Hamburg. Im Prozess gegen Bruno D. schildert Marek Dunin-Wasowicz die Gräuel des Holocaust – aus eigener Anschauung. Er überlebte Stutthof.
Tragödie. Unmenschlich. Markaber. Tortur. Wenn Marek Dunin-Wasowicz von seiner Zeit im Konzentrationslager Stutthof erzählt, dann fallen diese Ausdrücke, die eine Ahnung von dem geben, was der heute 93-Jährige Zeuge im Prozess gegen den damaligen SS-Wachmann Bruno D. als sehr junger Mann durchmachen musste. „Das Lagerleben, wenn man es überhaupt als Leben bezeichnet kann, das bedeutete Hunger. Man fror“, schildert der Mann, der am 25. Mai 1944 zusammen mit seinem Bruder nach Stutthof deportiert wurde.
Dass Menschen in der Gaskammer des KZ Stutthof getötet wurden, sei unter den Häftlingen ein „offenes Geheimnis" gewesen. „Wenn die Häftlinge von den SS-Leuten abgeholt wurden, von der Arbeit oder der Baracke, und sie nie wieder aufgetaucht sind, dann war es klar, dass sie ermordet worden sind", sagt der betagte Mann.
Bruno D. behauptete, nichts von Gaskammern in Stutthof zu wissen
Leicht auf einen Gehstock gestützt, hat der polnische Zeuge am Vormittag den Gerichtsaal betreten. Sein Blick streift kurz den Angeklagten, dann wendet sich Marek Dunin-Wasowicz dem Gericht zu. Beide Männer, der Angeklagte und der Zeuge, sind gleich alt, doch sie standen auf unterschiedlichen Seiten im KZ: Marek Dunin-Wasowicz als Gefangener, Bruno D. als Wachmann.
Bruno D. hat sich bereits zu seiner Rolle auf dem Wachturm bekannt. Der Mann, dem die Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorwirft, hat geschildert, dass er Schreie und Poltern aus der Gaskammer gehört hat. „Aber ich wusste nicht, warum. Ich wusste nicht, dass die da vergast wurden“, hat er gesagt. Jetzt ruht der Blick des Angeklagten aufmerksam auf dem Zeugen, dessen Schilderung so ganz anders klingt. Der von dem „offenen Geheimnis“ der Tötungen spricht.
"Der Weg in die Freiheit führt nur über den Schornstein"
Die Gaskammer sei bestimmt von den Wachtürmen aus zu sehen gewesen, glaubt der Zeuge. „Ich habe Wachmänner dort oben stehen sehen.“ Wenn Neuankömmlinge nach dem Zweck der Gebäude fragten, die Gaskammer und Krematorium waren, habe man ihnen geantwortet, „dass der Weg in die Freiheit nur über den Schornstein führt“. Aber die eigentliche Handlung, „das Reinquetschen der Leute, das Schließen der Tür, das Einfüllen des Giftes: Das habe ich nicht gesehen.“ Er wisse aber, dass zu einem späteren Zeitpunkt „die Gaskammer in vollem Gange war“.
Er und seine ganze Familie seien während des Zweiten Weltkrieges im Untergrund aktiv gewesen, erzählt der Zeuge. Er selber habe als Pfadfinder unter anderem deutsche Bekanntmachungen wie zum Beispiel Plakate vernichtet. Nachdem sie jemand denunziert hatte, sei die ganze Familie festgenommen worden und in ein Warschauer Gefängnis gekommen. Dort habe er erlebt, wie jeden Tag im Morgengrauen Häftlinge aus den Zellen herausgezogen worden seien und „dass die erschossen worden sind. Der Aufenthalt war unmenschlich und unheimlich, unglaublich.“
Marek Dunin-Wasowicz wurde von SS-Männern drangsaliert
Später sei er mit seiner Familie nach Stutthof gebracht worden. „Mein Leben im Lager war eng mit meinem Bruder verknüpft. Er hat sich um mich gekümmert wie ein Vater um sein Kind.“ Er selber habe eine Weile als Schuster gearbeitet und dann als Weber und dabei zum Beispiel militärische Rucksäcke zusammengenäht. „Diese Arbeiten waren verhältnismäßig leicht.“
Doch später habe er Bäume fällen und deren Wurzeln aus der Erde herausholen müssen. „Das war meine schlimmste, tragischste Arbeit. Das war unmenschliche Arbeit. Wir wurden ständig zur Arbeit gedrängt und von SS-Männern in Uniformen beaufsichtigt.“ Sein Leben in Stutthof „würde schlechtes Ende haben, wenn es nicht einen Zufall gäbe“, erinnert sich der 93-Jährige.
