Hamburg. Neue Spezialabteilung der Staatsanwaltschaft hat 2019 schon 204 Verfahren eingeleitet. Was Chefankläger Ralf Peter Anders umtreibt.
Ärzte, die in betrügerischer Weise ihre Abrechnungen manipulieren, sollten sich vor Ralf Peter Anders in Acht nehmen. Der 54-Jährige, seit dem 1. August Chef der Hamburger Staatsanwaltschaft, will verstärkt kriminelle Mediziner ins Visier nehmen. „Als Erstes gilt für mich als Leiter der Staatsanwaltschaft, dass die Behörde in allen Bereichen gut aufgestellt ist und die Fälle zügig bearbeitet werden. Das gilt für alle Delikte – für die kleineren wie für Kapitalstraftaten. Wenn dann noch Kräfte frei sind, gibt es die Möglichkeit, Schwerpunkte zu setzen – und einen sehe ich in der konsequenteren Verfolgung des Arztabrechnungsbetrugs“, sagt er.
Seit Januar verfügt die Staatsanwaltschaft über eine eigene, mit fünf Dezernenten besetzte Spezialabteilung auch zur Verfolgung solcher Delikte. Die Behörde hat seither in dieser Abteilung 204 neue umfangreiche Ermittlungsverfahren wegen Betruges eingeleitet. Nicht nur das: Anders hat mit dem Aufbau einer ähnlichen Abteilung in Lübeck, wo der gebürtige Kieler drei Jahre lang die Staatsanwaltschaft leitete, bereits praktische Erfahrungen gesammelt.
Sollen Ermittler Daten in der Cloud beschlagnahmen?
Auch dem Cybercrime, also Straftaten im beziehungsweise mittels des Internets, will sich der neue Leitende Oberstaatsanwalt möglichst verstärkt widmen. Die Bandbreite des Cybercrime reicht von Betrugstaten über den Handel mit Drogen und Waffen via Darknet bis zur Verbreitung von Kinderpornografie. Bei der Bekämpfung dieser Art von Kriminalität sei es wichtig, „dass wir Staatsanwälte finden, die sich für diesen Bereich interessieren und spezialisieren“, sagt der 54-Jährige.
Zudem erfordere dieser Deliktzweig bei der Anklagebehörde Personal, das rund um die Uhr einsatzbereit sei. Um Cybercrime wirksamer strafrechtlich verfolgen zu können, sei auch der Gesetzgeber gefordert. Dies gelte etwa für die Fragen, inwieweit Ermittlungsbehörden in einer Cloud gesicherte Daten „heimlich“ beschlagnahmen dürfen sowie der Einführung einer ausdrücklichen Verpflichtung von Nichtbeschuldigten zur Entschlüsselung von Zugangscodes.
Der neue Chef will die Staatsanwaltschaft behutsam modernisieren, in seinem Verständnis gehören dazu auch flache Hierarchien und ein grundsätzlich kollegialer Umgang miteinander. Er sei „sicher kein Staatsanwalt der uralten Schule“, so Anders. Bei seinem Amtsantritt sei er positiv überrascht gewesen von der guten Atmosphäre innerhalb der Behörde. „Ich erlebe hier ein hohes Maß an kollegialer Verbundenheit und eine gewisse Aufbruchsstimmung.“
Kleinkriminalität: Schnelle Bearbeitung wichtig
Selbstverständlich ist das nicht. In der Vergangenheit hatten Top-Beamte wie Anders’ Vorgänger als Leitender Oberstaatsanwalt, Ewald Brandt, kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um die Überlastung und die ungenügende personelle Ausstattung der Staatsanwaltschaft ging. Im Fokus stand und steht vor allem die für leichte und mittlere Kriminalität zuständige Hauptabteilung II.
Seit 2013 ist hier die Zahl der Eingangsverfahren um 11,4 Prozent auf 89.761 Fälle, die Dauer der Ermittlungsverfahren von einem auf 1,7 Monate gestiegen. Gleichzeitig schoss die Zahl der Krankheitstage bei Servicekräften, Amts- und Staatsanwälten in die Höhe.
Gerade in dem für die Bürger so relevanten Bereich der Kleinkriminalität dürfe es aber keine Rückstände geben, so Anders: „Eine schnelle Bearbeitung ist hier sehr bedeutsam.“ Kapazitäten müssten deshalb sinnvoll gebündelt werden. „Viele Sachverhalte sind zivilrechtlich strukturiert, beispielsweise wenn Verträge nicht eingehalten worden sind. Diese Fälle sollte die Staatsanwaltschaft zukünftig schneller abweisen, wenn sich kein Anfangsverdacht für eine Straftat ergibt.“
Staatsanwaltschaft: Wenige geeignete Bewerber
Insofern sei er „sehr froh“, dass der Senat neue Stellen bewilligt habe. In den nächsten Wochen muss die Personalie noch durch die Bürgerschaft. Erst dann kann die Staatsanwaltschaft die zugesagten zehn Stellen für Amtsanwälte und die für 18 Servicekräfte besetzen.
Leichter gesagt als getan. Denn zunehmend fällt es der Anklagebehörde schwer, ausreichend Personal zu finden. Die Zahl geeigneter Bewerber mit entsprechend guter juristischer Qualifikation sei „derzeit gering“. Gerade die besonders befähigten Berufsanfänger mit Prädikatsexamen könnten als Anwälte bedeutend mehr Geld verdienen. Außerdem habe der Ruf des Staatsanwaltes gelitten, sagt Anders. Als Anklagevertreter stehe man in der „dauerhaften Kritik“.
„Unser Ziel muss es sein, dem Beruf des Staatsanwalts wieder die gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, die er verdient. Ihn zu einem Beruf zu machen, auf den man stolz sein kann“, so Anders. Zudem müsse die Staatsanwaltschaft durch andere Arbeitszeitmodelle attraktiver werden – zumal für viele Berufsanfänger nicht nur der Verdienst, sondern vielmehr die Work-Life-Balance im Vordergrund stehe. „So sollten wir beispielsweise auch darüber nachdenken, Homeoffice für unsere Mitarbeiter anzubieten“, sagte Anders.
Wie sich ein derartiges Modell mit der dünnen Personaldecke und der Vielzahl an Aufgaben innerhalb der Behörde vereinbaren lässt, sei eine Frage der Organisation, die verwaltungstechnisch gelöst werden müsse. Hinzu kommen aber auch ganz grundsätzliche Erwägungen: „Wer darf das? Welche Akten dürfen mit nach Hause genommen werden? Ist dort gewährleistet, dass die datenschutzrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden?“