Hamburg. Ralf Peter Anders ist neuer Leiter der Hamburger Staatsanwaltschaft – und zudem ein sehr umtriebiger Mensch.
Der bohrende, herausfordernde Blick von Lord Horatio Nelson ist aus jeder Perspektive im Raum zu spüren. Und ein bisschen wirkt es so, als sehe der britische Seeheld nun sehr gestreng Ralf Peter Anders bei der Arbeit über die Schulter.
Ist der Feldherr der Meere für den neuen Leitenden Oberstaatsanwalt von Hamburg ein Idol? Oder warum bekam die Büste im Chefbüro des Juristen am Gorch-Fock-Wall einen Ehrenplatz? „Das ist ein Werk eines befreundeten Bildhauers, von Claus Görtz“, erzählt Anders. „Und Nelson ist schon faszinierend, wegen seines Tatendrangs und seiner Schaffenskraft. Aber er war vor allem zwiespältig. Zugleich kompromissloser Eroberer und eitler Pfau. Als Wellington ihn das erste Mal sah, in seiner funkelnden Uniform, fragte er sich, was das wohl für ein eingebildeter Scharlatan sei.“
Büro ohne viel Schnickschnack
Besondere Eitelkeiten: Sie sind bei Anders nicht zu erkennen. Seine Kleidung ist in einem Look, den man wohl neudeutsch „smart casual“ nennen würde, und sein Büro hält er ohne viel Schnickschnack, mit einem Meergemälde an der Wand als Reminiszenz an Schleswig-Holstein sowie zwei Postern in schlichten Rahmen.
Die tiefere Bedeutung des einen, das Anders’ Frau Britta Dittmann ihm geschenkt hat, erschließt sich beim Blick zu dessen Peripherie. Denn dort, in dem Plakat über eine Sonderausstellung von Klaus Mann in der Holstentorhalle Lübeck, steht der Spruch: „Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluss.“ „Das ist nicht, wie ich mich selber sehe“, versichert Anders. „Sondern andere, die zu mir sagen: Komm doch mal zur Ruhe!“
Hamburg ist für ihn die spannendste Stadt
Dabei wirkt der 54-Jährige so, als ruhe er in sich selbst. Angekommen, könnte man es auch nennen, zufrieden mit seiner bisherigen Karriere und seinem neuen Posten als Leiter der Hamburger Staatsanwaltschaft und damit Chef von rund 700 Mitarbeitern. „Bei der Entscheidung, nach Hamburg zu gehen und die Anklagebehörde zu übernehmen, die sich im notwendigen Reformprozess befindet, weiß man: Das macht man nicht für kurze Zeit“, sagt Anders. „Es ist ein Umgestaltungsprozess, der mehrere Jahre dauern wird. Ich bin richtig motiviert.“
Er habe es sich gut überlegt, bevor er sich in Hamburg bewarb, erzählt der Jurist. Denn es war klar, dass der Arbeitsaufwand bei Deutschlands zweitgrößter Anklagebehörde deutlich höher werden würde, als er vorher in der gleichen Position in Lübeck war. „Aber ich habe immer gern viel gearbeitet.“
Zunächst bleibt er Lübeck treu
Trotz des beruflichen Wechsels bleibt Anders zunächst Lübeck als Wohnort treu. „Hamburg ist für mich die spannendste und attraktivste Stadt. Ich habe lange hier gelebt. Bis auf Weiteres bleiben wir jedoch in Lübeck wohnen, da es das Buddenbrookhaus, an dem meine Frau als stellvertretende Leiterin tätig ist, nur einmal – eben in Lübeck – gibt.“
Veränderungsbedarf sieht Anders hingegen bei der Hamburger Staatsanwaltschaft – vor allem bei der Amtsanwaltschaft, bei der Delikte wie Unfallflucht, Trunkenheitsfahrten und geringwertige Diebstähle bearbeitet werden. „Das betrifft rund 160.000 Verfahren im Jahr. Da gab es eine erhebliche Schieflage. Diese Abteilung wird jetzt deutlich verstärkt. Denn bei solchen eher kleinen Verfahren, die die Menschen im Alltag betreffen, zeigt sich, wie wir mit den Anliegen des Bürgers umgehen.“
Henry Fonda hat ihn inspiriert
Anders’ Berufswunsch, Jurist zu werden, stand schon relativ früh fest. „Als ich elf oder zwölf Jahre alt war, habe ich einen Film gesehen, der mich inspiriert hat. Es war ,Die zwölf Geschworenen‘ mit Henry Fonda“, erzählt der gebürtige Kieler. Und während eines Schulpraktikums nahm ihn der Vater einer Mitschülerin mit in eine Strafverhandlung. „Ich fand das sehr spannend.“ Die Laufbahn des Richters habe ihn aber nicht so sehr interessiert, eher die des Anwaltes. Auch hier war ein Film stimulierend – „Zwielicht“, in dem Richard Gere einen Strafverteidiger spielt und über seinen Beruf sagt: „Warum soll ich Schiedsrichter sein, wenn ich spielen kann?“
Und so war während des Jurastudiums und auch beim Referendariat, beides in Hamburg, Strafrecht immer Anders’ Favorit. Parallel schrieb er in Hamburg seine Doktorarbeit im Bereich des Beweisrechts der Verteidigung im Strafprozess – bei einem Rechtsphilosophen. „Ich fand die Fragen spannend: Wann ist eine Norm gerecht? Nach welchem Kompass richtet sich das Strafen aus?“ Nach dem zweiten Staatsexamen bewarb sich der Jurist gemäß seinem Berufswunsch des Anwalts bei einer Wirtschaftskanzlei, aber parallel auch bei der Staatsanwaltschaft in Hamburg.
Habilitationsschrift an der Universität Hamburg
„Ich bekam bei beiden Zusagen, entschied mich für die Kanzlei“, erzählt Anders. Er arbeitete zwei Jahre in den Bereichen Unternehmensrecht, Gesellschaftsrecht und der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen. „Es hat mir aber keinen großen Spaß gemacht, immer nur das Interesse der Mandanten zu vertreten, auch wenn man gesehen hat, dass Unrecht begangen wurde.“ Anders bewarb sich erneut bei der Anklagebehörde in Hamburg. „Aber hier war nichts frei. Also bin ich zur Staatsanwaltschaft nach Lübeck gegangen.“
Dort arbeitete er unter anderem in der Schwerpunktabteilung für Wirtschaftsstrafrecht. „Mich haben immer die Fälle mit den Berührungspunkten Wirtschaft und Politik interessiert.“ Dann wechselte Anders zur Generalstaatsanwaltschaft und später auch für sieben Jahre in das Kieler Justizministerium. Zudem schloss er seine Habilitationsschrift an der Universität Hamburg ab und unterrichtet dort seit 2011 Strafrecht und Strafprozessrecht. 2012 wurde er schließlich stellvertretender Behördenleiter in Lübeck und vier Jahre später Chef der Behörde.
