Hamburg. 5000 Landwirte demonstrierten am Donnerstag in Hamburg mit ihren Fahrzeugen gegen das Agrarpaket. Politik verspricht Dialog.
Sie lassen ihre Hupen als Fanfare tönen, rollen langsam in der Innenstadt ein: Gegen 9.30 Uhr stellen die ersten Landwirte am Donnerstag ihre Fahrzeuge an den Messehallen ab, viele von ihnen sind schon seit dem frühen Morgen unterwegs. Mit 3500 Treckern sind mehr als 5000 Landwirte aus ganz Norddeutschland nach Hamburg gekommen, um während der Umweltministerkonferenz gegen das Agrarpaket der Bundesregierung zu protestieren. Die großen Fahrzeuge prägten das Stadtbild – das befürchtete Verkehrschaos blieb jedoch größtenteils aus.
Die Hamburger hatten sich nach Angaben der Behörden auf die Invasion der Landwirte vorbereitet. „Viele Pendler haben offenbar die Tipps berücksichtigt und sind nicht mit dem Auto gefahren“, sagte Polizeisprecher Timo Zill. So war die Verkehrslage eher ruhig – auch weil viele Trecker erst später als ursprünglich angekündigt über die Bundesstraße nach Hamburg kamen.
Traktoren fuhren auf der Autobahn – teils weite Anreise
Zuvor hatte es im Umland jedoch einige Probleme gegeben. Die Polizei holte mehrere Traktoren von der A 23, auf der sie nicht fahren durften. Ein Tunnel unter der Weser war für Trecker kurzfristig gesperrt worden. Mehrere Landwirte aus dem Bereich Emden mussten stattdessen mit einer Fähre ihre schweren Fahrzeuge übersetzen.
Treckerdemo: Tausende Teilnehmer in Hamburg
Die Anreise nahm teilweise mehr als zwölf Stunden in Anspruch. „Wir sind bereits um 23 Uhr gestartet“, sagte einer der Teilnehmer. Die Kolonnen zogen sich weit auseinander. So kamen viele Traktoren am Ende in kleinen Gruppen in Hamburg an.
Protest der Landwirte gegen Agrarpaket
Der Protest der Landwirte richtet sich gegen das sogenannte Agrarpaket der Bundesregierung. Man fühle sich von der Politik nicht ernst genommen. „Es ist ein stilles Sterben, dass die Landwirte durchmachen“, sagte der Landwirt Reiner Ortland aus dem Landkreis Osnabrück. Auch er war mit seiner Nachbarin Maike Lange bereits in der Nacht aufgebrochen. Durch Konkurrenz aus dem Ausland rechne sich die Produktion von Fleisch oder Milch oft kaum noch, gleichzeitig würden immer neue Auflagen gemacht. „Wir sind es leid, vom Aussterben von Insekten bis zum Klimawandel immer wieder als die Übeltäter dargestellt zu werden“, so Ortland.
Nach Angaben von Teilnehmern gebe es keine andere Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen, als mit der spektakulären Demonstration. Auf Schildern, die die Landwirte an ihren Fahrzeugen angebracht hatten, standen politische Parolen – und eine Entschuldigung an die Hamburger: „Sorry! Ich wäre jetzt auch lieber Zuhause.“
Fast 2000 Traktoren in der Hamburger Innenstadt
Vor allem auf den Bundesstraßen hielten sich die Behinderungen jedoch in Grenzen. Eng wurde es auf der Wilhelmsburger Reichsstraße, wo viele Trecker abgeleitet wurden, um auf der alten, stillgelegten Reichsstraße, die Fahrzeuge abzustellen. 1765 Trecker fuhren nach Polizeiangaben bis in die Innenstadt. Dort gab es zeitweise starke Behinderungen. So wurde die Willy-Brandt-Straße in Richtung St. Pauli gesperrt und als Treckerparkplatz genutzt, auf dem die Fahrzeuge in Dreierreihen standen.
Am Sievekingplatz leiteten Polizisten die Autofahrer im Slalom um abgestellte Trecker herum, der Verkehrsfluss blieb jedoch weitestgehend erhalten. An einer Ampel bedankte sich etwa ein Landwirt für die Geduld, in dem er Bierknacker-Würstchen verschenkte. Pech hatten viele Autofahrer, die am Donnerstag die Autobahn 1 als Ausweichstrecke nutzten: Bei Harburg war dort am Vormittag an einem Stauende ein Kipplaster in einen Lastzug mit Hänger gerast. Beide Fahrer blieben unverletzt. Die Autobahn war aber zeitweise voll gesperrt. Die Fahrzeuge in Richtung Hamburg stauten sich auf zwölf Kilometern.
Umweltsenator äußert Verständnis – und Kritik
Die Politik äußerte sich während der großangelegten Demonstration verständnisvoll gegenüber den Landwirten. „Die Landwirtschaft ist für unsere Umwelt und Ernährung von besonderer Bedeutung. Sie hat die Kulturlandschaft über Generationen mitgeprägt“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne).
Gleichzeitig seien der Einsatz von Pestiziden und Gülle für Insektenschwund, Rückgang der Artenvielfalt und hohe Stickstoff- und Phosphatwerte im Wasser mitverantwortlich. „Diese Umweltprobleme müssen wir dringend gemeinsam lösen“, so Kerstan. Die Weichen müssten auf europäischer Ebene gestellt werden. Man setze sich unter anderem für eine Vergütung von ökologischen Leistungen der Landwirte ein.
Auch Behinderungen bei der Abfahrt der Trecker
Die Umweltorganisation Greenpeace bezeichnete den Ärger der Landwirte als verständlich. Sie bräuchten „klare und verlässliche Vorgaben von der Politik und gezielte finanzielle Unterstützung, um die Existenz ihrer Betriebe zu sichern“. Kurt Duwe, umweltpolitischer Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion, sieht die Proteste als ideologische Konfrontation zwischen städtischen Verbrauchern und ländlichen Erzeugern. Die Sichtweise vieler Städter und Politiker auf die Landwirtschaft nennt er „Bullerbü-Romantik“.
Gegen 14 Uhr endete die Protestaktion der Landwirte nach einer Kundgebung. Am Nachmittag gab es bei der Abfahrt der Trecker wieder vor allem im Bereich der Hamburger Innenstadt Probleme. Vor allem auf der Amsinckstraße und dem Veddeler Damm stauten sich die Traktoren.