Hamburg. Beim Zentralen Fundbüro landen Taschen, Fahrräder und Handys, aber auch Waschpulver, Heiligenfiguren und Schröpfgläser.
Das Kopfschütteln haben sich Peter Jander und seine Kollegen längst abgewöhnt. Darüber, was alles bei ihnen im Zentralen Fundbüro landet, aber auch darüber, wie wenig Interesse viele Hamburger an ihren verlorenen Dingen zeigen. Wie jemand es geschafft hat, einen Crosstrainer in die U-Bahn zu schleppen und ihn dann stehen zu lassen, ist ihnen bis heute schleierhaft. Abgeholt wurde das schwere Sportgerät nicht, es ging in die Versteigerung – und fand für 1 Euro einen Abnehmer.
Auch 4100 Schlüssel und Schlüsselbunde sind seit Jahresbeginn schon abgegeben worden, längst nicht alle wurden abgeholt. Das Bündel, das vergangene Woche eingeliefert wurde, fiel dann aber doch etwas aus der Reihe. „Das war so ein großer Schlüsselbund“, sagt Peter Jander, Leiter des Zentralen Fundbüros, und zeigt mit seinen Händen etwa die Größe einer Bowlingkugel. Der leitende Mitarbeiter einer Reinigungsfirma hatte den Schlüsselpacken verloren. Bei einem Fund dieser Bedeutung öffnet das Fundbüro, das größte Deutschlands, auch schon mal freitags seine Türen: Der Pechvogel konnte ihn abholen. Üblicherweise gibt es mittwochs und freitags nämlich keinen Publikumsverkehr. Aber dann hätte das Unternehmen wohl in vielen Firmen nicht putzen können. Vom Vertrauensverlust und Imageschaden ganz zu schweigen.
Viele kaufen offenbar lieber gleich neu
Meistens geht es eine Nummer kleiner zu. „Man darf seinen Schlüssel an der Schlüsselwand suchen, und wir vergleichen ihn dann mit dem Zweitschlüssel, den ja fast jeder Kunde hat“, sagt Jander. Einen Eigentumsnachweis und einen Ausweis verlangen er und seine 14 Mitarbeiter aber immer. Die Schlüssel hängen nach Monaten sortiert an Stellwänden. Erstaunlicherweise viele Menschen scheinen sich anders arrangiert zu haben und diese nicht zu vermissen, auch aus dem August sind noch sehr viele nicht abgeholt worden. Autoschlüssel sind an einer separaten Wand aufgehängt. Auch hier scheinen sich ihre Besitzer anderweitig beholfen zu haben.
„Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft“, ist Peter Janders Erklärung für die Nachlässigkeit vieler Hamburger, wenn es darum geht, ihr verloren gegangenes Eigentum zu suchen und abzuholen. Dabei kann man sich die Fundsachen sogar zuschicken lassen. Aber viele kaufen offenbar lieber gleich neu. Dabei würden Schlüssel wie alle anderen Dinge auch ganz schnell im System erfasst, sagt der 42-Jährige: „Wir haben den Anspruch, dass Fundstücke am selben Tag bearbeitet werden.“ Darauf, wie lange der Weg ins Fundbüro dauert, haben sie natürlich keinen Einfluss.
An die Bahrenfelder Straße muss sich für die Suche aber schon lange kein Kunde mehr persönlich bemühen. Alles wird online erfasst, und auch auf Twitter ist das Team unterwegs und gibt immer wieder Hinweise: „Wir haben sehr stark an unserem medialen Auftritt gearbeitet“, sagt Peter Jander, der seit September dieses Jahres im Amt ist. Es gebe trotzdem immer noch viele Hamburger, die nichts vom Fundbüro und von der Möglichkeit der Onlinesuche wüssten.
11.000 Ausweispapiere und 3700 Mobiltelefone
42.000 Fundstücke wurden im vergangenen Jahr eingeliefert. Den weitaus größten Anteil machten die 11.000 Ausweispapiere (häufig samt Portemonnaie) aus, gefolgt von 5400 Schlüsseln und Schlüsselbunden, 3700 Mobiltelefonen und 2200 Fahrrädern. Seit Jahresbeginn waren es bereits 9000 Portemonnaies, 4100 Schlüssel und 2800 Handys.
In der Fundannahme ist an diesem Vormittag wie üblich gut zu tun. Alles, was in Bussen und Bahnen der Hamburger Hochbahn liegen bleibt, landet hier auf den Tischen. Auch die Polizeistationen liefern alles, was bei ihnen abgegeben wurde, hier ab, ebenso machen es Moia, Car to go, die Elbphilharmonie, diverse Kaufhäuser und Festivals, die in Hamburg stattfinden. Je weniger sie von den Stücken, die auf 3800 Quadratmetern aufbewahrt werden, dauerhaft behalten, desto lieber ist es den Mitarbeitern. „Wir haben den öffentlichen Auftrag, möglichst viele Fundsachen zurückzugeben“, sagt Jander, aber nur etwa ein Viertel der Dinge finde wieder zurück zum Besitzer.
Die anderen Dinge werden deshalb regelmäßig versteigert. Winfried Probst begutachtet alles, was nicht rechtzeitig abgeholt worden ist. Neuware sei leicht an den Mann zu bringen, sagt der 54 Jahre alte Mitarbeiter, der seinen Job schon seit 30 Jahren macht und entsprechend viel Erfahrung hat. Aber auch Gebrauchtes finde Abnehmer. „Wenn ich genug zusammenhabe, mache ich einen Versteigerungsposten“, sagt er. Und dann wird eben nicht ein einzelner Taschenrechner angeboten, sondern gleich ein ganzes Konvolut im Lederkoffer, den es dann noch obendrauf gibt. In einer Box hat Probst Dutzende elektrische Zahnbürsten gesammelt. Wer lässt so etwas bloß unterwegs liegen? In anderen Boxen liegen Dutzende Bastelscheren, Barbie-Puppen, Perücken, Stofftiere und Haarverlängerungen. Probst hat Behälter für viele Dinge. Und für fast alles finden sich bei den Versteigerungen Interessenten.
Beliebt sind Fahrradversteigerungen
Beliebt sind auch die Fahrradversteigerungen. In einer nüchternen Halle im Erdgeschoss werden die Räder nacheinander auf einem großen Bildschirm gezeigt und Stück um Stück angeboten. Nicht alle Räder sind fahrtüchtig (gekauft wie besehen), aber oft sind wahre Schnäppchen dabei – zahlbar in bar oder mit EC-Karte (seit einem Dreivierteljahr möglich). Der nächste Termin dafür ist der 21. Oktober. „Seit wir auf Social Media unterwegs sind, kommen viel mehr junge Leute zu den Fahrradversteigerungen“, sagt Jander. In der entsprechenden Halle sieht es aus wie bei einem Fahrradgroßhändler – jeden Monat kommen etwa 200 Räder als Fundstücke an. Auch ein teures Lastenrad ist darunter. Noch hat niemand danach gefragt.
Manche Fundstücke landen auch dauerhaft in der Kuriositätenecke. Zwei Heiligenfiguren sind da neben einem fidelen Weihnachtsmann und einem Matrosen platziert, und es gibt einen Koffer mit asiatischen Schröpfgläsern. Ihre festgelegte Verwahrzeit ist längst verstrichen, aber sie bieten Anschauungsmaterial dafür, was alles nicht vermisst wird.
An dem, was abgegeben wird, kann man auch aktuelle Trends ganz gut erkennen. So warten die ersten beiden E-Scooter auf ihre rechtmäßigen Besitzer. Sogar auf Twitter wurden die Fahrzeuge schon gezeigt, aber gemeldet hat sich bislang niemand. Das 5,5-Kilo-Paket Weißer Riese hat auch noch niemand vermisst. Das Waschmittelpaket steht im Regal – wie alle Fundstücke mit einer Registriernummer versehen.
Auch Kindersitze warten auf Abholung
Und wie viele Eltern fahren derzeit ohne Autokindersitze herum? Jedenfalls liegen gleich mehrere in den Regalen. Wo verliert man so etwas? Daneben gibt es Fahrrad- und Motorradhelme, und jetzt im Herbst sind laut Jander wieder zunehmend Regenschirme dabei. Plastik- und Papiertüten, Leinenbeutel, Ledertaschen und Rucksäcke hängen in Reih und Glied an Haken – es sieht aus wie in einer überdimensionierten Schulgarderobe. In einem separaten Regal werden Taschen gesammelt, deren Besitzer identifiziert sind, weil sich darin Ausweispapiere befanden. „Wir haben all diese Leute angeschrieben“, sagt der Fundbürochef. Trotzdem würden viele nicht abgeholt. Warum auch immer. Er und seine 14 Kollegen haben ja alles versucht.
Fundsachen aus Bussen und Bahnen werden acht Wochen aufbewahrt, Schlüssel für zwei Monate (plus den laufenden Monat), alle anderen Stücke sechs Monate. Die Höhe der Gebühr, die bei der Abholung fällig wird, ist abhängig von der Art des Fundstücks. Geldbörsen, Schlüssel, Schirme kosten 6 Euro, Handys und sonstige elektronische Geräte 10 Euro, Fahrräder, Kinderwagen und andere sperrige Dinge 15 Euro.
Zentrales Fundbüro Hamburg, Bahrenfelder Straße 254, Öffnungszeiten: Mo 7–16, Di 7–13 Uhr, Do 8.30–12 und 14–18 Uhr, Mi und Fr geschlossen. Telefonisch erreichbar: Mo–Fr 8–16 Uhr unter T. 428 113 501.