Er erwartet vollen Einsatz
„Bei der Staatsanwaltschaft fühle ich mich wirklich zu Hause. Mich hat immer die Auseinandersetzung im Ermittlungsverfahren interessiert. Dort spielt die Musik im modernen Strafverfahren. Es ist ungleich spannender, Dinge zu ermitteln, als die gewonnenen Erkenntnisse im Hauptverfahren zu verhandeln.“
Wie Ralf Peter Anders sich als Chef einschätzt, sei am ehesten eine Frage, „die man meinen Mitarbeitern stellen müsste“, sagt der Jurist. „Ich weiß aber, dass ich davor scheue, meine Prämissen an andere anzulegen. Ich kann nicht erwarten, dass andere genauso viel Lebenszeit in ihre Arbeit investieren wie ich. Gleichwohl erwarte ich, dass sich meine Mitarbeiter mit vollem Einsatz ihrem Beruf widmen.“
Arbeit mit Studierenden als Erholung
Das klingt dann aber doch anspruchsvoll. Er sei „kommunikativ“, sagt Anders. „Führung durch das Amt bringt nicht viel. Damit kriegen Sie niemanden motiviert.“ Aber durch Kommunikation könne dies gelingen. Ob er ein Workaholic ist? Anders schmunzelt und deutet in einer lässigen Geste, aber vielsagend auf das Poster hinter ihm. Da ist es wieder: „Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluss.“ Dieser Satz „kommt schon hin“, gibt der Familienvater, der in zweiter Ehe verheiratet ist, zu. „Ich komme mit wenig Schlaf aus. Wenn die Arbeit Spaß macht, ist das die beste Motivation.“
Und so hört es sich bei ihm an, als wäre es gar nicht so schwer, die anspruchsvolle und zeitintensive Aufgabe bei der Staatsanwaltschaft und die zusätzliche Aufgabe als Privatdozent an der Uni gut unter einen Hut zu bekommen. „Ich stehe relativ früh auf, um zu schreiben, und arbeite im Zug für die Universität“, meint Anders schlicht. „Und mit Studierenden zu arbeiten empfinde ich als Erholung und Bereicherung.“ Abends ist er oft in Hamburg auf Veranstaltungen. „Man muss sich vernetzen.“
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Da bleibt für Freizeit kaum noch etwas übrig. „Wenn man diese riesige Staatsanwaltschaft leitet, hat man genug zu tun“, bestätigt Anders. „Und die Arbeit für die Universität kostet auch Zeit.“ Trotzdem versuche er, möglichst viel mit der Familie zusammen zu sein. Sohn Paul, 23 Jahre alt, studiert in Köln Jura, und Yasemin, die Tochter seiner Frau, spielt in Göttingen (Studenten-)Theater und macht dort ihren Bachelor in Germanistik und Anglistik. Auch sie ist 23. Sie seien eine Familie, die „insgesamt viel liest“. Außerdem segelt Anders.
Auch gemeinsame Reisen mit seiner Frau stehen auf dem Programm, wie zuletzt beispielsweise nach Israel. Zwei Wochen sind sie da mit dem Wagen durchs Land gefahren. Sie waren unter anderem in der Negev Wüste unterwegs, auf den Golanhöhen und in Jerusalem. „Drei Weltreligionen auf engstem Raum, das ist faszinierend.“ Außerdem war Ralf Peter Anders dieses Jahr auf Vortragsreise in China. „Und einmal im Jahr verbringen wir ein Wochenende auf Sylt, das hat sich eingebürgert.“ Irgendwo findet er immer noch ein paar Stunden für seinen Sport, „Crosstrainer und paar Geräte, um in Form zu bleiben“. Effizient nennt man das wohl, wie so vieles, was dieser Mann in einen Tag presst.
Also wirklich keine Ruhe, bis zum Schluss? Anders lächelt. „Man muss gesund sein und Spaß an der Sache haben.“
3 Fragen
- 1. Was ist Ihr wichtigstes persönliches Ziel für die nächsten drei Jahre? Die Erhaltung der Gesundheit meiner Familie und für mich.
- 2. Was wollen Sie in den nächsten drei Jahren beruflich erreichen? Die Staatsanwaltschaft Hamburg als schlagkräftige und effektive Strafverfolgungsbehörde sowie attraktiven Arbeitgeber zu konsolidieren und zu modernisieren.
- 3. Was wünschen Sie sich für Hamburg in den nächsten drei Jahren? Beibehaltung der einzigartigen Weltoffenheit, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und immensen kulturellen Kreativität der Stadt. Im nächsten Jahr: Erstligafußball!
Nächste Woche: Patricia Meeden, die als „Pretty Woman“ auf der Musical-Bühne steht