eben immer.