Hamburg. Hamburg gilt als überversorgt und dennoch fehlen in vielen Stadtteilen Haus- und Kinderärzte. Eine Karte zeigt die Verteilung.
In Hamm ist rein rechnerisch ein Hausarzt für 3692,7 Einwohner zuständig, im schicken Blankenese sieht es hingegen viel besser aus: ein Arzt für 622,1 Einwohner. Im feinen Eppendorf liegt das Hausarzt/Einwohner-Verhältnis bei 938,4, in Stellingen jedoch bei 2380,5. Diese Zahlen, die aus einer Großen Anfrage der Linke-Bürgerschaftsfraktion und aus Berechnungen der Partei stammen, zeigen deutlich, wo es bei der kassenärztlichen Versorgung in Hamburg hapert.
Deniz Celik, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion, sagt: „Trotz bis zu zehn Jahren kürzerer Lebenserwartung und überwiegend höherer Krankheitsraten haben ärmere Stadtteile weiterhin eine deutlich schlechtere ärztliche Versorgung als wohlhabende Stadtteile.“ Er fordert: „Wir brauchen endlich eine kleinräumige Bedarfsplanung.“
Viele Hamburger kennen das: In manchen Stadtteilen muss man relativ lange auf einen Termin beim Hausarzt warten, die Wartezimmer sind voll. Bei Fachärzten ist es noch schlimmer. Es gibt sie nur in bestimmten Quartieren, lange Anfahrten sind keine Seltenheit. Diesem persönlichen Erleben steht die Statistik entgegen. Sie wird von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg geführt und sagt seit Jahrzehnten dasselbe: Hamburg ist überdurchschnittlich gut mit Ärzten jedweder Fachrichtung versorgt.
Zahl der Hamburger steigt, Ärztezahl bleibt in etwa gleich
Und weil das so ist, verändert sich die Zahl der Kassenärzte in der Stadt seit Jahren nur geringfügig. Dabei wächst Hamburg kontinuierlich. Jahr für Jahr liegt das Einwohnerplus irgendwo zwischen 20.000 und 30.000. 2018 wurde laut Melderegister die 1,9-Millionen-Marke geknackt: So viele Hamburger gab es noch nie. Auf die Ärztezahlen hatte dieser Rekordwert keinerlei Auswirkungen. Anfang 2015 zählte die KV 1230,45 Hausärzte, Anfang 2019 waren es 1222,55. Der errechnete Versorgungsgrad lag 2015 bei 123,5 Prozent, 2019 waren es immer noch 120 Prozent. Jeder Wert über 100 Prozent bedeutet: Überversorgung.
Insofern gibt es aus Sicht der KV keinen Grund, weitere Kassenarztsitze zu genehmigen. Diese Arztsitze unterliegen einer strengen Reglementierung, die sich aus dem von der KV und den Krankenkassen geschaffenen Bedarfsplan ergibt. Der Hamburger Bedarfsplan gilt für das ganze Stadtgebiet, Pläne für einzelne Stadtgebiete gibt es nicht.
Eine auf ganz Hamburg hochgerechnete Planübererfüllung bedeutet deshalb, dass weitere Arztsitze nicht genehmigt werden – auch nicht in den Stadtteilen, in denen es deutlich zu wenige Ärzte gibt. Und eine rechtliche Handhabe, mit der ein Mediziner gezwungen werden könnte, in einen unterversorgten Stadtteil zu ziehen, gibt es nicht.
KV: Betrachtung je Stadtteil ist nicht angemessen
Jochen Kriens, Sprecher der KV Hamburg, sagt dazu: „Sowohl der hausärztliche als auch der kinderärztliche Versorgungsgrad liegt in Hamburg statistisch gesehen im Bereich der Überversorgung. Da es sich bei Stadtteil- und Bezirksgrenzen um willkürliche Grenzziehungen handelt, die von Menschen im täglichen Leben schlankerhand überschritten werden, bildet generell eine kleinräumige Betrachtung – etwa auf Stadtteilebene – die Versorgungsrealität nicht adäquat ab.“
Was die Verteilung der Praxen über das Stadtgebiet hinweg betreffe, lasse sich feststellen, dass Ärzte sich - historisch gewachsen - insgesamt gut verteilten, da sie sich vor allem dort niederließen, wo sie gut zu erreichen seien – „also in Stadtteilzentren, an U- und S-Bahn-Stationen, in Einkaufszentren, an Ein- und Ausfallstraßen etc.“.
Das mag sein. Dennoch gibt es auffällige Lücken im System: Etwa bei den Kinderärzten. Eine gleichmäßige Verteilung wäre hier schon allein deshalb wichtig, weil Mütter und Väter dann nicht gezwungen wären, mit ihrem Kind lange Wege zurückzulegen. Doch die Große Anfrage der Linksfraktion zeigt: Im Süden Hamburgs gibt es in den meisten Stadtteilen gar keinen Kinderarzt, etwa in Finkenwerder, Altenwerder und Neuenfelde.
In Sülldorf und Bahrenfeld gibt es keinen Kinderarzt
Auch im Osten sieht es schlecht aus. Einen Versorgungsgrad von unter 75 Prozent errechnete der Bürgerschaftsabgeordnete Deniz Celik unter anderem für Horn, Billstedt und Billbrook, Lohbrügge und Jenfeld. Benachbarte Stadtteile also, die allesamt zu wenige Kinderärzte haben. Auch im Westen gibt es Lücken: Sülldorf, Nienstedten und Bahrenfeld haben keinen Kinderarzt.
Bei anderen Fachärzten sieht es ähnlich aus. Psychotherapeuten lassen sich gern in den Bezirken Altona (224,8 Arztsitze), Eimsbüttel (247,45) und Nord (230,4) nieder, weitaus weniger gern in Mitte (111,95), Wandsbek (110,63), Harburg (41,5) und Bergedorf (34,5). Wahre Hochburgen der Psychotherapie sind dabei die Stadtteile Eimsbüttel (88,1), Rotherbaum (71,5), Ottensen (67,65), Winterhude (61,45) und Eppendorf (53,75).
Ob sich an der ungleichen Verteilung bei Arztsitzen etwas ändern lässt, ist zweifelhaft. Zwar gibt es nach einer Änderung der Bedarfsplanrichtlinie neue Gestaltungsmöglichkeiten. Ob und wie sie in Hamburg genutzt werden, ist allerdings noch unbekannt.
Derzeit arbeiten die KV und die Krankenkassen an einem neuen Bedarfsplan; zum Jahresende soll er fertig sein. Wesentliche Änderungen: Auch die Gesundheitsbehörde darf nun zumindest bei einigen Fragen mitreden. Außerdem gibt es die „Möglichkeit einer kleinräumigen Planung“. Und: Bundesweit kann es 3470 neue Arztsitze geben. Davon wird wohl auch Hamburg profitieren. Der KV-Sprecher Jochen Kriens sagt: „Nach derzeitigen Prognosen wird es zusätzlich circa 16 Kinderarztsitze, elf Gynäkologensitze und 62 Sitze für Fachärzte für psychosomatische Medizin und Psychotherapie geben." Hoffentlich lassen sie sich nicht alle in Rotherbaum nieder.