Hamburg. Das Bethaus war bis 1938 das Wahrzeichen jüdischen Lebens. Ein Wiederaufbau wäre ein Symbol gegen Hass und Hetze.

Ein altes Wahrzeichen jüdischen Lebens könnte bald wieder neu entstehen: Der Wiederaufbau der von den Nationalsozialisten 1939/40 zerstörten Synagoge am Bornplatz (heute: Joseph-Carlebach-Platz) findet laut einer Abendblatt-Umfrage eine wachsende Zustimmung in Politik und Kirchen. „Ich denke, dass es dafür einen breiten gesellschaftlichen Konsens gäbe“, sagte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD).

Bislang ist es nur eine Idee, die von Politikern und der jüdischen Gemeinde geäußert wurde. Große Resonanz fand das Abendblatt-Interview mit Landesrabbiner Shlomo Bistritzky, in dem er sagte: „Ein interessantes Projekt wäre es, die zerstörte Synagoge am Bornplatz wiederaufzubauen. Auch aus touristischen Motiven könnte das für Hamburg interessant sein.“ Hamburgs und Lübecks Bischöfin Kirsten Fehrs erklärte dazu, der Wiederaufbau wäre ein „starkes Symbol gegen Hass und Gewalt“. Erzbischof Stefan Heße signalisierte Gesprächsbereitschaft des Erzbistums.

Trepoll: „Starkes Signal für jüdisches Leben in unserer Mitte“

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) betonte, dass der Senat im Gespräch mit der Jüdischen Gemeinde bleibe, wie und mit welchen Prioritäten die Förderung in den kommenden Jahren gestaltet werde. „Dabei sollte auch der eventuelle Neubau einer Synagoge eine Rolle spielen.“ SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf weist darauf hin, dass es sich um „ein langfristiges Projekt handelt, zu dem wir weitere Gespräche führen werden“. Dass vor dem Wiederaufbau ein langer, aber lohnenswerter Weg liegt, macht Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks deutlich: „Wir müssen dicke Bretter bohren. Ich stelle mir in einem ersten Schritt eine Kommission vor, die alle Fragen beantwortet.“

CDU-Fraktionschef André Trepoll gibt sich optimistisch: „Eine Stadt, die den Elbtower baut, kann auch zerstörte Synagogen wiederaufbauen.“ Das sei ein „starkes Signal für jüdisches Leben in unserer Mitte“. Die religionspolitische Sprecherin der AfD-Fraktion, Andrea Oelschläger, sagte: „Wir unterstützen in der Bürgerschaft gern Vorschläge zur Neuerrichtung.“ Auf dem Platz der früheren Synagoge im Grindelviertel befindet sich heute ein Gedenkmosaik.

1939 wurde die Synagoge abgerissen

Im ganzen Deutschen Reich hatten die Nazis in der Nacht des 9./10. November 1938 Hunderte von Synagogen in Brand gesteckt. Als der Jude Manfred-Moritz Bundheim am Morgen des 10. November 1938 mit seinem Fahrrad zum Frühgebet fuhr, sah er in der Bornplatzsynagoge (Grindelviertel) einen „rötlich dunklen Schein“. Auch hörte der 14-Jährige das „Zerbersten von Großscheiben“. Die 12-jährige Ruth Frank sah an jenem Morgen nach der „Reichspogromnacht“ zahlreiche junge SS-Leute. Sie standen „breitbeinig und mit aufgeknöpften Hosen“ da und „haben die Rollen der heiligen Schriften ,bewässert und verbrannt‘“, heißt es in ihren Erinnerungen.

Es dauerte nicht lange, da verfügten die Nationalsozialisten 1939 den Abriss des neoromanischen Bethauses mit der 40 Meter hohen Kuppel. Heute erinnert auf dem früheren Bornplatz, der inzwischen Joseph-Carlebach heißt, ein Bodenmosaik an den eindrucksvollen Sakralbau. Es ist ein Ort des Gedenkens, umsäumt von einem alten Weltkriegs-Hochbunker und der jüdischen Schule – nicht weit vom Abaton-Kino gelegen.

Jüdisches Leben im Fokus der Öffentlichkeit

Auf diesem Platz, der in Granit den Grundriss der 1906 geweihten jüdischen Synagoge zeigt und für Fußgänger zugänglich ist, könnte eines Tages das alte Bethaus neu erstehen. Bislang ist das lediglich ein Plan, eine Idee, eine Vision. Sie wurde immer wieder in der orthodoxen Jüdischen Gemeinde zur Sprache gebracht und erfasst zunehmend auch Politiker, die vom Wiederaufbau beseelt sind.

Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale mit zwei Toten und dem neuen Antisemitismus ist das jüdische Leben in Deutschland erneut im Fokus der Öffentlichkeit. Repräsentanten der Weltreligionen sind besorgt, dass Hass und Hetze sich weiter Bahn brechen. Der Wiederaufbau wäre ein starkes Zeichen gegen Gewalt und Judenhass, lautet eine der Überlegungen zu dieser Vision.

