Hamburg. Hamburg startet Kampagne. Landesrabbiner berichtet von Annäherung eines Neonazis an Salafisten. Ängste in jüdischer Gemeinde.
Landesrabbiner Shlomo Bistritzky und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) haben am Donnerstagnachmittag die Aktion „Wen siehst Du? Wir sind Hamburg. Gegen Antisemitismus. Gegen Diskriminierung“ eröffnet. Diese soll vor allem durch Plakate und auf Social Media-Plattformen im Internet dabei helfen, dass Hamburgerinnen und Hamburger Gesicht zeigen gegen Diskriminierung. In kurzen Statements vor dem Rathaus betonten Bistritzky und Tschentscher, dass der Kampf gegen Diskriminierung und Antisemitismus eine „Aufgabe für jeden Tag“ für alle Hamburger sei, wie der Bürgermeister sagte.
Auf den Plakaten der Aktion wird auf die unterschiedlichen Rollen der gezeigten Menschen hingewiesen, etwa als Pastorin, Tante, Schriftstellerin und Protestantin; als Gitarrist, Bruder, Fußballfan und Jude, oder als Lehrerin, Mutter, Cellistin und Muslima. Ein letzter Anlass für die Aktion war eine Attacke auf den Landesrabbiner Bistritzky und einen Begleiter am Donnerstag vergangener Woche vor dem Rathaus nach einem Senatsempfang. Beim Verlassen des Hamburger Rathauses waren beide von einem Mann beschimpft, bespuckt und offenbar unter anderem mit einem entzündeten Feuerzeug bedroht worden. Auch eingreifende Polizeibeamte wurden attackiert.
Es sei unerträglich, dass es solche Übergriffe am helllichten Tage sogar im Eingangsbereich des Hamburger Rathauses gebe, „nur weil sich Juden als solche zu erkennen geben“, hatte Philipp Stricharz, zweiter Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, nach dem Übergriff gesagt.
Neonazi soll Islamisten zu Angriffen auf Juden aufgefordert haben
„Wir sind alle Menschen“, und es sei wichtig, dass man seine Finger für gute Taten nutze und nicht, um auf andere zu zeigen, betonte der Landesrabbiner nun am Donnerstag bei der Vorstellung der Kampagne – und bezog sich auf die Aussagen eines Rabbiners, der kürzlich Opfer eines antisemitischen Attentats in Kalifornien geworden sei und beide Zeigefinger verloren habe.
Zugleich hob Bistritzky hervor, dass er in Hamburg mehr positive als negative Erfahrungen mache und ihm bei und nach der Attacke in der vergangenen Woche viele Menschen zu Hilfe geeilt seien. Aber er berichtete auch von einem Treffen mit einem der bekanntesten Hamburger Salafisten in einem Hotel, bei dem ihm dieser erzählt habe, dass er von einem Neonazi aufgefordert worden sei, „gemeinsam etwas gegen Juden zu machen“. Für eine gute Zukunft Hamburgs sei gegenseitiger Respekt das Wesentliche, so das Fazit des Rabbiners – auch zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Religion.
Tschentscher betont historische Verantwortung
Bürgermeister Tschentscher sagte, der Übergriff der vergangenen Woche habe ihn sehr erschreckt. Er bedankte sich bei den Initiatoren der Aktion, die helfen solle, solchen Taten etwas entgegensetzen. In Hamburg lebten Menschen aus 180 Ländern gut zusammen, und das jüdische Leben sei ein wichtiger Bestandteil der Stadt. Hamburg und Deutschland hätten angesichts ihrer Geschichte eine besondere historische Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung.
„Wir sind die Meldungen über Übergriffe auf jüdische Menschen leid“, sagte schließlich Daniel Sheffer, der Begründer der Aktion in einer kämpferischen Rede. „Jeder Angriff ist ein Angriff auf unsere Werte und den Anstand in dieser Stadt.“ Von der Politik fordere er, die Lehrpläne an Schulen so zu ändern, dass Besuche von Synagogen zum Pflichtprogramm gehörten, so Sheffer. Denn wie kein Kind als Rassist geboren werde, so komme auch niemand als Antisemit zur Welt.
Auch AfD-Fraktion unterstützt die Aktion
Die nun ins Leben gerufene Aktion traf bei den Bürgerschaftsfraktionen durchgehend auf Zustimmung und Unterstützung. „In unserer weltoffenen Stadt gibt es für Antisemitismus und Intoleranz keinen Platz“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden André Trepoll (CDU) und Anna von Treuenfels-Frowein (FDP). Der Kampf gegen Antisemitismus müsse mit aller Kraft geführt werden, egal aus welchem Spektrum er komme, sagte Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir. Dem schloss sich auch die AfD an: Das Grundgesetz sei nicht verhandelbar.
Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks sagte, seine Partei stünde für eine „tolerante, offene, vielfältige Gesellschaft“, die „klare Kante“ gegen Diskriminierung und Übergriffe zeige. „Antisemitismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit haben keinen Platz in unserer Gesellschaft und in unserer Stadt“, betonte auch SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf.
Angriff auf "Kippa-tragende" Person
Dass es auch in Hamburg antisemitische Strömungen und Ängste bei jüdischen Bürgern gibt, zeigt derweil eine Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktionsvorsitzenden von Treuenfels-Frowein, die dem Abendblatt vorliegt. Darin berichtete der Senat jetzt von einem tätlichen Angriff auf eine „Kippa-tragende Person auf einem Fußweg“ im Frühjahr 2018. Der Betroffene habe den Vorfall seiner Gemeinde gemeldet. Anzeige sei aber nicht erstattet worden. Genaue Aussagen zu Angriffen auf Menschen, die Kippas oder andere religiöse Zeichen sichtbar trügen, kann der Senat nach eigener Angabe allerdings nicht machen, da solche nicht extra statistisch erfasst würden.
„Der für das Monitoring von antisemitischen Vorfällen zuständigen Beratungsstelle empower liegen für den Zeitraum 2015 bis heute keine bekannten Vorfälle in Bezug auf Antisemitismus gegen Kippa tragende Juden vor“, so der Senat weiter. „In Gesprächen mit dem Senat und den zuständigen Behörden haben sowohl Vertreterinnen und Vertreter der Liberalen Jüdischen Gemeinde als auch der Jüdischen Gemeinde Hamburgs berichtet, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger Symbole ihrer Zugehörigkeit (Kippa, Davidstern) im öffentlichen Raum und Institutionen (bspw. Arbeitsplatz, Schule, Sportvereine) nicht offen tragen und sich häufig nicht als Jude bzw. Jüdin zu erkennen geben.“ Dies sei auch bei einem Fachtag in der Sozialbehörde wiederholt worden.
FDP moniert fehlende Statistik zu Übergriffen
„Der Übergriff auf hochrangige Vertreter der jüdischen Gemeinde und die verheerende Tatsache, dass jüdische Mitbürger sich nach eigenen Angaben auch in Hamburg nicht mehr trauen, Glaubenssymbole wie Kippa oder Davidstern öffentlich zu tragen, lassen einen erschütternden Schluss zu: Der Antisemitismus findet in Hamburg neue Nahrung", sagte FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein dem Abendblatt. "Das darf niemand in unserer Gesellschaft und in unserer Stadt hinnehmen. Wir müssen uns Anfeindungen gegen Minderheiten klar entgegenstellen und für unsere freiheitliche Ordnung entschieden eintreten. Denn wehret den Anfängen. Auch hier gilt Passivität ist der größte Feind unserer freiheitlichen Ordnung. Deshalb ist die öffentlichkeitswirksame Antidiskriminierungskampagne der jüdischen Gemeinde ein wichtiges Signal."
Diese allein aber werde nicht reichen, so die FDP-Politikerin. "Wenn in den polizeilichen Datenbeständen nicht einmal effizient recherchiert werden kann, welche Übergriffe aufgrund offen getragener religiöser Symbole erfolgten, laufen alle präventiven Maßnahmen ins Leere. Der rot-grüne Senat muss gezielt nachbessern und den zunehmenden Antisemitismus mit wirksamer Präventionsarbeit eindämmen.“
CDU kritisiert den Senat
Die CDU hat den Senat derweil per Bürgerschaftsantrag aufgefordert, das Programm „Hamburg – Stadt mit Courage, Landesprogramm zur Förderung demokratischer Kultur, Vorbeugung und Bekämpfung von Rechtsextremismus“ fortzuschreiben. Das habe die Bürgerschaft bereits 2017 beschlossen, der Senat sei dem aber bisher immer noch nicht gefolgt. „Der antisemitische Vorfall hat traurigerweise erneut belegt, dass Judenhass in Deutschland mehrere Wurzeln hat“, sagte Franziska Rath, integrationspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. „Phänomene wie ein ausgrenzender Nationalismus und ethnischer Extremismus jedweden Ursprungs treten verstärkt auf.“
Allerdings habe der Senat, obwohl die Vorlage Ende 2017 vorgesehen gewesen sei, bisher keinerlei Anpassungen an dem Landesprogramm vorgenommen. „Hiermit missachtet Rot-Grün den Beschluss der Bürgerschaft und verschließt anscheinend die Augen vor dieser beängstigenden gesellschaftlichen Entwicklung“, so Rath. „Wir fordern nun mit unserem Antrag den rot-grünen Senat auf, endlich passgenaue Maßnahmen vorzuschlagen und diese dann auch zeitnah umzusetzen.“