Hamburg. Der erfahrene Textilhändler Torsten van der Linden gibt das Modegeschäft auf – und zeichnet ein düsteres Bild für die Branche.

Das Schild „Totalräumungsverkauf wegen Geschäftsaufgabe“ klebt unübersehbar auf der Schaufensterscheibe. Am 7. Dezember wird das Modegeschäft Mascha Clothing, eröffnet 2004, an der Ottenser Hauptstraße schließen. An derselben Stelle will Inhaber Torsten van der Linden mit seinem Partner, dem Koch Tim Vetter, im Mai 2020 ein Restaurant nebst Bar eröffnen. Kurioserweise packt van der Linden mit seiner Crew dennoch fast täglich neue Ware aus. Diese dann reduziert zu verkaufen ist für ihn immer noch günstiger als die sonst fälligen Stornokosten bei seinen Lieferanten.

Van der Linden verfügt über jahrzehntelange Erfahrung im textilen Einzelhandel. Er erlebte auch die Blütezeit mit, als etwa aus dem 1973/74 abgerissenen Altonaer Bahnhof ein Kaufhaus-Bahnhof wurde. Jetzt sieht er die Zukunft seiner Branche skeptisch. Dennoch wird er sein zweites Geschäft Titus in Ottensen aufwendig renovieren.

Hamburger Abendblatt: Herr van der Linden, es wird spekuliert, dass Sie das Mascha schließen, weil Ihr Umsatz durch die autofreie Zone zurückgegangen sei.

Torsten van der Linden: Ich kenne das Gerücht, es ist aber Quatsch. Der Entschluss fiel schon deutlich früher. Ich habe mir die Umsätze aus dem August, also unmittelbar vor dem Start von „Ottensen macht Platz“ mit dem ersten Projektmonat September genau angeschaut. Die Zahlen waren im Vergleich zum Vorjahr fast gleich. Ich bin ein klarer Befürworter des Versuchs und bin sicher, dass er verstetigt wird. Der weitgehende Verzicht auf Autos in engen, innerstädtischen Straßen macht das Leben entspannter und wird den meisten Gewerbetreibenden helfen.

Warum schließen Sie dann das Mascha und eröffnen ein Restaurant nebst Bar?

Van der Linden: Es ist für mich eine Frage der langfristigen Perspektive. Ich bin überzeugt, dass 50 Prozent des textilen Einzelhandels in den kommenden fünf bis zehn Jahren aufgeben müssen. Überleben werden die Geschäfte, die ein sehr besonderes Konzept haben ...

… so wie Ihr zweites Standbein an der Ottenser Hauptstraße, das Titus mit eher jugendlicher Freizeitkleidung, die sich stark an den Skateboardbereich anlehnt …

Van der Linden: Richtig, wobei im Titus auch ältere Erwachsene fündig werden. Dort haben wir es geschafft, eine sehr eigene Linie zu entwickeln. Das honorieren die Kunden. Selbstkritisch muss ich sagen, dass mir das im Mascha in den letzten Jahren nicht mehr gelungen ist. Wir sind austauschbar geworden.

Wie sehr macht Ihnen die Konkurrenz durch den Internethandel zu schaffen?

Van der Linden: Das ist natürlich ein entscheidender Faktor. Als Amazon & Co. aufkamen, hatten wir an manchen Tagen sieben Pakete bei uns im Geschäft liegen, die Boten bei uns abgegeben haben, wenn sie die Adressaten in unserem Haus nicht angetroffen haben. Ich habe diese Paketannahmen irgendwann verboten. Es kann doch nicht sein, dass wir die Nägel in unsere Särge auch noch selbst hämmern. Wobei neulich eine Ausnahme gemacht wurde. Absender war ein Modelabel, mit dem wir seit Jahren zusammenarbeiten. Das muss man sich mal vorstellen: Ein Bewohner aus unserem Haus bestellt über das Internet Ware, die er bei uns im Erdgeschoss direkt kaufen oder bestellen könnte.

Das könnte Sie auch interessieren:

Black Friday in Hamburg: Zehn wichtige Tipps für Verbraucher
Dennoch sind jetzt viele traurig, dass Sie in Kürze schließen werden.

Van der Linden: Ja, einige Kunden, die jetzt in unsere Laden kommen, sagen mir das auch. Wenn ich dann aber von meinen gastronomischen Plänen erzähle, sind die allermeisten wieder positiv gestimmt.

Welche Faktoren tragen noch zum Niedergang des textilen Einzelhandels bei?

Van der Linden: Internationale Ketten mieten frei werdende Flächen und machen nach zwei, drei Jahren wieder dicht, wenn der Laden nicht läuft. Dann kommt die nächste Kette. Zusätzlich steigt zwar die Gesamtverkaufsfläche im textilen Einzelhandel, der Umsatz wächst aber nicht annähernd mit. Zudem werden durch diese Ketten die Fußgängerzonen austauschbar. Aber dies gilt auch für die Mode.

Wie meinen Sie das?

Van der Linden: Seit Jahren gibt es keine wirkliche Innovation mehr in der Mode. Sicher, mal eine andere Farbe, ein anderer Schnitt. Aber das ist zu wenig. Und es führt dazu, dass die Leute ihr Geld lieber fürs Essengehen ausgeben als für Klamotten. Tendenziell kann man sagen, dass die Gas­tronomie der neue Einzelhandel ist.

Dennoch ist die gastronomische Konkurrenz gerade in Ottensen groß. Was macht Sie so sicher, dass Ihr Konzept Erfolg haben wird.

Van der Linden: Auf den Teller kommt bei uns nur, was den Helden hinter dem Herd selbst auch schmeckt. Die Einflüsse werden international sein, von asiatisch über arabisch bis klassisch französisch. Die Karte wird klein, zehn Gerichte vielleicht. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis gibt es so etwas in Ottensen noch nicht. Erst recht nicht in einer Kombination mit einer wirklich coolen Bar.

Wie haben Sie den Vermieter überzeugen können? Müssen die Bewohner nun Geruchs- und Lärmbelästigung fürchten?

Van der Linden: Wir haben mit dem Vermieter sehr gute Gespräche geführt. Er weiß, dass wir Themen wie Abluft und Lärm sehr professionell lösen werden, uns geht es um ein gutes Verhältnis zu den Bewohnern. Der Vermieter war am Ende auch offen für diese Umwandlung, weil ihm klar ist, dass der Einzelhandel vielerorts wenig Zukunft hat.

Sie sind im Einzelhandel seit Jahrzehnten dabei. Sie haben wahrscheinlich auch ganz andere Zeiten erlebt.

Van der Linden: Allerdings. Ich war als Angestellter dabei, als der Kaufhof 1979 im neuen Bahnhof Altona eröffnet wurde. Damals hieß die wichtigste kaufmännische Regel, den Laden zu öffnen. Wir haben an einem Tag mal 300 Holland-Fahrräder an einem Stand im Bahnhof verkauft. Die wurden uns förmlich aus den Händen gerissen. Aber diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei.