Hamburg. Abendblatt und Haspa verleihen den Hamburger Bildungspreis. Was die fünf Schulen und eine Kita so Besonderes machen.
Sie nehmen die Sache in die Hand: Lehrer, Schulleiter Schüler und Eltern an Hamburgs Schulen und Kitas, die beim neunten Hamburger Bildungspreis gewonnen haben. Eine Kita und fünf Schulen haben das Rennen gemacht – sie werden am Donnerstag im Alten Hauptzollamt feierlich geehrt und erhalten den mit insgesamt 50.000 Euro dotierten Hamburger Bildungspreis von Haspa und Hamburger Abendblatt.
Schulsenator Ties Rabe (SPD), der die Laudatio für die Gymnasien hält, lobt: „Ich bin beeindruckt von dem großen Engagement der Preisträgerschulen. Ich wünsche mir, dass Hamburgs Schulen gute Ideen entwickeln und freue mich, wenn sie dies auch zeigen. Was an Hamburgs Schulen geleistet wird, beweisen beispielhaft auch die Preisträger des diesjährigen Bildungspreises.“ Abendblatt-Chefredakteur und Laudator Lars Haider: „Ich weiß nicht, wie groß die Bedeutung des Bildungspreises für Hamburgs Schulwesen ist.
Aber fest steht: Seit es den Preis gibt, ist das Bildungsniveau in den Schulen der Stadt deutlich gestiegen.“ Oft gehe das, was an den Schulen geleistet wird, über den Lehrplan hinaus, sagt Harald Vogelsang, Vorstandssprecher der Haspa: „Mit dem Bildungspreis zeichnen wir Schulen und Kitas aus, die den Mut haben, Neues auszuprobieren. Sie erweitern damit nachhaltig die Wissens- und Meinungshorizonte unserer Kinder und Jugendlichen und schaffen damit die Voraussetzung für eigenverantwortliche, selbstbewusste und gut ausgebildete junge Menschen.“ Die Schulen erhalten zusätzlich einen Platz an der Akademie des Bildungspreises, finanziert von der Veronika und Volker Putz Stiftung.
Kleine Klimaschützer
Klimawandel, Treibhauseffekt, Mülltrennung – Begriffe, die Ella leicht über die Lippen kommen. Ella ist fünf Jahre alt, die Jüngsten in ihrer Gruppe Wühlmäuse der Kita Bachstraße sind erst drei. Und dennoch befassen sich hier bereits die Kleinen mit Themen, die die Gesellschaft und sogar die ganze Menschheit bewegen. Nach dem Motto: Mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit kann man nicht früh genug beginnen. Und so haben die Erzieher das Projekt „Schonende Ressourcennutzung, um unsere Umwelt zu schützen“ gestartet, angeschubst wurden sie dazu von den Kindern. „Die Kinder dachten im Februar, es sei Sommer, weil es so warm war“, erzählt Erzieherin Nesche Dimioglu. „Und plötzlich sprachen wir über die Erderwärmung.“
Die Kinder haben gelernt, dass Gemüse häufig in Gewächshäusern wächst, „weil es da ganz warm ist“, sagt Ella. Im Winter, weiß Anton, kommt das Obst und Gemüse zusätzlich aus warmen Ländern. Allerdings per Flugzeug oder Schiff. „Die verursachen CO2“, sagt Ella. „Dann kommen die Sonnenstrahlen nicht mehr raus.“ Und wie nennt man diesen Effekt, möchte Projektleiterin Angela Arboleda wissen. Alle Kinder antworten im Chor: „Treibhaus!“
Damit sie alles nicht nur theoretisch lernen, haben die Erzieherinnen mit ihnen Ausflüge gemacht, unter anderem auf den Bio-Bauernhof Gut Wulksfelde. Sie haben Gemüse angepflanzt, geerntet und verarbeitet. Die Kinder sammeln ständig Müll. „Sogar Glasscherben, da müssen wir aufpassen“, sagt Nesche Dimioglu. Aber es geht um nichts Geringeres, als die Erde zu bewahren. „Wir sorgen dafür, dass die Kinder einen nachhaltigen Umgang mit unseren Ressourcen lernen“, so die Erzieherin. gen
Lesen bedeutet alles
„Viel lesen, das ist das Geheimnis“, sagt Christian Gronwald, Leiter der Grundschule Kirchdorf. Wer schnell lesen kann und das Gelesene auch noch begreift, ist auf dem richtigen Weg. Der kommt an der weiterführenden Schule besser klar und im Leben sowieso. „Lesen ist mehr als ein Kompetenzbereich in Deutsch. Lesen ist die Schlüsselkompetenz für die Entwicklung unserer Schüler.“ Und weil das so wichtig ist, dreht sich an seiner Schule täglich, an fünf Tagen in der Woche, jeden Morgen von 8.50 bis 9.10 Uhr in jeder Klasse von der Vorschule bis zur vierten Klasse, alles ums Lesen. Dann greifen alle Schüler zu einem Buch.
Verschiedene Lesemethoden sollen dafür sorgen, dass die Kinder die Texte begreifen. Dass Lesen Freude macht, zeigt Elmonda aus der Klasse 2d. Noch geht es Wort für Wort voran, aber schon bald wird sie „Mein Freund, der Delfin“ flüssiger lesen. Schließlich übt sie mit ihrer Klasse jeden Tag. In Plastikboxen werden verschiedene Buchtitel in Klassensätzen aufbewahrt wie Schätze. Das sind sie auch.
Denn sie öffnen den Kindern nicht nur Türen in andere Welten, sondern vor allem zur Bildung. Wie beim Training im Fitnessstudio kommt es darauf an, Lesen regelmäßig zu trainieren. „Es geht darum, das Tempo und das Dekodieren stetig zu erhöhen“, so Gronwald. Dekodieren meint das Zuordnen von Buchstaben oder Buchstabengruppen zu Lauten oder Lautfolgen sowie das Erkennen von Wortbausteinen, Wörtern und Wortbedeutungen. Bei geübten Lesern läuft das Dekodieren automatisch ab. Die Lesezeit an der Grundschule Kirchdorf ist kein Kuschelprogramm: „Das ist anstrengender Unterricht“, so Gronwald. Und so wichtig. Denn: „Wer nicht lesen kann, hat keine Chance.“ gen
Ein Hafen für die Schüler
Der Hafen ist das Herzstück der Stadtteilschule (STS) Ehestorfer Weg. Das Konzept: Ein Team aus Sonder- und Sozialpädagogen sowie Lehrern ist verlässlich für die Schüler ebenso da wie für Lehrer, die Unterstützung benötigen. Gerade muss Felix (Name geändert) ins Büro einer Sozialpädagogin. Sein Lehrer hatte ihn geschickt. Felix gilt eigentlich als nicht beschulbar, mit dem Hafen aber hat er einen sicheren Ort, bekommt Unterstützung, damit es für ihn an der Schule weitergeht.
Um Raum für den Hafen zu schaffen, mussten unter anderem das Lehrer- und das Musikzimmer verlegt werden. Es entstanden sechs großzügige Räume und Büros. Der Hafen, wie Schulleiter Tobias Langer und sein Team ihn interpretieren, steht für: halten, ankommen, aufrichten, fordern und fördern, entspannen und neu ausrichten.
Sein Lehrerkollegium hat Fortbildungen absolviert, die es möglich machen, Programme in den Schulalltag zu integrieren, die die sozialen und persönlichen Kompetenzen der Jugendlichen stärken und die Gemeinschaft fördern. Der Hafen soll dazu beitragen, die Schule fit zu machen für das 21. Jahrhundert. „Früher gab es ein zergliedertes Angebot mit unterschiedlichen Räumen, das aber nur die Symptome behandelt hat, wir aber wollten eine Vision“, sagt Schulleiter Lange.
Im Hafen, sagt er, entsteht dieser gemeinsame Blick aller pädagogischen Mitarbeiter auf den Schüler. Sein Ziel ist nichts Geringeres als eine Systemveränderung. „In fünf bis zehn Jahren wollen wir die Rahmenbedingungen geschaffen haben, um Bildungsgerechtigkeit zu haben“, so Lange. Seine Schüler, egal ob begabt, egal ob mit Schwierigkeiten, sollen ihre Potenziale entfalten. Das Prinzip: Zuwendung statt Aufbewahrung. gen
Sie sind Global Citizens
Bildung“, sagt Imke Stahlmann vom Gymnasium Farmsen, „ist die Formung des Menschen hinsichtlich seines Menschseins.“ Wesentlich sei das reflektierte Verhältnis zu sich selbst, zu anderen und zur Welt. Und genau darauf zielt das Schulpartnerschaftsprojekt „Postkoloniale Erinnerungskulturen in Hamburg und Dar es Salaam“ des Gymnasiums Farmsen ab.
Wie reflektiert die Schüler sind, zeigt die Arbeit von Lara, 17. Sie hat sich mit Stereotpyen in der Werbung auseinandergesetzt und prangert die Ausbeutung von Kaffeebauern an. Von schönen Verpackungen und exotischen Schönheiten in der Werbung lässt sie sich nicht beeindrucken. „Hunderte von brasilianischen Arbeitern leiden unter Schuldknechtschaft, sind giftigen Pestiziden ausgesetzt. Sie haben keine vernünftige Behausungen“, hat Lara auf Englisch aufgeschrieben. Dieses Beispiel zeigt, wie durch die interkulturelle Auseinandersetzung in dem Projekt fächerübergreifende Fragestellungen entstehen.
