Hamburg. Auf Klassenfahrt in Österreich erlebten sie die Geburt des Tieres. Heute lebt das Rind im Museumsdorf Volksdorf – als Schulprojekt.

Sie waren bei seiner Geburt im österreichischen Zillertal dabei, und sie werden dabei sein, wenn Stier Goofy geschlachtet wird. Was grausam klingt, ist für Pippa, Ella und ihre Mitschüler Teil eines Schulprojektes, von dem die Jungs und Mädchen sagen: „Wir haben hier die einmalige Chance, unserem Fleisch ins Gesicht zu gucken.“

Die Geschichte von Stier Goofy und der Klasse 9c des Walddörfer Gymnasiums (WDG) in Volksdorf beginnt am 18. Juni, dem Tag von Goofys Geburt. Die damalige 8c war auf Klassenfahrt im Zillertal, Wandern stand auf dem Programm – und das alles ohne Handy. Denn ihre Smartphones mussten die Schüler zu Hause lassen. So weit, so langweilig für pubertierende Jugendliche. Aber: Hätten sie an jenem Abend an ihren Handys gehangen, hätten sie vielleicht nie Goofy kennengelernt. Ihre Klassenlehrerin Barbara Damann jedenfalls ist sich da sicher.

Begegnung mit Goofy ließ Schüler nicht mehr los

„Einige Schülerinnen sind abends aus Langeweile noch spazieren gegangen, als ein Bauer ihnen zurief: Wollt ihr bei der Geburt eines Kalbs dabei sein?“ Ja, klar wollten die Mädels aus der Großstadt das. Unbedingt. Und diese Begegnung mit Goofy ließ die Schüler nicht mehr los: Sie wollten ihn vor der Schlachtung retten. Das Stierkalb sollte mit nach Hamburg.

Verrückte Idee vielleicht, naiv sogar, aber die Schüler blieben hartnäckig, diskutierten mit den Verantwortlichen beim Museumsdorf Volksdorf und ließen sich nicht abwimmeln. „Das war schon damals eine gute Vorbereitung auf ,Jugend debattiert‘“, sagt Pädagogin Damann und lacht. Denn die Männer im Museumsdorf zeigten sich zunächst stur und waren überhaupt nicht begeistert davon, den Stier bei sich aufzunehmen.

Vernünftiges Konzept gefordert

Warum auch? „Was für ein Blödsinn. Wir haben genug Kälber in Norddeutschland“, sagte Jürgen Fischer vom Museumsdorf den Mädels. Zu sechst waren sie angetreten, um die Herren von ihren Plänen zu überzeugen. „Wir waren erst dagegen. Das hier ist kein Streichelzoo“, sagt Jungbauer Mirko Zimmermann. „Wir haben hier Nutztiere, die geschlachtet werden.“ Dann müssten die Schüler schon ein vernünftiges Konzept vorlegen.

Das taten sie und überzeugten Jürgen Fischer, Mirko Zimmermann und die anderen vom Museumsdorf. Goofy wurde mit einem Viehanhänger abgeholt und lebt nun im Museumsdorf mit Pferden, Hühnern und Stallnachbar Julius.

Tierhaltung und Tier-Ethik auf dem Lehrplan

Zwei- bis viermal die Woche kommt die Klasse in den Stall und packt mit an. Das heißt: füttern, Rüben oder rote Bete ernten, Box ausmisten. „Wir machen alles und natürlich nicht nur Goofys Stall, sondern auch die Ställe der anderen Tiere“, erzählt Helena (14). Auch an Wochenenden und in den Ferien stehen die Mädchen und Jungen bereit. Sie haben am Bau eines Unterstandes für Goofy mitgearbeitet, schmückten ihn zillertalmäßig und zogen mit ihm zum Erntedankfest durch Volksdorf. Arbeit gibt es auf dem Hof genug.

Doch er ist kein Streichelzoo, wie Jungbauer Zimmermann betont, und auch kein Gnadenhof. Ganz im Gegenteil: Goofy dient den Schülern als Beispiel für Tierhaltung. Auf dem Lehrplan stehen Themen wie Tierhaltung und Tier-Ethik, die anschaulich am lebenden Stier vermittelt werden. Ging es in der achten Klasse um die Geburt, dreht sich dieses Schuljahr alles um Aufzucht und Haltung, in der 10. Klasse dann um Schlachtung und Verwertung. Denn von der ursprünglichen Idee, das Kalb vor der Schlachtung zu retten, mussten die Schüler ablassen. Die Vorgabe des Museumsdorfes war eindeutig: Der Schlachtung entkommt Goofy nicht – sie ist für den Winter 2020/21 geplant. Die Zustimmung der Schüler dazu war die Bedingung für das aufwendige Schulprojekt.

Schüler haben einen Goofy-Blog

Ein Projekt, an dem alle begeistert mitwirken. „Wir haben hier einen außerschulischen Lernort, raus aus dem Klassenraum“, sagt Lehrerin Damann. Ohne pädagogische Grundlage hätte sich das WDG auch nicht darauf eingelassen. Lehrerin Damann ist froh über die Erfahrungen, die ihre Klasse macht, und dankbar für diese einmalige Chance. „Gerade in der Mittelstufe ist es am schwierigsten, sie bei der Stange zu halten. Das hier ist emotionales, effektiveres Lernen.“ Eine Tür zum Erleben sei das Projekt. Und: Die Idee kam von den Schülern und nicht von oben.

Die Stunden für das Goofy-Projekt werden aus verschiedenen Stunden gespeist; der Unterricht ist fächerübergreifend. Denn mit Stalldienst und Stier-Streicheln ist es nicht getan: In Deutsch führen die Schüler ein Projektbuch, sie haben einen Goofy-Blog, recherchieren zu Themen wie Massentierhaltung und Schlachtung. „Sie beschäftigen sich mit gesellschaftlichen und politische Fragen“, sagt Frau Damann. Im Winter steht dann Stall-Lyrik auf dem Goofy-Lehrplan. Was es den Schülern sonst noch bringt: „Sie werden selbstbewusster, haben eine emotionale Bindung und erleben etwas Echtes, eine echte Geschichte und nichts Konstruiertes aus dem Schulbuch.“

Schüler lernen Landwirtschaft hautnah

Sie lernen Landwirtschaft hautnah. „Wir lernen so viel und wachsen an diesem Projekt“, sagt Josefina, 14. Goofy sei eben kein Schulmaskottchen. Er sei das Symbol für Landwirtschaft und was hinter unserem Fleischkonsum und generellem Konsumverhalten steckt. „Wir haben einen Bezug dazu, was sonst abstrakt bleibt. Wo kommen die Tiere her? Wie leben sie?“, sagt Josefina. Er ist das Gesicht dafür geworden. „Wir essen bewusster“, sagt Helena, 14.

Der große Einschnitt am Ende des Projektes, die Schlachtung, sei schon eine Hürde, gibt sie zu und spricht damit wohl für alle Beteiligten. „Wir haben Goofy ja in unser Herz geschlossen. Aber es ist das, was wir erreichen wollen: Auch diesen Schritt mit ihm zu gehen. Deswegen akzeptieren wir das.“ Goofy, sagt Emelie, ist nicht nur ein Schulprojekt und nicht nur ein niedlicher Stier. „Hier geht es raus aus der Schule, rein ins Leben“, findet auch Josefina. Mehr geht wohl nicht.