Hilfe vom Arzt im KZ Stutthof
Sonntag nachmittags hätten sie Freizeit gehabt. An einem dieser Sonntage sei er einem Arzt begegnet, den er aus einer gemeinsamen Zeit in dem Warschauer Gefängnis kannte. Der Mediziner sei über sein kränkliches Aussehen erschrocken gewesen und habe sinngemäß gesagt: „Sie werden dich bald zunichte machen. Du bist ein Schatten deiner selbst.“
Der Arzt habe ihm geraten, etwas zu unternehmen, um ins Krankenhaus zu kommen, dann würde der Mediziner ihm helfen. „Ich habe einen Baumstamm auf den Fuß fallen lassen.“ Dadurch habe er Quetschungen erlitten und sei im Krankenhaus versorgt worden und habe sich einige Wochen lang nicht mehr zur Arbeit geeignet.
Zählappelle im KZ: Stundenlange Tortur
Jeden Tag, erzählt Marek Dunin-Wasowicz, habe es im KZ Zählappelle gegeben, „wie viele da waren. Einmal stellte sich heraus, dass einer versucht hatte zu fliehen. Dann standen wir die ganze Nacht wach, so lange, bis der Flüchtling gefasst wurde. Die Appelle waren eine weitere Tortur. Wir standen stundenlang da.“ Hier hätten die Blockaufseher Wache gehalten. Er habe auch das Auspeitschen eines Gefangenen miterlebt, schildert der Zeuge, sowie öffentliche Exekutionen am Galgen.
In einem Fall seien zwei junge Russen aufgehängt worden. Sie seien zu einem Gerüst geführt worden, man habe ihnen eine Schlinge um Hals gelegt. „Einer rief zu uns: ,Brüder, macht euch keine Sorgen. Bald kommt die russische Armee und wird unseren Tod rächen.“ Dann sei ein Mechanismus getätigt worden, „und sie waren gehängt“. In einem anderen Fall habe der Mechanismus versagt. Dann sei ein SS-Mann an den Todgeweihten herangetreten „und hat ihn erschossen“.
Juden in Waggons der Schmalspurbahn vergast
Er habe auch gesehen, wie Menschen, die vor Hunger und Erschöpfung extrem geschwächt waren, in eine Baracke „wie ein Stück Müll reingeworfen“ worden seien, „ohne Wasser, ohne Essen“, damit sie dort sterben sollten. Das Krematorium habe es von Anfang an in Stutthof gegeben. Die Gaskammer sei erst später gebaut worden. Bis zu 30 Menschen gleichzeitig hätten dort vergast werden können. Zur Vollstreckung einer Todesstrafe seien die Häftlinge von SS-Leuten gebracht worden.
Aus Erzählungen wisse er, dass noch andere Methoden gesucht worden seien, „wie man Häftlinge vergasen kann“ als in der eigentlichen Gaskammer. Eine Lösung aus Sicht der SS sei eine Schmalspurbahn gewesen, die auf das KZ-Gelände führte. Ein Waggon habe ausgesehen wie zur Personenbeförderung. „Den Juden wurden höflich gesagt, dass sie reingehen sollen, um in ein anderes Lager transportiert zu werden. Dann wurden Türen geschlossen, und sie wurden vergast.“