Hamburg. Liberale Jüdische Gemeinde sorgt sich um die denkmalgeschützten Reste eines Bethauses von Weltgeltung.

Mit einem dringenden Appell hat sich die Liberale Jüdische Gemeinde an die Hamburger Politik und die Öffentlichkeit gewandt. Es geht um die denkmalgeschützte Ruine des Israelitischen Tempels an der Poolstraße (Neustadt). Der 1844 geweihte und nicht mehr genutzte Sakralbau wurde im Zweiten Weltkrieg 1944 schwer zerstört – jetzt droht er komplett einzufallen.

„Wir sind in großer Sorge. Das Haus kann jede Minute zusammenbrechen“, warnte die Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde, Galina Jarkova, am Freitag bei einem Ortstermin vor der noch erhaltenen Apsis des Bethauses. Die Gemeinde fordert, dass diese Ruine von weltweiter Bedeutung gesichert, restauriert und öffentlich zugänglich gemacht werden müsse. „Wir hoffen sehr, dass die Stadt dieses Anliegen unterstützt“, sagt Galina Jarkova. Die Ruine wurde von der Foundation for Jewish Heritage mit Sitz in London inzwischen in die „Top 19 Watchlist“ der am stärksten bedrohten jüdischen Relikte in Europa aufgenommen.

Vielfältiges religiöses Erbe

Die Apsis ist seit Jahren schutzlos Wind und Wetter ausgesetzt, ihr Dach stark beschädigt, an vielen Stellen klaffen große Löcher. Das Mauerwerk bröckelt. Besorgt ist die Gemeinde allerdings nicht nur wegen des drohenden Verfalls der Ruine. Kürzlich wurde bekannt, dass der private Eigentümer das Grundstück verkaufen will. Es gibt bereits Pläne, dort auf vier Etagen neue Wohnungen zu bauen. Durch eine geplante Neubebauung des Grundstücks könnte das Bauwerk zusätzlich gefährdet werden, hieß es. Unterdessen teilte die Kulturbehörde mit, dass der Eigentümer jetzt eine sogenannte Sicherungsverfügung erhalten habe. Eine Sprecherin des Bezirksamts Mitte bestätigte dem Abendblatt, dass ein Bauvorbescheid mit der Berücksichtigung des Denkmalschutzes erteilt worden sei. Wohnungsbau sei nicht ausgeschlossen.

„Von diesem Ort an der Poolstraße geht ein historischer Zauber aus.“

Prof. Dr. Miriam Rürup, Institut für die Geschichte der deutschen Juden 

Wie vielfältig das kulturelle und religiöse Erbe der Juden in der Stadt einst war, hat die Diskussion nach dem antisemitischen Anschlag in Halle gezeigt. Während die orthodoxe Jüdische Gemeinde den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge im Grindelviertel favorisiert, wünscht sich die Liberale Jüdische Gemeinde einen festen Ort zum Beten. Darüber hinaus sieht sich die Gemeinde als Nachfolgerin des liberalen Tempelvereins mit ihren mehr als 300 Mitgliedern in der Pflicht, die Traditionen des Reformjudentums zu schützen. „Von diesem Ort geht ein historischer Zauber aus“, sagte Professorin Miriam Rürup, die das Institut für die Geschichte der deutschen Juden leitet. Das liberale Judentum sei typisch für diese Stadt gewesen, betont der Historiker und ehemalige Polizeipräsident Wolfgang Kopitzsch.

Blütezeit im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert hatte diese Gruppe ihre große Blütezeit. Hamburgs liberale Juden nannten die Synagoge „Tempel“, grenzten sich gegen die orthodoxen Juden mit Predigten in deutscher Sprache, Orgelmusik und deutschen Chorälen ab. Wichtig war ihnen die Gleichberechtigung von Mann und Frau. „Sie wollten ihr Judentum bewahren, indem sie es mit den Anforderungen der modernen, säkularen Gesellschaft zu einer liberalen Einheit verschmolzen“, so die „Jüdische Allgemeine“.

Die Anhänger waren in Hamburg vor allem Mitglieder der bürgerlichen Oberschicht. Auch Heinrich Heine (1797-1856), selbst jüdischer Abstammung, wurde auf das liberale Judentum aufmerksam. Schließlich wohnte er als junger Mann zeitweise bei seinem Onkel, dem Bankier Salomon Heine, in der Hansestadt. Der Unternehmer hatte den Bau des Tempels mit finanziert. Mit markigen Worten wetterte Heinrich Heine über das „verluderte Kaufmannsnest“, die „Stadt der Pfeffersäcke“ und die „getauften und ungetauften Juden (alle Hamburger nenne ich Juden).“ Aber in seinem „Wintermärchen“ von 1843 findet er über den „Israelischen Tempel“ diese Worte: „Die Juden teilen sich wieder ein – In zwei verschiedene Parteien. Die Alten gehen in die Synagoge, und in den Tempel die Neuen.“

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Die Gründungsväter des Liberalen Judentums waren allesamt vom Geist der Aufklärung geprägt und dem Wunsch beseelt, „den fast erkalteten Sinn für die ehrwürdige Religion der Väter zu beleben“, wie es in der Urkunde vom 11. Dezember 1817 heißt. Der Hamburger Tempelverein gilt deshalb als Wurzel liberalen Judentums, zu dem sich heute etwa 1,7 der weltweit 14 Millionen Juden zugehörig fühlen. Besonders in den USA ist diese Strömung weit verbreitet. Ihr Gründungsmythos führt in die Poolstraße, wo sich heute eine Autowerkstatt befindet.

Eine mangelnde Unterstützung Hamburgs für den Erhalt dieser Ruine wäre ein fatales Signal für das Ausland, heißt es in der Liberalen Gemeinde. Bislang gibt es jedoch nur vage Vorstellungen, wie dieser vergessene Ort künftig genutzt werden könne, etwa als interreligiöses Begegnungszentrum. Erste Unterstützung für den Erhalt der Ruine kommt vom Lichtkünstler Michael Batz. Er wird am ersten Advent, 16 Uhr, die Apsis mit blauem Licht illuminieren und historische Fotos an die alten Mauern werfen.