Initiative für Erweiterung der Joseph-Carlebach-Schule geplant

Besucher an einem Gedenktag auf dem Joseph-Carlebach-Platz in Eimsbüttel.  Mit Kreide sind hier die Grundrisse der Bornplatz-Synagoge aufgemalt, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde.
Besucher an einem Gedenktag auf dem Joseph-Carlebach-Platz in Eimsbüttel. Mit Kreide sind hier die Grundrisse der Bornplatz-Synagoge aufgemalt, die von den Nationalsozialisten zerstört wurde. © picture alliance/dpa | dpa Picture-Alliance / Axel Heimken

Wie die Abendblatt-Umfrage zeigt, (siehe Seite 1), zeichnet sich jetzt ein breiter politischer und religiöser Konsens für den Wiederaufbau ab, der mindestens rund 20 Millionen Euro kosten dürfte. Zwar sehen Bürgermeister Peter Tschentscher und SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf den jüdischen Neubau nicht weit oben auf der Prioritätenliste. Und auch die Jüdische Gemeinde dürfte zunächst ein stärkeres Interesse an der räumlichen Erweiterung der benachbarten Joseph-Carlebach-Schule haben. Dafür werde die SPD-Fraktion bald eine neue Initiative vorbringen, hieß es.

Dennoch halten beispielsweise Bischöfin Kirsten Fehrs und Christiane Schneider, die Vizepräsidentin der Hamburger Bürgerschaft, einen Wiederaufbau für ein erstrebenswertes Projekt. Die Linken-Politikerin Schneider sagt: „Wir stehen dem Vorschlag aufgeschlossen gegenüber, ebenso dem Anliegen der liberalen jüdischen Gemeinde, endlich über ein eigenes Haus zu verfügen, in dem sie zusammenkommen kann.“ Beide Anliegen könnten jedoch nicht ohne politische und, wenn notwendig, materielle Unterstützung durch die Stadt realisiert werden.

Auch die AfD-Fraktion unterstützt den Wiederaufbau. „Für Antisemitismus ist in Hamburg kein Platz“, sagte die religionspolitische Sprecherin Andrea Oelschläger. „Es wäre ein schönes Zeichen für die AfD-Fraktion Hamburg, wenn die Synagoge wieder aufgebaut würde und somit noch mehr Leben nach Eimsbüttel zurückkehrte.“

Dass es bis zum Wiederaufbau noch ein weiter Weg ist, macht Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks deutlich. Er hatte bereits vor dem Anschlag in Halle den Vorschlag dazu gemacht. „Wichtig ist, dass dieses Projekt von allen der gesamten Stadtgesellschaft, der Politik und der jüdischen Gemeinde – gemeinsam getragen und diskutiert wird“, betont er.

CDU tritt für Gründung eines Fördervereins ein

Ob sich nun eine Kommission oder ein Förderverein um das Projekt kümmert – wichtig ist nach Ansicht von CDU-Fraktionschef André Trepoll neben dem parteiübergreifenden Konsens die enge Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde selbst. „Im Dialog mit dem Landesrabbiner und der jüdischen Gemeinde ist zu klären, wie ein solcher Wiederaufbau aussehen und umgesetzt werden kann.“ Dazu sei es notwendig, einen Förderverein zu gründen, der sich um Spenden und Stiftungsgelder gemüht, und ein Kuratorium, das die Umsetzung des Projekts eng begleitet,“ so Trepoll.

Ohne Dialog geht also nichts auf dem Weg zum Wiederaufbau, und architektonischer Entwürfe bedarf es dazu ebenfalls. „Jüdisches Leben“, fordert Kultursenator Carsten Brosda, „sollte und muss heute wieder selbstverständlicher Teil der Stadtgesellschaft sein. Dazu gehört auch, dass dieses in der Stadt sichtbar ist und noch sichtbarer wird.“ Welche Schritte dafür notwendig seien und welche Beiträge die Stadt dazu leisten könne, „muss im Dialog besprochen werden“.

Israelitischer Tempel in der Poolstraße im Krieg zerstört

Die Bornplatzsynagoge war zwar mit 1200 Plätzen die größte, aber nur eine von mehreren jüdischen Bethäusern in Hamburg. In der Poolstraße (Neustadt) befand sich einst der 1844 geweihte Israelitische Tempel der liberalen Juden, bis das Gebäude während des Zweiten Weltkriegs weitgehend zerstört wurde. Heute steht die Ruine auf dem Grundstück einer Autowerkstatt.

Ebenfalls zur liberalen Gemeinde gehörte der Tempel in der Oberstraße. Dass die Nazis in der Pogromnacht hier kein Feuer legten, ist der dichten Bebauung an der Oberstraße zu verdanken. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mietete der damalige Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) das Haus im Jahr 1953 von der Jewish Trust Corporation, ließ es zu einem Konzertsaal und Studio umbauen. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten wurde das Haus nach dem früheren Intendanten der Hamburgischen Staatsoper und ehemaligen Leiter der Hauptabteilung Musik des NDR schließlich in Rolf-Liebermann-Studio umbenannt.