Mit dem Wissen über den Kolonialismus sehen die Schüler vieles in der Welt kritischer. „Wir bereiten die Schüler darauf vor, ihre eigene Rolle in der globalisierten Welt zu finden und zu verstehen“, sagt Projektleiterin Stahlmann. Und diese Rolle haben Lara, Leonie oder Ronja gefunden. Sie sehen Wirtschaftskreisläufe, die Herkunft bestimmter Produkte und deren Arbeitsbedingungen kritischer als zuvor. Ziel des Projektes ist es, ein Verständnis von den komplexen Zusammenhängen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu entwickeln.
Stahlmann: „Die Schüler lernen als Global Citizens die lokalen und globalen Auswirkungen ihres eigenen Verhaltens zu reflektieren und Handlungsalternativen zu entwickeln.“ gen
Rein ins wahre Leben
Lykka, Blanca und ihre Mitschüler lassen sich so leicht nichts vormachen. Sie sind kritischer geworden, haben gelernt, eine eigene Haltung und Meinung zu Themen zu entwickeln. Einfach weil sie an ihrer Schule, der Stadtteilschule Am Heidberg in Langenhorn, die Möglichkeit haben, sich im Projekt Be-aN-Expert eine Woche lang intensiv mit nachhaltiger Stadtentwicklung zu beschäftigen.
Statt an der Oberfläche zu bleiben, gehen sie in die Tiefe. Raus aus der Schule, rein ins Leben. Die Verantwortlichen des Flughafen Hamburg nahmen sich mehrmals Zeit für die Oberstufenschüler. Bei einem Workshop erklärten sie ihnen alles zur geplanten Flughafenerweiterung, auf der Podiumsdiskussion waren sie ebenfalls dabei. Genauso wie die Kritiker des Flughafenausbaus vom BUND.
Denn darum geht es beim Projekt: Experten erklären ein Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Denn nur wenn man die Argumente beider Seiten kennt, kann man sich ein umfassenderes Bild machen. Und nur wenn man den Lernort Schule mal verlässt, öffnen sich Horizonte. Die Schüler haben nicht nur die Podiumsdiskussion am Landesinstitut für Lehrerbildung selbst organisiert und geleitet, sie haben auch einen Flyer und einen Film erstellt zum Ausbau des Hamburger Airports mit allen wesentlichen Fakten, mit Pro und Contra.
„Die Fakten hatten wir vorher gar nicht so gekannt“, sagt die 18-jährige Lykka. „Wir lernen, Dinge zu hinterfragen.“ Themen, über die die Stadt spricht, werden gewählt. Ziel ist es, die Schüler zum Handeln zu bringen. Es verändert Schule: Müll wird getrennt, es gibt Aktionen, um Plastikmüll aufzusammeln – und die neueste Idee: Es soll an der Kantine einen vegetarischen Tag geben. gen
Inklusion am Gymnasium
Weil auch an Gymnasien die Schüler verschieden sind, nimmt das Heinrich-Heine-Gymnasium in Poppenbüttel das Thema in die Hand, statt darauf zu warten, dass die Politik Verbesserungen einführt. Elias, Erik und Sarah sind etwas anders. Sie sind in bestimmten Bereichen besonders begabt. Damit sie sich im Unterricht nicht langweilen, können sie in Extraprojekten anders lernen. Im T-Club bauen sie fahrtüchtige Karts, kreieren Bauteile am Computer und drucken diese im 3-D-Drucker aus.
„Integriertes Forder -und Förderkonzept zur Verzahnung von Begabungsförderung und Inklusion“ heißt das Projekt. Aber nicht jeder ist begabt, es gibt andere Schüler, die einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben – nicht bei allen wurde dieser offiziell bestätigt. Sie werden ebenso aufgefangen und gefördert. „Gymnasien müssen die Chance der Inklusion begreifen“, sagt Schulleiter Christian Borck.
Dazu gehört es auch, den Unterricht infrage zu stellen. Sonderpädagogin Christine Lindstädt guckt regelmäßig in den Unterricht und gibt Verbesserungs- und Änderungsvorschläge, weil der professionelle Blick von außen schon im Kleinen viel bewirken kann. Der Schulleiter und seine Kollegen haben Räume geschaffen, um ihr Konzept umsetzen zu können.
Mit Elternbeteiligung entstand das Studienzentrum, das täglich bis 16 Uhr ein Ort des Lebens und Arbeitens ist, mit einem Sozialpädagogen, Sonderpädagoginnen und einem Freiwilligen. Acht Räume für die Arbeit mit besonderen Schülern sind entstanden, sie finden dort professionelle Unterstützung, ebenso die Lehrer. Viele Schüler sind einer Klassengröße von 28 Schülern nicht gewachsen, brauchen Auszeiten. Borck: „Hier wird niemand stigmatisiert.“ gen